Eishockey-WM:"Der Job ist noch nicht zu Ende"

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Deutschland hat wieder Chancen aufs Viertelfinale. Und Trainer Pat Cortina gibt sich kämpferisch.

Von Johannes Schnitzler, Prag

In der U-Bahn ging die Party weiter. Die lettischen Fans bestimmen in diesen WM-Tagen das Stadtbild in Prag, sie sind leicht zu erkennen: Sie tragen karminrote Trikots, frühstücken gerne ein Bier (oder zwei) und singen auch, wenn ihre Mannschaft verloren hat. Die deutschen Fans in Prag sind daran zu erkennen, dass sie in der Mehrzahl die Trikots ihrer Lieblingsklubs tragen - von Hamburg bis Rosenheim und von Hannover bis Weißwasser ist alles vertreten -, sie frühstücken gerne ein Bier (oder zwei) und sie singen dann besonders laut, wenn die deutsche Mannschaft gewonnen hat. Am Freitag, rund eineinhalb Stunden nach Spielende, trafen also ein karminroter Haufen lettischer Fans und ein kunterbunter Haufen deutscher Fans in der Prager U-Bahn aufeinander, beide sangen, so gut sie konnten, vor allem laut. Für Nichteingeweihte ein kakofonischer Mitternachtsgrusel. Für Eingeweihte das Zeichen, dass die Deutschen gewonnen hatten.

Die deutschen Eishockeyprofis sahen in der Interview-Zone nach dem 2:1 (0:1, 0:0, 2:0) gegen Lettland, ihrem zweiten Sieg im fünften Turnierspiel, mindestens genauso glücklich aus wie ihre Fans, nur ohne Bier (das kam noch). Die Mannschaft von Bundestrainer Pat Cortina hatte dieses eminent wichtige und auf beiden Seiten von spürbarer Verkrampfung geprägte Spiel im letzten Drittel gedreht, mit einer Energieleistung, die nur 24 Stunden nach dem beeindruckenden, aber knapp verlorenen Spiel gegen Schweden (3:4) nicht viele für möglich gehalten hätten. Der Klassenerhalt ist damit so gut wie perfekt, aber darauf hatten sie angeblich gar nicht geachtet: "Wir schauen nur nach oben", behauptete Stürmer Yasin Ehliz, ein nimmermüder Kämpfer, denn: "Wenn man nach unten denkt, kann man nur verlieren." Nach oben ist nach diesem zweiten Sieg nun sogar wieder das Viertelfinale drin, vorausgesetzt, die Deutschen holen gegen Tschechien und Österreich mindestens drei Punkte und die Schweiz gegen die Top-Teams Schweden, Kanada und Tschechien nicht mehr als drei.

Deutschlands Hager und Kohl (außen) kämpfen mit Lettlands Saulietis um den Puck. (Foto: David W Cerny/Reuters)

Der Videobeweis beschert den Deutschen den Siegtreffer

Der Sieg gegen die Letten war eine mindestens ebenso hauchdünne Angelegenheit wie die Niederlage gegen die Schweden. Das 0:1 durch Lauris Darzins (12.) - das erste Tor in Unterzahl gegen die deutsche Mannschaft bei diesem Turnier - hatte Kapitän Michael Wolf im Powerplay ausgeglichen (47.). Janis Sprukts hatte zuvor eine Spieldauer-Disziplinarstrafe für einen Kniecheck gegen Patrick Köppchen erhalten. Als fast alle, auch die Spieler, sich schon auf eine Verlängerung einrichteten, unterbrachen die Schiedsrichter die Partie auf einmal. Dieser Schuss von Matthias Plachta, aus dem Handgelenk abgefeuert ähnlich wie sein 3:4 gegen die Schweden, war der etwa gar nicht an der Latte abgeprallt? Der Videobeweis musste her, und er war eindeutig: Der Puck war ins Tor gesaust! Treffer für Deutschland, 2:1 (58.). "So eng ist das in internationalen Spielen", sagte Torwart Dennis Endras, der kurz zuvor Glück bei einem lettischen Lattentreffer gehabt hatte. "Der Sieg war natürlich ein bisschen glücklich", sagte Kapitän Wolf. "Aber wir nehmen das gerne an. Vielleicht ist das der Lohn für drei Spiele Arbeit." Drei Spiele, in denen sie davor keinen Punkt bekommen hatten.

Siegtorschütze Plachta, der nun gemeinsam mit Wolf die interne Torjägerliste mit zwei Treffern anführt, bekannte nach dem Spiel: "Ich habe nicht gesehen, ob das ein Tor war. Auch auf der Bank waren alle unsicher. Gut, dass sich die Schiedsrichter das noch einmal angeschaut haben." Teamkollege Patrick Reimer sprach anerkennend von einem "Weltklasse-Schuss, einfach unglaublich". Das Spiel gegen die Schweden, das so viel Kraft gekostet hatte, habe ihnen kurioserweise "Kraft gegeben", sagte Plachta. Und räumte ein, dass sie doch auch ein bisschen nach unten geblickt hatten: "Jetzt haben wir in der Tabelle nach hinten ein wenig mehr Platz." Die Tür zum Viertelfinale stehe nun offen, oder zumindest, wie Plachta es ausdrückte: "ein Türchen".

Gibt sich kämpferisch: Deutschlands Trainer Pat Cortina. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Trainer Pat Cortina, der nach der WM wohl dennoch abgelöst werden wird, sagte: "Ich bin sehr, sehr glücklich für meine Spieler. Diese Punkte sind vielleicht eine Entschädigung für die, die wir nicht bekommen haben." Direkt nach Spielschluss war Cortina seinen Co-Trainern in die Arme gefallen. "Yeah, I'm emotional", sagte der Kanadier. "Endlich haben wir eine gute Leistung mit einem positiven Ergebnis." Am Sonntag (16.15 Uhr) wartet Gastgeber Tschechien mit der Ikone Jaromir Jagr auf sein Team. Und wer wollte, konnte aus Cortinas Ankündigung auch einen Kommentar zu seiner eigenen Situation heraushören: "Wir schauen auf das Viertelfinale. Der Job ist noch nicht zu Ende."

© SZ vom 10.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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