Eishockey-WM:Die Krampflösung

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Nach den klaren Niederlagen gegen Schweden und Russland überwindet das deutsche Eishockey-Nationalteam seine mentalen Blockaden - psychisch sollte die WM für die junge Mannschaft nun leichter werden.

Von Johannes Schnitzler, Köln

Entspannen. Den Kopf frei machen. Zur Ruhe kommen. Die Hausaufgaben, die Bundestrainer Marco Sturm seinen Spielern am Donnerstag auftrug, klangen so, als wären sie schnell erledigt. Vormittags Training, nachmittags raus zum Spielen, Kinder. Dass es mit dem Leicht-Sinn bei einer Eishockey-Weltmeisterschaft aber schnell mal etwas schwerer wird, war den Spielern auch am Tag nach dem 3:2-Penaltysieg gegen die Slowakei anzuhören. "Wir haben die Schläger vor dem Spiel schon ein bisschen härter gegriffen", berichtete NHL-Routinier Dennis Seidenberg, 35, von durchaus traumatischen Verkrampfungen in der Kabine.

Nach dem 2:1-Auftaktsieg gegen die USA hatten die Niederlagen gegen Schweden (2:7) und Russland (3:6) offenbar Furchen hinterlassen wie die Eismaschine am Mittwochabend nach dem ersten Drittel. Der Start in dieses "Schlüsselspiel" (Sturm) war dann auch nicht gerade dazu angetan, mentale Blockaden zu lösen. Nach neun Minuten rutschte Thomas Greiss ein Puck zum 0:1 durch die Schoner, "blöd", sagte Sturm: "Der Puck ist blöd gesprungen."

Was Thomas Greiss fehlte, wollte der Torwart nicht sagen

Für NHL-Torwart Greiss war die Partie danach beendet. Was ihm fehle, wollte er nicht verraten: "Kann ich nichts zu sagen", sagte der 31-Jährige. "Da müssen sie den Trainer fragen." Der sagte, Greiss sei mit einer leichten Verletzung ins Spiel gegangen. "Wir hoffen, dass es nicht zu ernst ist", sagte Sturm. "Am Freitag hat er erst mal frei." In Philipp Grubauer stünde ein weiterer NHL-Torwart zur Verfügung, der am Mittwoch mit den Washington Capitals aus den Playoffs ausgeschieden ist, ebenso wie Leon Draisaitl mit Edmonton - der am Donnerstagabend die Freigabe erhielt . Ob auch Grubauer zum Team stößt, ist nicht sicher. Wenn Greiss spielen könne, "ergibt es keinen Sinn", sagte Sturm. Er habe noch zwei starke Torhüter in Köln. Einer von den beiden, Danny aus den Birken, wurde gegen die Slowaken zu einem Schlüsselspieler.

In Bedrängnis: Torwart Danny aus den Birken (mit der Nummer 33) war beim deutschen Sieg gegen die Slowakei einer der Schlüsselspieler. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Gleich zu Beginn des zweiten Drittels, das wegen Problemen bei der Eisbereitung mit erheblicher Verspätung begann, lenkte aus den Birken einen Querpass von Libor Hudacek mit dem rechten Schlittschuh in sein eigenes Tor ab. Eine Aktion, die ein verunsichertes Team brechen kann. "Das zweite Tor hat Danny eiskalt erwischt", sagte Sturm, "vielleicht muss er ihn haben". Als aus den Birken hinterher von einem Reporter gefragt wurde, wie er sich nach diesem Missgeschick wieder aufgerichtet habe, teilte der Schlussmann allerdings seine eigene Sicht dazu mit: "Ich weiß, Sie verstehen nicht viel vom Hockey. Es ist viel Verkehr international, da sieht man nicht immer jede Scheibe. War ein unglückliches Tor, aber: passiert."

Vor dem 0:2 glich der Nahbereich vor dem deutschen Tor eher einer verkehrsberuhigten Zone. Aber von außen betrachtet sieht bekanntlich manches anders aus. Wie auch immer: Aus den Birken fing sich. "Er war ein sehr solider, ruhiger Rückhalt, genau wie die ganze Saison in München", sagte Sturm. Genau der Rückhalt, den die Mannschaft brauchte. Den Krampflöser gab DEL-Topscorer Patrick Reimer. Der Nürnberger mit der Nummer 37 traf in der 37. Minute mit einem Schlagschuss ins slowakische Tor. Noch in derselben Minute glich sein Klubkollege Yasin Ehliz elegant mit der Rückhand aus. "Im ersten Drittel haben wir zu kompliziert gespielt", räumte Ehliz hinterher ein.

Abgezockt: Dominik Kahun, 21, lässt dem slowakischen Torhüter Julius Hudacek keine Chance - und trifft damit als Einziger im Penaltyschießen. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

"Das ist alles im Kopf", sagte Sturm. "Manchmal ist es nur ein Tor, und dann läuft's." Zwar lief es auch danach nicht optimal für die Deutschen. Aber sie hielten dicht, überstanden die Verlängerung und holten sich im Penaltyschießen noch den Extrapunkt. "Das war sicher nicht unser bestes Spiel", sagte Sturm. Solche Spiele "musst du erst einmal gewinnen". Und das war neben aus den Birken vor allem Dominik Kahun zu verdanken.

Gegen die Dänen am Freitag erwartet Sturm ein ähnliches Spiel

Der Münchner traf als einziger Schütze im Penaltyschießen. Und zwar genau so, wie er in der DEL-Endphase gegen Augsburg gleich drei Penaltys in einem Spiel verwandelt hatte. "Gegen Augsburg hatte ich dieses Selbstvertrauen noch nicht so", gab Kahun hinterher zu. "Nach dem Spiel wusste ich, dass ich mich die Rückhand trauen muss." Am Mittwoch fuhr Kahun ganz ruhig auf Julius Hudacek zu, legte sich den Puck auf die Rückhand und hob die Scheibe ins Netz. Von Sturm gab es dafür ein Sonderlob: "Das ist nicht einfach für so einen Jungspund, vor 17 000 Leuten." Kahun ist erst 21, genauso jung wie Frederik Tiffels, der zum Spieler des Abends bestimmt wurde. Er sei jetzt "einfach glücklich", sagte Kahun nach dem 3:2. "Wir wollten eigentlich vor der Verlängerung gewinnen, das hat nicht geklappt. Und dann hatten wir keine andere Wahl." Sie mussten dann eben durch seinen Penalty gewinnen.

Wie befreiend Kahuns Schlusspointe gewesen sein muss, deutete Sturm an: "Man merkt das jetzt schon in der Kabine, dass sie lockerer sind." Am Freitag (20.15 Uhr) warten die Dänen, Sturm erwartet "ein ähnliches Spiel", taktisch gesehen. Psychisch sollte es nun aber leichter werden. Draisaitl, Tiffels, Kahun sind alle erst 21 Jahre alt und vergleichsweise unbekümmert. Es könnte noch eine entspannende WM für die Deutschen werden.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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