Eishockey:Macht Red Bull aus dem EHC München eine gesichtslose Blinker-Blinker-Show?

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Da kommt man nicht mehr ran: Wolfsburgs Armin Wurm streckt sich vergebens gegen die Münchner Übermacht in Person von Steve Pinizzotto. (Foto: Adam Pretty/Bongarts/Getty Images)
  • Red Bull kann mit dem Münchner Eishockey-Team zum ersten Mal eine Deutscher Meisterschaft gewinnen.
  • Gegen Wolfsburg steht es im Finale 3:0, ein Sieg mehr am Freitagabend würde schon reichen.
  • Doch der Konzern verpasst es, dem Erfolg ein menschliches Antlitz zu geben.
  • Hier geht's zu den Ergebnissen der DEL-Playoffs.

Von Johannes Schnitzler, München

Am Dienstag, es stand 1:0 im dritten Finale zwischen München und Wolfsburg, kamen zwei neue Spieler zum Einsatz. Statt blauer oder orangefarbener Trikots trugen sie Anzüge mit Dutzenden Glühlämpchen daran, der eine weiße, der andere blaue. Ihre Gesichter waren nicht zu sehen, nur ihre Konturen. Blau gewann das Penaltyschießen 2:0.

Ein Pausenfüller, ein harmloser Spaß. Eigentlich. Eishockey-Spieler sind in ihrer Ausrüstung ja immer schwer zu identifizieren, sie gehen auf in einer uniformen Masse. Es gibt aber Menschen, die sagen, genau so sehe Sport aus, wie Red Bull ihn sich vorstellt: eine gesichtslose Blinker-Blinker-Show, und am Ende gewinnt RB.

Geschäft ist alles, Gesichter sind austauschbar

Der EHC Red Bull München, das Team in Blau, gewann das Spiel am Dienstag 4:1, in der Finalserie der Deutschen Eishockey Liga (DEL) führt er 3:0 und könnte an diesem Freitag in Wolfsburg den Titel holen. Es wäre der erste deutsche Meistertitel für ein Red-Bull-Team. Nur ein Spiel für die einen. Ein Dammbruch für die anderen.

Die Einlage in der Münchner Drittelpause erinnerte verblüffend an den Hollywood-Film "The Electric Horseman". Robert Redford spielt darin einen ehemaligen Rodeo-Cowboy, der für einen Lebensmittelkonzern als Werbefigur durch die Landschaft reitet und dabei eine Uniform aus Glühlämpchen trägt. Als er merkt, dass sein Pferd, "Rising Star", für Auftritte sediert wird, haut er ab, mit dem Pferd unter dem Sattel. Der Konzernchef lässt beide suchen, koste es, was es wolle. Nicht aus Sorge um ihr Wohl. Aus Sorge ums Geschäft.

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Die Analogien zum Schreckensszenario der Red-Bull-Kritiker sind offensichtlich: Böser Lebensmittelkonzern drangsaliert seinen aufgehenden Star (die Mannschaft) und stellt ihn ruhig (mit Geld). Geschäft ist alles, Gesichter sind austauschbar. Die Kritiker folgen der Formel: Red Bull verleiht Flügel, Angst verleiht Flügel - Red Bull ist gleich Angst. Ein simpler Dreisatz.

Muss man Angst haben vor Red Bull? "Wir haben Respekt vor München, aber keine Angst", sagte Wolfsburgs Trainer Pavel Gross vor Beginn dieser Finalserie. Nun liegen seine Grizzlys 0:3 hinten und es sieht - bei allem Respekt - nicht so aus, als könnten sie innerhalb der nächsten sechs Tage noch vier Spiele gegen den EHC gewinnen.

Knapp sechs Milliarden Getränkedosen hat Red Bull 2015 weltweit verkauft bei einer Umsatzsteigerung von 15,5 Prozent auf rund 5,9 Milliarden Euro. In der Türkei, Südafrika, Saudi-Arabien, Indien, Polen und Deutschland verzeichnet der Konzern zweistellige Zuwachsraten beim Absatz. Die "sehr ambitionierten Wachstums- und Investitionspläne", so steht es auf der Webseite, sehen für das Geschäftsjahr 2016 "eine Fortsetzung der positiven Entwicklung vor" und werden - "wie bei Red Bull üblich" - aus dem "operativen Cash Flow finanziert". Abteilung Festgeldkonto. Für die nächste Saison sollen sich in Brooks Macek (Iserlohn), Derek Joslin (Nürnberg) und Jon Matsumoto (Augsburg) bereits drei DEL-Größen beim EHC verpflichtet haben. Nur das Beste ist gut genug.

