Dritte Liga:Hansas Zerreißprobe

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Frühe Führung: Marco Hartmann (links) trifft in der 14. Spielminute zum 1:0 für Dynamo Dresden. (Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images)

Hansa Rostock ist seit acht Spielen sieglos. Aber das ist nur die niedliche Seite der Krise: Im Machtkampf um den Klub mischen offenbar auch gewaltbereite Fans mit.

Von Thomas Hahn, Rostock

Jörg-Uwe Neumann ist ein Mann des Geistes, feingliedrig, ausgleichend. Von Beruf ist er Zahnarzt, aber das reichte ihm nicht für ein Leben als Mitglied der Bürgergesellschaft. Er leitet die Kunsthalle Rostock, das größte Museum für zeitgenössische Kunst in Mecklenburg-Vorpommern, als Vorsitzender des Vereins Pro Kunsthalle hat er dazu beigetragen, dass es nicht aufgelöst wurde. Und im Aufsichtsrat des Rostocker Herzensklubs FC Hansa sitzt er auch, was ihm jetzt das zweifelhafte Vergnügen einbringt, in diversen Interviews den Stand beim Fußball-Drittligisten zu erklären. Die Mannschaft hat gerade 1:3 (0:1) gegen Tabellenführer Dynamo Dresden verloren. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist der Unfriede im Verein, der zuletzt eskalierte. Neumann steht also auf dem Rasen des leeren Ostseestadions und versucht, den Hansa-Wahnsinn in freundliche Worte zu kleiden. "Es ist unglaublich dynamisch, was in den letzten Wochen passiert ist", sagt er.

Als Außenstehender würde man eher sagen, dass es unglaublich chaotisch ist, was zuletzt beim FC Hansa passiert ist. Denn dass er schon wieder durchwachsen in die Saison gestartet ist, ist ja wirklich nur die niedlichere Seite der Krise beim früheren Bundesligisten. Was sind schon acht sieglose Spiele in Serie gegen eine Entwicklung, die zwischendurch sogar dazu führte, dass die Polizei die Geschäftsstelle abriegelte? Eine Petitesse. Zumal es am Samstag gute Gründe für den Misserfolg gab: Das Team von Trainer Karsten Baumann ist ersatzgeschwächt und Dynamo kein Aufbaugegner; die Sachsen haben in den jüngsten acht Liga-Spielen keinen einzigen Punkt hergegeben und null Saisonniederlagen.

Hansa befindet sich gerade am Scheideweg seiner Geschichte, und wer weiß, wie tief verwurzelt dieser Verein in der Seele vieler Menschen in Mecklenburg-Vorpommern ist, dem ist klar, dass dabei nicht nur die Existenz irgendeiner Sportfirma auf dem Spiel steht. Hansa ächzt unter der Last seines sportlichen Erbes. Neumann zeigt auf die hohen Tribünen im schmucken Ostseestadion. "Sie sehen es ja hier", sagt Neumann, "es ist ein erstligataugliches Ensemble. In der dritten Liga hat man bei weitem nicht die Einnahmen wie in der ersten. Und das seit Jahren. Dieses Stadion ist eigentlich viel zu teuer für Hansa."

Die Insolvenz droht, aber Hilfe ist in der Person des Immobilienunternehmers Rolf Elgeti gekommen, der den Stadionkredit übernommen hat, um Hansa die Hälfte der Schulden zu erlassen. Mit dem Vorstandsvorsitzenden Michael Dahlmann schnürte er ein Rettungspaket, dessen Grundidee ist, dass Hansa das tut, was andere Klubs längst gemacht haben: die Profifußballabteilung aus dem Verein ausgliedern. Dieser Prozess ist sensibel. Elgeti, 38, ist zwar kein Scheich oder jordanischer Großkaufmann, sondern ein Bauernsohn aus Broderstorf, der nach Einser-Abitur und Schnellstudium Karriere machte; Elgeti galt schon als brillanter Finanzanalyst, ehe er die Firma TAG als Vorstandsvorsitzender binnen fünf Jahren zu einem der größten deutschen Wohnimmobilien-Unternehmen entwickelte. Aber Immobilien-Manager stehen nun mal nicht im besten Ruf, auch an Elgeti gab es schon - letztlich unbestätigte - Zweifel, ob er sich als TAG-Chef bei privaten Deals bereichert haben könnte. Und dass Dahlmann, 37, den Hansa-Aufsichtsrat über die Verträge mit Elgeti erst spät informierte, machte das Vertrauen nicht größer.

"Ich kann diese Stümperei nicht mehr mit ansehen", sagte der neue Investor - und kandidiert

Jedenfalls herrscht vor der Mitgliederversammlung am 1. November ein Machtkampf, in den sich offenbar auch gewaltbereite Fans einbringen. Am Mittwoch veröffentlichten Ostseezeitung und NDR E-Mails, in denen Dahlmann Absprachen mit Vertretern der Ultra-Szene traf, die gegen den Aufsichtsrat mit dem Vorsitzenden Harald Ahrens zielten. Die Polizei nahm die Geschäftsstelle in Beschlag, als sie den Tipp bekam, dass Dahlmann mit Vertretern der Ultras dort spät abends zugange sei. Tags darauf trat Dahlmann zurück. Medien berichteten, dass Hardliner der Fanszene schon lange Druck machten, damit Elgeti statt des altgedienten Ahrens in den Aufsichtsrat einziehen könne. Harald Ahrens polterte in einem Beitrag für das Hansa-Internetportal gegen Elgeti: "Wir wurden alle hinters Licht geführt." Elgeti wiederum schrieb in einem offenen Brief: "Ich kann diese Stümperei nicht mehr mitansehen." Er werde am 1. November für den Aufsichtsrat kandidieren.

"Das Verhältnis zwischen Herrn Ahrens und Herrn Elgeti ist gestört", sagt Jörg-Uwe Neumann in seiner höflichen Art. Er will Ahrens nicht zu nahe treten. Trotzdem muss er dessen Anti-Elgeti-Kurs als "seine persönlichen Einschätzungen" bezeichnen, um dann zu bestätigen, dass Hansa die Ausgliederung und Elgetis Hilfe dringend braucht. Neumann findet den Rücktritt Dahlmanns gut, aber er findet auch die Verträge, die Dahlmann mit Elgeti ausgehandelt hat, gut. "Das ist ein korrekter Prozess, der da angestrebt wurde." Neumann hat vor dem Dresden-Spiel mit Elgeti gesprochen: "Er steht zu seinen Schuldenerlassen. Darüber bin ich sehr froh." Rolf Elgeti ist Hansas Rettung, aber auch der Geistesmensch Neumann kann noch nicht wissen, wie sehr diese Rettung den Verein verändern wird.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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