Eishockey in der DEL:Verzweiflung in einer tauenden Branche

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Die Kölner Haie, hier Torwart Hannibal Weitzmann, plagen bereits jetzt millionenschwere Verbindlichkeiten. (Foto: imago images/Revierfoto)

Die deutschen Eishockey-Klubs sind so sehr von Zuschauereinnahmen abhängig, dass sich Geisterspiele gar nicht lohnen. Der Saisonstart ist darum ausgesetzt - nun trifft der erneute Bann der Politik die Liga.

Von Ulrich Hartmann, München

Als Seelsorger hat sich Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm bislang nicht so richtig gesehen. Dabei ist es auch diese Aufgabe, die jetzt verstärkt auf ihn zukommt. "Die Spieler werden mit einer erhöhten Aufgeregtheit zum Lehrgang kommen", vermutet der 42 Jahre alte Finne, bevor er am Sonntag zum ersten Mal seit neun Monaten wieder die Nationalspieler um sich schart. "Wir werden diesmal auch mentale Dinge besprechen müssen", sagt er, "wir brauchen eine positive Stimmung, die Spieler sollen trotz aller Probleme wieder Stolz und Spaß verspüren, für die Nationalmannschaft zu spielen."

Es ist auch dieser Grund, der die Menschen beim Deutschen Eishockey-Bund (DEB) bewogen hat, den traditionellen Deutschland-Cup in diesem Jahr hartnäckig und um jeden Preis austragen zu wollen - obwohl keine Zuschauer in der Krefelder Arena erlaubt sind und obwohl mit Norwegen, Russland, der Slowakei und der Schweiz eigentlich alle relevanten Teilnehmer wegen Corona abgesagt haben.

Steigende Corona-Zahlen
:Profisport nur noch ohne Zuschauer

Bund und Länder vereinbaren neue Regelungen für Sportveranstaltungen: Die Bundesliga kann im November nur mit Geisterspielen weitergehen. Auch den Amateursport treffen die neuen Regelungen hart.

Es wäre nur zu verständlich gewesen, den Deutschland-Cup in diesem Jahr deshalb komplett abzusagen, aber mehr noch als die sportlichen Motive für die so lange unbeschäftigten Nationalspieler ist dem Verband momentan wichtig, Eishockey nach langer Zeit mal wieder in die Öffentlichkeit, ins Internet-Fernsehen (MagentaSport) und damit auch in die Erinnerung des deutschen Sportgeschehens zu bringen. "Der Deutschland-Cup in diesem Jahr hat sogar eine ganz besondere Bedeutung, weil er so wichtig ist für unsere Außendarstellung", sagt Söderholm.

Die Kölner Haie verkaufen zur eigenen Rettung Tickets für zehn Euro

Der sportliche Wert ist unter diesen Umständen vielleicht ein bisschen fragwürdig, aber das spielt keine primäre Rolle. Nur drei statt der sonst vier Teams - Deutschland, Lettland und eine deutsche Perspektiv-Mannschaft namens "Topteam Peking" (mit Blick auf die Winterspiele 2022) - spielen nächste Woche von Donnerstag bis Samstag gegeneinander.

Am Sonntag bestreiten die beiden Besten dann ein Endspiel. Schon ab Sonntag trainiert man dann zusammen weil keine Zeit zu verlieren ist und weil die Profis dringend Praxis brauchen, nachdem der Spielbetrieb in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) ja noch immer und seit nun schon acht Monaten ruht. Man holt die Spieler für ein paar Tage aus der Kurzarbeit ihrer Vereine heraus und schenkt ihnen Eiszeit vor dem Fernsehpublikum. Das ist schon das Höchste, was man hiesigen Eishockey-Spielern in diesen schwierigen Zeiten angedeihen lassen kann.

Aus allen Ritzen der tauenden Branche dringt dieser Tage Verzweiflung. Die DEL würde Mitte Dezember mit dreimonatiger Verspätung eigentlich sehr gerne ihre neue Spielzeit beginnen, doch angesichts dramatischer Coronawerte und diesbezüglich wachsender Restriktionen droht die Saison womöglich ganz auszufallen. Die Kölner Haie, den ruhmreichsten deutschen Klub, plagen millionenschwere Verbindlichkeiten, weshalb sie dort seit Mittwoch eigenkaritative, symbolische Tickets zum Preis von zehn Euro an ihre Fans verkaufen. Eine Million soll so zusammenkommen zur Rettung des Standorts. Es geht längst ans Eingemachte.

Im Gegensatz zu den deutschen Profifußballklubs, die in beträchtlichem Maße von Fernsehgeldern profitieren, leben die Eishockey-Vereine maßgeblich vom Hallenpublikum sowie vom Verkauf von Fanartikeln und vom Catering am Spieltag. Bis zu 80 Prozent des Etats, rechnen sie bei den Haien vor (mit mehr als 13 000 Zuschauern diesbezüglicher Krösus in der DEL), werden über spieltagsbezogene Einnahmen generiert.

Da würde es nicht einmal helfen, wenn 20 Prozent der Halle ausgelastet werden dürften. Nicht einmal 3600 Zuschauer würden dem Klub viel nützen, von Geisterspielen ganz zu schweigen. Deshalb hat man den Klubbetrieb bislang auch gar nicht erst wieder hochgefahren. Die mittelfristigen Hoffnungen wurden durch ein Votum der Politik am Mittwoch, im Profisport vorerst bis Ende November keinerlei Zuschauer mehr zu erlauben, auch nicht gerade belebt. Im Gegenteil.

Die Aufgabe eines ersten Trainings und des Gefühls, mal wieder ein relevantes Spiel zu absolvieren, übernimmt für seine Auswahlspieler deshalb fortan der DEB. Söderholm hat die tristen Sommermonate dazu genutzt, sich durch die Ansicht massenhafter internationaler Spiele taktisch weiterzubilden und in unzähligen Telefonaten mit seinen Nationalspielern zumindest fernmündliche Ermunterungen auszusprechen.

"Wir werden jetzt auch viel Taktisches zu besprechen haben", sagt er und klingt überhaupt demonstrativ so, als wolle er den wegen all der Unsicherheiten grübelnden Spielern vor allem durchs Kratzen der Kufen auf dem Eis und des satten Schlaggeräuschs beim Schießen des Pucks ein gutes Gefühl vermitteln. "Die Spieler freuen sich total", hat er aus den Vorgesprächen erfahren. Auch deshalb hat der Verband am Deutschland-Cup festgehalten. Der Gesellschaft wollen sie zeigen: Wir sind auch noch da.

Am 7. Februar hat die deutsche Mannschaft in der Schweiz ihr bislang letztes Länderspiel bestritten. Kommende Woche Donnerstag folgt das nächste gegen das deutsche Perspektivteam. Söderholm erhofft sich einen "mentalen Switch" für die Spieler, und wem die vergangenen Monate ganz besonders zugesetzt haben, wer also erhöhten Gesprächsbedarf hat, für den holen sie diesmal eigens den Sportpsychologen Tom Kossak hinzu.

"Das soll konzeptionell künftig ein Teil des Sports sein", sagt Söderholm, "wir wollten diesen Gedanken ohnehin weiterentwickeln." Die Rolle des Seelsorgers hätte der Bundestrainer damit dann aber auch gleich ein bisschen delegiert.

© SZ vom 29.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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