Bei seinen Gegnern ist der "Brauseklub" deshalb unbeliebt, "Dosen" ist noch eine der netteren Bezeichnungen. Dabei enthält Red Bull gar keine Brause. 2012 stieg das Unternehmen aus Salzburg beim EHC München ein, der damals kurz vor der Insolvenz stand. 2013 übernahm er ihn ganz. Jetzt steht der Klub im DEL-Finale. Es ist ein Erfolg vom Reißbrett. Die Blaupause heißt EC Red Bull Salzburg. In Österreich holte das Team in den vergangenen zehn Jahren sieben Mal den Titel. Deshalb haftet dem Klub stets etwas Künstliches an - viele sagen: wie dem Getränk.

Es gibt genug Beispiele, dass Geld allein noch keinen Meister macht

Dabei wäre der Meistertitel für den EHC München vor allem erst mal: verdient. Der Erfolg in dieser Saison ist die Bestätigung dafür, dass die Sportliche Leitung die richtigen Lehren aus dem 0:4 vom vergangenen Jahr im Viertelfinale gegen Wolfsburg gezogen hat. Dass Red Bull das Geld dazu hat, zwölf, 13 oder 14 Millionen, vermutlich mehr als alle Konkurrenten, mag man als Ungerechtigkeit beklagen. Aber es gibt genug aktuelle Beispiele, dass Geld allein nicht Meister macht. Die Hamburg Freezers, unterstützt von der milliardenschweren Anschütz Entertainment Group - nicht einmal in der Playoff-Qualifikation. Titelverteidiger Mannheim, vom Software-Riesen SAP alimentiert: raus in den Pre-Playoffs. Ingolstadt, Spielzeug der Media-Saturn-Gruppe, 2014 Meister: ebenfalls raus noch vor dem Viertelfinale. "Geld schießt schon Tore", sagte Ingolstadts Vorstandsvorsitzender Jürgen Arnold mit galliger Selbstironie, "aber zu wenig."

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Dem Erfolg ein menschliches Antlitz zu verleihen, wäre nun eine vornehme Aufgabe für Red Bull. Das Gesicht von Don Jackson zum Beispiel. Jackson ist nicht Robert Redford. Sympathisch ist er trotzdem: offen, freundlich, zugewandt. Der 59-Jährige hat fünf DEL-Titel mit Berlin geholt, mehr als jeder andere Trainer. Ein großer, knuffiger Kerl, dem man sogar verziehen hat, dass er Mitte der Neunziger mal das Maskottchen eines anderen Klubs vermöbelt hat. Dennoch nutzt der EHC dieses stille Kapital kaum. Das liegt zum einen daran, dass Jackson auch nach zehn Jahren in Deutschland kaum deutsch spricht; in Pressekonferenzen liest er Standardsätze vom Blatt ab. Zum anderen drängt Jackson selbst nicht nach vorne auf die Bühne.

Das wäre kein Problem, wenn nicht Hauspolitik wäre, dass sich nur der sportlich Verantwortliche zum Tagesgeschehen - und nur dazu - äußert. Fragen zum Arenaprojekt etwa, aus dem sich die Basketballer von Bayern München kürzlich zurückgezogen haben, bleiben unbeantwortet. Der Konzern, der viel Geld in Marketing steckt, macht um seine Pläne wie um die Rezeptur seines Kernprodukts ein Geheimnis. Das Mysterium gehört zum Konzept. Auch Joshua Kimmich musste erst von RB Leipzig zum FC Bayern wechseln, ehe man sehen konnte, dass hinter dem glatten Jungengesicht ein interessanter Spieler steckt und kein Fußballroboter.

Man muss vielleicht keine Angst haben vor Red Bull, wie Pavel Gross meint. Konkurrenz belebt das Geschäft. Aber selbst wenn die Münchner dieses DEL-Finale noch verlören: Ein Meister der Herzen wären sie nicht. In "The Electric Horseman" entlässt Robert Redford sein Pferd am Ende in die Freiheit und gewinnt das Herz der Journalistin Jane Fonda. Der Konzernchef, dessen Absatz durch ihre Berichte immens gestiegen ist, lässt Pferd und Reiter gewähren. Aber Sport ist kein Herz-Kino. Und Red Bull trotz Glitzerlicht nicht Hollywood.

© SZ vom 22.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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