Eishockey-WM:Ein Schuss für die Sportgeschichte

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Deutschland gelingt gegen die USA ein ebenso sensationeller wie historischer Sieg. Nun wartet im nächsten Spiel eine seltene Schwierigkeit.

Michael König, Gelsenkirchen

Ganz zum Schluss wurde es staatstragend. Ob er noch eine kleine Botschaft an die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan richten wolle, wurde Uwe Krupp gefragt. Der Eishockey-Bundestrainer hatte da bereits einen Interview-Marathon hinter sich. Er überlegte eine Weile, dann sagte er in das Mikrofon vor seiner Nase: "Hallo Jungs, ihr macht einen super Job da draußen, eure Aufgabe ist wichtig. Dafür möchte ich euch danken."

Die deutschen Spieler jubeln nach dem 1:2-Sieg über die USA im Eröffnungsspiel der Eishockey-WM. (Foto: Foto: dpa)

Krupp lächelte währenddessen. Ihm wird vielleicht aufgefallen sein, wie sich seine öffentliche Wahrnehmung im Laufe des Abends verändert hatte: Vor 20.15 Uhr war er der Bundestrainer gewesen, der bald aus dem Amt scheiden wird, Eishockey-Deutschland vorher aber noch vor einer Blamage bei der Heim-WM bewahren soll. Gegen 22.30 Uhr ließ sich Krupp von der größten Zuschauermenge feiern, die jemals ein Eishockeyspiel in einem Stadion verfolgt hat. Er nahm die Glückwünsche des Bundespräsidenten entgegen - und durfte sich ein kleines bisschen in die deutsche Verteidigungspolitik einmischen.

Dazwischen lagen 60 Minuten und 21 Sekunden Eishockey, die in die Sportgeschichte eingehen werden. Vor allem wegen des Weltrekords von 77.803 Menschen, die dem Eröffnungsspiel der Eishockey-WM 2010 in der Arena auf Schalke beiwohnten. Aber auch, weil der deutschen Nationalmannschaft nach 17 Jahren wieder ein Sieg gegen ein Team der USA glückte. "Das wird jedem in Erinnerung bleiben", sagte der deutsche Kapitän Marcel Goc, der seinen Lebensunterhalt in der amerikanischen Profi-Liga NHL verdient. "Besser hätten wir nicht in dieses Turnier starten können."

Gewaltiges Gebäude

Der Bundestrainer hatte maßgeblichen Anteil an diesem Start. Entgegen vieler Prognosen hatte Krupp es geschafft, seine junge Mannschaft auf das Höllenfeuer vorzubereiten, das entsteht, wenn sich knapp 78.000 Menschen in einem geschlossenen Raum lautstark bemerkbar machen. Nicht nur die Menschenmenge, auch ihre Phonstärke war rekordverdächtig. "Wir haben heute mit einem Mann mehr gespielt", sagte Stürmer Kai Hospelt im Hinblick auf die Fans. "Beim Einlaufen ging der Kopf noch rum, da haben wir uns umgeschaut. Aber als es losging, haben wir uns nur noch auf das Eis konzentriert", sagte Goc.

Die Amerikaner hatten offensichtlich mehr Probleme mit dem "gewaltigen Gebäude" um sie herum, wie es US-Trainer Scott Gordon ausdrückte. Deutschland war von Beginn an die aggressivere Mannschaft, die dafür durch das 1:0 durch Michael Wolf belohnt wurde. Krupp hatte Wolf zum Vize-Kapitän hinter Goc gemacht - eine Entscheidung, die sich ebenso als richtig erwies wie die Berufung von Dennis Endras zum ersten Torhüter.

Der 24 Jahre alte Goalie von den Augsburger Panthern zeigte etliche Paraden und wurde nach der Partie als bester deutscher Spieler ausgezeichnet. Goc sprach ihm anschließend NHL-Format zu, Krupp lobte seine Leistung als "exzellent". Torschütze Wolf sagte: "Mit so einem Mann im Kasten spielt es sich natürlich leicht."

Im Schleudergang

Endras hatte auch in der Phase sein Tor sauber gehalten, die Krupp später als "Schleudergang einer Waschmaschine" bezeichnete - nach dem Ausgleich zum 1:1, bei dem Deutschlands Torhüter den Puck unglücklich mit dem eigenen Schlittschuh über die Linie gedrückt hatte, drängten die USA auf die Entscheidung. Sie sollte erst in der Verlängerung fallen - und hier bewiesen erneut die Deutschen die besseren Nerven.

21 Sekunden waren gespielt, als Felix Schütz das entscheidende 2:1 erzielte. Eine quälende Minute Wartezeit, in der die Schiedsrichter den Videobeweis auswerteten, sorgte für die passende Dramaturgie am Ende. "Ich habe auf der Bank gesessen und gebetet, dass der Treffer zählt", berichtete Schütz. Hatte er Zweifel? "Ja, ein wenig. Aber positive Zweifel."

Positive Zweifel - auch so etwas gibt es nun bei der DEB-Auswahl, die bei der WM im Vorjahr den vorletzten Platz belegte und bei Olympia in Vancouver keinen einzigen Punkt holte. Pünktlich zur WM scheint Krupp dem Team die nötige mentale Stärke vermittelt zu haben - "wahrlich inspiriert" nannte er die Leistung seines Teams. Verteidiger Constantin Braun sagte: "Wenn du permanent zweifelst, dass deine Arbeit am Ende belohnt wird, geht das Ding in die Hose." Deshalb habe man das Zweifeln abgestellt. Oder es wie bei Schütz in einen positiven Zustand überführt.

Für den bis dato einzigen deutschen Stanley-Cup-Gewinner Uwe Krupp bahnt sich nun ein Happyend seiner Karriere als Bundestrainer an. Bislang war der in Kalifornien lebende Coach vor allem dafür bekannt, wichtige Reformen gefordert, aber nicht durchgesetzt zu haben. Die sportliche Bilanz war durchwachsen - Kritiker sagen, sie sei historisch schlecht, Krupp-Befürworter halten dagegen, er sei im Rahmen seiner Möglichkeiten geblieben.

Nach dem Sieg gegen die USA scheint es so, als sei dieser Rahmen deutlich erweitert worden, die Zwischenrunde scheint möglich - vorausgesetzt, das Team kann seine Einstellung von Gelsenkirchen in die deutlich kleinere Halle nach Köln übertragen, wo es am Montag gegen Finnland geht. "Nur" 18.000 Zuschauer werden dann zugegen sein - ein Bruchteil des Schalker Publikums.

Dank seiner Grußbotschaft kann Krupp allerdings darauf hoffen, dass auch ein paar Bundeswehrsoldaten zuschauen - im fernen Afghanistan.

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