Nichts benötigen die Eisschnellläufer nach dem Rücktritt der Verbandspräsidentin Stefanie Teeuwen dringender als einen Lichtblick. Wer wollte, konnte diesen nach dem 1000-Meter-Rennen in Inzell aufblitzen sehen, als Nico Ihle und Joel Dufter hintereinander mit langen Schritten über die Ziellinie jagten. Es war der 22. deutsche Meistertitel für den 31-jährigen Ihle; der Sprintkollege Dufter, 24, hatte sich tags zuvor den Goldpokal über 500 Meter gesichert. Dass die Kontrahenten nun gemeinsam in einer Trainingsgruppe laufen, die der neue Bundestrainer etablierte, dass Ihle sein Solistendasein in Chemnitz zugunsten der Mannschaft aufgab, ist als ein Zeichen zu werten. "Der Verband sucht händeringend neue Strukturen", sagt Moritz Geisreiter, bis 2018 Mitglied der Nationalmannschaft und inzwischen Aktivensprecher. Zumindest der Umstand, dass die früheren Einzelkämpfer unter den Kufenläufern bereit sind, ihre Rivalität zu begraben, stimmt ihn hoffnungsfroh.
Stefanie Teeuwen, 50, hat ihren abrupten Amtsverzicht wenige Stunden vor Beginn der Meisterschaften mit "Anfeindungen" in der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) erklärt, mit Kritik an ihrem Kurs "auf einer persönlichen Ebene". Details nannte sie nicht. Die Athleten und das neue Leistungssportpersonal sprach die ehemalige DESG-Chefin aber ausdrücklich von allen Vorwürfen frei; bei der sportlichen Entwicklung glaubte sie ihren Verband auf dem richtigen Kurs.
Der Vorschlag hat den Verband schon jetzt gespalten
Doch ein Ende der Querelen zeichnet sich nicht ab. Vielmehr bahnt sich in der DESG, die nach zwei Olympischen Spielen ohne Medaillenerfolg auch finanziell in eine schwierige Lage schlitterte, ein eisiger Machtkampf um das vakante Spitzenamt im Verband an. Die verbliebenen Vizepräsidenten Dieter Wallisch (München) und Uwe Rietzke (Dresden) wollen in dieser Woche über das weitere Vorgehen beraten. Bislang ist nur ein Präsidentschaftsanwärter bekannt: Claudia Pechstein, 47, die fünfmalige Olympiasiegerin, hat ihren Lebenspartner Matthias Große in Stellung gebracht.
Pechstein hat Große, einen Unternehmer aus Berlin, bisweilen ihren "Bodyguard" genannt, der Deutsche Olympische Sportbund schickte ihn an ihrer Seite sogar schon mit zu den Winterspielen. Der Vorschlag hat den Verband schon jetzt gespalten. Wohl auch deshalb hat sich Moritz Geisreiter, Vorstandsmitglied des unabhängigen Vereins Athleten Deutschland, als einer der Ersten am Sonntag klar positioniert: "Aus meiner Sicht wäre Große nicht der Richtige", sagte er am Telefon: "Ein Präsident muss in dieser Situation den ganzen Verband einigen können, und diese Voraussetzung sehe ich bei ihm nicht." Matthias Große stehe als Lebensgefährte von Claudia Pechstein zu nahe an einer Sportlerin, glaubt Geisreiter. "Ein Teil der DESG wird seine Kandidatur deshalb stützen. Der andere Teil aber wird argumentieren, dass Große niemand ist, der eine Gemeinschaft erzeugen kann."
Pechstein hat den Verband in den letzten Jahren selbst polarisiert. Nicht nur durch ihren Kampf gegen den Weltverband ISU, der sie 2009 wegen ungewöhnlicher Blutwerte - zu Unrecht, wie sie argumentiert - sperrte. Auch zum neuen Bundestrainer für den Mehrkampf, zum Niederländer Erik Bouwman, der die Kräfte durch mannschaftliche Geschlossenheit zu konzentrieren versucht, hält sie Distanz. Bouwman habe ihr mitgeteilt, dass er "keinen Bock" darauf habe, sie im Team zu trainieren, hat sie kürzlich erklärt und eine Entschuldigung gefordert.
In diesem Jahr hat sich Pechstein einem polnischen Eisschnelllauf-Team angeschlossen. Am Wochenende, als sie in Inzell bei den offenen deutschen Meisterschaften ihre beeindruckende Trophäensammlung um die Titel 38 und 39 erweiterte, gab es die nächste Debatte. Über die 3000-Meter-Distanz siegte Pechstein in 4:05,57 Minuten vor Roxanne Dufter aus Inzell und Michelle Uhrig aus Berlin. Über 5000 Meter am Samstag aber trat sie ohne nationale Konkurrentin an. Dufter und Uhrig hatten sich erst an-, dann wieder abgemeldet. Pechstein zog also einsam mit der dreimaligen Olympiasiegerin Martina Sablikova aus Tschechien über die Bahn. Sie kam mit fast zehn Sekunden Rückstand in 7:00,51 ins Ziel und wurde auch ohne Mitbewerber zur Meisterin ausgerufen - die DESG hatte vorher, in weiser Voraussicht, den entsprechenden Passus der Wettkampfordnung neu interpretiert. "Mein Ziel war es, konstant zu laufen", sagte Pechstein. Und fügte hinzu: "Dass sich keine der Konkurrentinnen auf den 5000 Metern gestellt hat, dafür kann ich nichts."
Bundestrainer Bouwman erklärte die Absenz von Uhrig und Dufter damit, dass beide schon tags zuvor die Verbandsnormen erfüllt hatten und für den Weltcup, der nächste Woche in Minsk beginnt, Kräfte sparten. Nach Harmonie aber klang das nicht. Matthias Große, der Präsidentschaftsanwärter, hat am Wochenende dann sogar die sportliche, von Teeuwen eingeleitet Neuausrichtung der DESG mit den holländischen Trainern in Frage gestellt. Die Deutsche Presse-Agentur zitiert ihn mit der Aussage: "Müssen wir fünf- oder sechsstellige Summen ausgeben für diese Trainer, wenn wir selbst in Deutschland Olympiasieger haben, die das genau so gut machen würden?" Zur Ruhe ist der Verband nach den Rücktrittsquerelen nicht gekommen. Der Machtkampf fängt wohl gerade erst an.