Eishockey-WM:"Es ist ein Traum!"

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Die deutsche Mannschaft gewinnt bei der Eishockey-WM überraschend gegen die USA - und lässt sich von 77.803 Zuschauern feiern.

Michael König, Gelsenkirchen

Überwältigend? Nein, so weit wollte Uwe Krupp nicht gehen. "Ja, es ist groß", sagte der Eishockey-Bundestrainer, "aber beeindruckt waren die Jungs höchstens fünf Minuten." Er sagte das am Donnerstag, nach dem ersten und einzigen Training seiner Mannschaft in der Arena auf Schalke, die für das Eröffnungsspiel der Eishockey-Weltmeisterschaft 2010 in ein Eisstadion umfunktioniert worden war. Krupp lehnte er sich zurück, so weit das auf den Stühlen im Pressezentrum eben ging, und fügte hinzu: "Die Vorbereitung ist vorbei. Jetzt beginnt der Spaß für uns."

Stimmung auf den Rängen - und auf dem Eis: Felix Schütz beim Kampf um den Puck. (Foto: Foto: dpa)

Am Tag darauf, da steht Krupp kerzengerade und kneift die Augen zusammen. Nach Spaß sieht das nicht aus. Seine Jungs blicken etwas verschüchtert drein, als sie sich im Kabinengang aufstellen, der von den Umkleidekabinen in den Bauch in die Mitte der Arena führt. Sie kennen den Gang schon, aber es gibt da einen signifikanten Unterschied: die Zuschauerzahl.

Sie betrug beim Eröffnungsspiel gegen die USA am Freitag: 77.803, in Worten: siebenundsiebzigtausendachthundertdrei. Weltrekord. Noch nie zuvor hat eine derart große Menschenmenge in einem Stadion ein Eishockeyspiel verfolgt. Was das bedeutet, bekommt als erstes Horst Köhler zu spüren. Und erst dann die Spieler, die gegen die Amerikaner mit 2:1 gewinnen.

Die Veranstalter haben Köhler zuliebe einen roten Teppich auf das Eis gelegt - er sollte nicht stolpern. Tut er aber doch. Zumindest verbal. Er muss seine Grußrede unterbrechen, sie geht unter im Jubel, in den Pfiffen, im Lärm der Zuschauer. Besser gesagt: im LÄRM. Köhler muss seinen Stimmbändern einiges abverlangen, um die Grußformel zu sprechen: "Hiermit erkläre ich die Eishockey-Weltmeisterschaft für eröffnet."

Köhler ist Schirmherr der WM 2010 in Deutschland, die mit dieser Partie beginnt und der die Spiele in Köln und Mannheim folgen. Vor allem aber ist Köhler der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, und als solcher ist er es nicht gewöhnt, dass man ihn unterbricht. Für Köhler ist die erste Überraschung schon perfekt, bevor das Spiel begonnen hat. Eine Zweite wird folgen.

Es ist die 26. Minute der Partie, als Michael Wolf kurz in die Hocke geht und mit der handbeschuhten Faust die Bewegung einer Säge nachahmt. Es ist eine geradezu winzige Geste im Vergleich zu dem, was um ihn herum passiert. Die Stimmung in der Halle explodiert, nein, sie EXPLODIERT. So klingt es, wenn 77.803 Menschen in einer Eishockey-Halle ein Tor feiern. Ein deutsches Tor. Das 1:0 von Michael Wolf gegen die USA, den "Medaillenfavoriten", wie Uwe Krupp gesagt hat. Er guckt jetzt längst nicht mehr so verkniffen.

Im ersten Drittel schießt sein Team siebenmal aufs Tor, die Amerikaner achtmal. Im zweiten Drittel steht es 10:7 für die Amerikaner - aber einer der sieben Schüsse ist der von Michael Wolf. Nach zwei Dritteln sieht es so aus, als könne Krupps Mannschaft tatsächlich mit einem Sieg in die WM starten, von der sich das deutsche Eishockey so viel erhofft, nämlich nicht weniger als eine glänzende Zukunft.

"Kompakt stehen", hatte Krupp am Donnerstag als Taktik für das Eröffnungsspiel ausgegeben. Die Mannschaft gehorcht, sie hindert die Amerikaner daran, ihre berüchtigte Spielfreude zu entwickeln und profitiert auch von der starken Leistung des Keepers Dennis Endras, der den Vorzug vor Dimitri Kotschnew und Robert Zepp erhalten hat.

"Ich habe nur gehofft"

Erst Ende des zweiten Drittels hat der Olympiazweite die Feldüberlegenheit, die man von Beginn an erwartet hätte. Und in der 49. Minute treffen die USA auch ins Tor. Ryan Carter schießt, Christian Hanson wühlt vor dem Tor, Torwart Endras - nach dem Spiel zum besten Akteur gewählt - fällt auf die Scheibe. Als er wieder aufsteht, bewegt sie sich ins Tor. Die Mehrheit der 77.803 pfeift in gellender Lautstärke, viele Zuschauer wollen eine Behinderung gesehen haben, aber die Schiedsrichter geben den Treffer - 1:1.

Die Partie geht in die Verlängerung, die im Eishockey mit "sudden victory" ausgetragen wird, was im Falle der Amerikaner eine beschönigende Ausdrucksweise für das aus dem Fußball bekannte "sudden death" ist. Der erste Treffer in der Verlängerung entscheidet, und weil es Felix Schütz ist, der ihn erzielt ist es in der Halle noch zwei weitere Male sehr, sehr laut. Einmal, als der Treffer fällt. Und ein zweites Mal, als die Schiedsrichter ihn für gültig erklären. "Ich habe auf die Leinwand geblickt und nur gehofft, dass der Schiedsrichter den Treffer gibt", sagte Schütz nach dem Spiel. "Es ist ein Traum!"

Auf der Bank schüttelt Uwe Krupp seinen Assistenten die Hand, dann blickt er auf die Tribüne und bewegt die Lippen. Es ist nicht genau zu sagen, welches Wort er sagt. Gut möglich, dass es "überwältigend" ist.

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