Eishockey-WM in Deutschland:Die Russen kommen

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Weniger als 15 Prozent der Deutschen wissen, dass bald die Eishockey-WM ist. Doch unverhofft kann das Turnier mehr große Namen bieten als erwartet. Sorgen Owetschkin & Co. für neues Interesse?

Michael Neudecker

Der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sieht nicht aus wie jemand, der schon mal Eishockey gespielt hat, aber er ist offensichtlich ein Kenner dieses Sports. Die Eishockey-Nationalmannschaft habe das Potential, bei der am Freitag in Gelsenkirchen beginnenden Weltmeisterschaft erfolgreich zu sein, sagte der Minister kürzlich, "aber", fügte er an, "unterschätzt mir die Russen nicht".

Einer der aufregendsten Eishockeyspieler der Welt: der Russe Alexander Owetschkin. (Foto: Foto: Reuters)

Tatsächlich ist Russland bei den Wettbüros Favorit auf den Titel, es wäre der dritte Titel in Serie, weil Russland schon 2008 und 2009 Weltmeister wurde. Für Deutschland wäre das nicht so schlecht: Die Russen streben die Titelverteidigung ja energisch an, was auch mit ihrem mäßigen Abschneiden bei Olympia zu tun hat, und deshalb stellen sie einen Kader zusammen, der einiges an Glanz verspricht. Und Glanz hat die WM in Gelsenkirchen, Köln und Mannheim dringend nötig.

Zwei aus dem Olympiafinale

Nach einer Studie wissen 13,9 Prozent der Deutschen von dieser WM, 95,7 Prozent haben keine Ahnung, wer Bundestrainer ist und 0,3 Prozent kennen den deutschen Kapitän Sven Felski. Beim Organisationskomitee des Deutschen Eishockey Bundes (DEB) versucht man naturgemäß, derartige Zahlen positiv zu deuten: Das heiße ja, sagte PR-Chef Henner Ziegfeld, "dass neun Millionen in Deutschland von der WM wissen", was wiederum mehr Menschen seien, "als die Schweiz Einwohner hat".

Diese neun Millionen Eishockeyfans können die WM jedenfalls nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verfolgen, sondern nur im privaten Randbereich (Sport1); bei einem Rechtekauf sei man zu einem Sendevolumen verpflichtet, "das angesichts der derzeitigen Akzeptanz des Eishockeys in Deutschland nicht vertretbar ist", wie ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz sagt.

Die WM steht damit im krassen Gegensatz zum olympischen Eishockeyturnier, das im Februar in Vancouver stattfand - und zwar in jeder Hinsicht: Auch die Teilnehmer werden nahezu gänzlich andere Mannschaften aufbieten. Die WM wird sportlich einen deutlichen Qualitätsunterschied zu Olympia aufweisen - was nicht heißen soll, dass die Qualität schlecht sein wird.

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Wie gut eine Eishockey-WM besetzt ist, das liegt traditionell am Fortgang der Playoffs in der nordamerikanischen NHL, so gesehen ist es ein Segen für den Gastgeber, dass die Washington Capitals da bereits ausgeschieden sind: Die Capitals waren das beste Team der Vorrunde, dann aber scheiterten sie schon in der ersten Runde, und jetzt werden einige ihrer Spieler in Köln und Mannheim zu sehen sein, drei von ihnen im Trikot Russlands.

Corey Perrey (l.) jubelt über ein Tor im Olympia-Finale. (Foto: Foto: dpa)

Am Montag beantragte der russische Verband die Visa für Alexander Owetschkin, Alexander Sjomin und den Torwart Semeon Warlamow - allein Owetschkin dürfte eine enorme Triebfeder für die WM sein. Der 24-Jährige gilt neben dem Kanadier Sidney Crosby als der aufregendste Eishockeyspieler der Welt, seine Dynamik, seine Technik und sein kaum zu bremsender Drang zum Tor ergeben selbst in der NHL eine seltene Kombination. Hinzu kommt Ilja Kowaltschuk (New Jersey), der schon 2009 in Bern dabei war und damals zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt wurde.

Ein Goldmedaillengewinner

Aber auch der Olympiasieger Kanada mit Teamchef Mark Messier bietet einige interessante Profis auf, darunter in Corey Perry einen der Goldmedaillengewinner von Vancouver. Neben Perry besteht der ausschließlich mit NHL-Spielern besetzte Kader vor allem aus Talenten - sechs sind 20 Jahre oder jünger. Mit Spielern wie dem 19-jährigen John Tavares (New York Islanders) oder dem 20-jährigen Steven Stamkos (Tampa Bay), der die NHL-Saison mit Crosby als bester Torschütze abschloss, gilt Kanada als Hauptkonkurrent der Russen.

Am Dienstagabend trat Kanada gegen Deutschland zum letzten Test in Hamburg an und siegte mit 4:1. Seine Gruppenspiele wird Kanada in Mannheim austragen, Russland spielt wie Deutschland in Köln. Die Zuschauer in Mannheim bekommen zudem in Tschechien eine weitere beachtlich aufgestellte Mannschaft zu sehen: Der mittlerweile 38-jährige Jaromir Jagr wird ebenso auflaufen wie etwa die NHL-Stürmer Patrik Elias (New Jersey) und Martin Havlat (Minnesota).

Insgesamt stehen sieben Spieler im tschechischen Kader, die nicht in der NHL unter Vertrag sind. Bei Olympiafinalist USA sind es etwas weniger: Drei Akteure verdienen ihr Geld nicht in der NHL, darunter in Torhüter David Leggio (Turku/Finnland) sogar einer, der beim Deutschland Cup in München dabei war. Leggio dürfte diesmal aber kaum zum Einsatz kommen, als Nummer eins ist der Torhüter der Florida Panthers, Scott Clemmensen, geplant.

Deutschlands wichtigster Gegner

Und immerhin ein Spieler aus dem Olympiafinale steht im Aufgebot, der Verteidiger Jack Johnson aus Los Angeles. Die USA sind Deutschlands erster Gegner, am Freitagabend auf Schalke, und was die anderen beiden Teams aus Gruppe D betrifft: Finnland kommt mit lediglich vier NHL-Spielern, dafür aber mit dem 37-jährigen Petteri Nummelin (Lugano/Schweiz), der in Deutschland seine 15. WM spielen wird, was natürlich Rekord ist.

Als schwächstes Team der Gruppe und damit wichtigster Gegner der Deutschen gilt Dänemark, gegen das Deutschland im letzten Gruppenspiel am Mittwoch antritt. Bei der Heim-WM 2001 erreichte der DEB das Viertelfinale, einen ähnlichen Erfolg diesmal zu erwarten wäre aber wohl vermessen. Bundestrainer Uwe Krupp sagt: "Zu versuchen, den Erwartungen dieser erfolgsverwöhnten Nation gerecht zu werden, das ist unmöglich."

Karl-Theodor zu Guttenberg sieht das bestimmt ähnlich.

© SZ vom 05.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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