Eishockey-WM:In einer guten Spur

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Wie die deutsche Auswahl mit dem Viertelfinal-Aus gegen Tschechien hadert, offenbart vor allem: Sie hat jetzt den Anspruch, die Großen zu bezwingen.

Von Johannes Schnitzler

Es war ein Wort mit sechs Buchstaben, das die deutschen Eishockey-Spieler Donnerstagnacht am häufigsten im Munde führten: bitter. "Das ist eine ganz bittere Pille", sagte Kapitän Moritz Müller. "Wirklich bitter", fand Verteidiger Moritz Seider. 1:5 hatten sie im Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Bratislava gegen Tschechien verloren, auf jeden Fall zu hoch, denn "wir hatten genug Chancen, um dieses Spiel zu gewinnen", fand Stürmer Leon Draisaitl. Nur nutzten die Tschechen ihre Chancen konsequenter. "Bis zum 1:3 war es ein ausgeglichenes Spiel", sagte Draisaitl, mit acht Punkten der beste deutsche Scorer bei diesem Turnier: "Danach haben wir zu früh aufgemacht."

Nach 40 Minuten hatte es 1:1 gestanden durch Jan Kovar (34.) und den Ausgleich durch Frank Mauer (38.). Tschechiens Kapitän Jakub Voracek brachte sein Team nach vorne (45.), danach wurden die Deutschen ausgekontert: 1:3 durch Dominik Kubalik (52.), 1:4 (54.) durch Ondrej Palat, und als Torhüter Philipp Grubauer seinen Platz zu Gunsten eines sechsten Feldspielers geräumt hatte, fiel zehn Sekunden vor Schluss auch noch das 1:5, wieder durch Kovar. "Über 44 Minuten waren wir genau im Plan", resümierte Bundestrainer Toni Söderholm: "Es hat nicht viel gefehlt."

Die unglückliche Niederlage verdichtete sich im 1:4 durch Ondrej Palat, als der Puck unberechenbar für Torhüter Philipp Grubauer von der Bande vors Tor sprang. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Umso unglücklicher waren die Deutschen mit dem Ergebnis. Sie beendeten die WM in der Slowakei mit fünf Siegen und drei Niederlagen auf Platz sechs, so gut wie seit dem Halbfinal-Einzug bei der Heim-Weltmeisterschaft 2010 nicht mehr. Sie verbessern sich in der Weltrangliste auf Platz sieben und haben sich bereits für die Olympischen Spiele 2022 qualifiziert. Für den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) und seinen neuen Chefcoach ist diese WM ein Erfolg (übrigens auch ein Wort mit sechs Buchstaben). 15 Monate nach der sensationellen Silbermedaille von Pyeongchang war sie auch eine Bestätigung für die Entwicklung der Mannschaft. Zugleich war dieses 1:5 ein Fehlschlag für die Spieler, die sich 66 Jahre nach der letzten WM-Medaille die nächste Überraschung vorgenommen hatten. "Bitter", sagte NHL-Profi Korbinian Holzer, "ich hätte gedacht, dass wir bis zum Schluss dabei sind."

Wie auf einer unreifen Pampelmuse kauten die deutschen Profis auf diesem 1:5 herum. "Dass jetzt alle so enttäuscht sind, zeigt, wie dicht wir dran waren", sagte Müller. Der erst 18 Jahre alte Seider, dem alle eine NHL-Karriere prophezeien, meinte: "Wir haben ein bisschen schlampig gespielt und unglücklich verloren." Wie sehr sich die Ambitionen der Eishockey-Nation Deutschland, die noch vor zehn Jahren sportlich abgestiegen war und nur als Ausrichter der WM 2010 erstklassig blieb, entwickelt haben, verdeutlichte Holzer: "Wir haben bewiesen, dass wir eine Top-Acht-Nation sind. Aber wir haben jetzt den Anspruch, auch die Großen zu schlagen."

Ge- und betroffen: Die Enttäuschung saß tief bei den Deutschen nach dem Aus im Viertelfinale. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Diese Ambitionen haben mit Talenten wie Seider zu tun oder Lean Bergmann, 20, oder auch mit Leon Gawanke, 19, der zwar noch kein Länderspiel, aber seit Donnerstag einen NHL-Vertrag bei den Winnipeg Jets in der Tasche hat. Und sie haben vor allem mit dem neuen Bundestrainer zu tun. Toni Söderholm, 41, seit Januar Nachfolger des in die NHL zu den Los Angeles Kings gewechselten Marco Sturm, hat dessen Frohbotschaft ("Glaubt an Euch!") übernommen - und der Mannschaft zusätzliches Selbstvertrauen eingeimpft. Auf einmal will Deutschland mit den Großen mitspielen - Betonung auf -spielen.

"Wir haben eine ziemlich gute Spur gefunden und den ersten Grundstein gelegt", sagte der Finne, der bei seinem Amtsantritt für viele ein unbeschriebenes Blatt war. Ex-Profi, Co-Trainer in München, danach eineinhalb Jahre als Chefcoach beim SC Riessersee in der zweiten und dritten Liga. Keine Referenzen, die NHL-Profis wie Draisaitl vor Ehrfurcht erstarren lassen. In der Tat war der einzige spürbare Dissens in den vergangenen WM-Wochen die Abwehrarbeit des 50-Tore-Stürmers von den Edmonton Oilers. Die Ansichten waren freilich nicht so weit auseinander, wie manche es interpretierten. Söderholm sagte, Draisaitl könne sein Defensivspiel verbessern (Subtext: Offensiv ist er nahezu perfekt), Draisaitl sagte, Söderholm sei "ein junger Trainer, der logischerweise noch zu lernen hat". Objektiv gesprochen würden beide wohl beide Aussagen bestätigen.

Draisaitl, der das 0:1 gegen Tschechien mit einem Fehlpass eingeleitet hatte, gab sich einsichtig: "Man kann nicht immer perfekt sein", sagte der 23 Jahre alte Weltklassespieler, "wir haben größtenteils sehr solide gespielt. Das Turnier war wieder ein Schritt nach vorne." Und darauf konnten sich alle einigen.

Die Enttäuschung sei ein gutes Zeichen, glaubt Söderholm: "Die Jungs sehen es als verpasste Möglichkeit, deswegen ist es schmerzhaft. Das sollte es auch sein, damit wir für die Zukunft motiviert sind." Für seine Spieler hatte er nur Lob übrig: "Sie sind lernfähig, motiviert und neben dem Eis absolute Gentlemen. Es ist mir eine Ehre, mit diesen Spielern, den Besten der Nation, arbeiten zu dürfen." Dieses Lob gaben Spieler und Verantwortliche zurück. "Toni hat das sehr gut gemacht", sagte Moritz Müller. "Wie er trainiert hat, wie er die Ansprache gestaltet hat, zeigt, dass wir den absolut richtigen Trainer verpflichtet haben", meinte Sportdirektor Stefan Schaidnagel: "Er erwartet viel, aber er lässt den Spielern auch die nötige Freiheit. Das Team hat mehr als positiv reagiert." Auf weitere Fortschritte in den nächsten Jahren hoffen sie. Denn das Wort, das sie gerne im Munde geführt hätten, hat ebenfalls sechs Buchstaben. Es heißt: Finale.

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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