Dritte Liga:Die Handwerker

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Ich sehe was, was du nicht siehst! Osnabrücks Benjamin Girth (links) ist beim Luftduell mit Braunschweigs Nils Rütten im Vorteil. (Foto: osnapix/imago)

Der VfL Osnabrück steht für einen Fußball, der nicht rumspinnt. Dank seiner Bodenständigkeit steht der Drittligist vor dem Aufstieg.

Von Thomas Hahn, Osnabrück

Zur Feier des Niedersachsen-Derbys strahlte eine pralle Sonne über dem Osnabrücker Stadion Bremer Brücke. Die Fans des VfL trugen Trikots mit kurzem Arm und ihre Schals locker um den Hals. Sie waren guter Dinge, noch bevor der Kampf gegen Eintracht Braunschweig begann. Gerührt lauschten sie der Vereinshymne, in der es heißt: "Wir sind alle ein Stück VfL Osnabrück." Und beim Spiel trugen sie dazu bei, dass die Mannschaft ihre Kraft entfalten konnte, beklatschten ihre gelungenen Aktionen, murrten nicht, wenn etwas nicht klappte, jubelten dankbar, als Benjamin Girth per 16-Meter-Drehschuss in der 23. Minute das 1:0 erzielte. Und als der 1:0-Sieg feststand, schwelgten sie in lila-weißer Seligkeit. Oder sogar schon in Aufstiegsstimmung?

1978 ist unvergesslich: Da gewann der VfL im Pokal in München. Gegen den FC Bayern

Das Derby der Niedersachsen ist nicht nur ein emotionaler Höhepunkt der Drittliga-Saison gewesen. Es hat auch jene Mannschaften zusammengebracht, deren Geschichten diese Spielzeit prägen. Osnabrück. Braunschweig. Beide hatten jeweils einen Neuanfang mit umgebauten Teams geplant, als sie in die Runde starteten. Die Eintracht nach einem überraschenden Abstieg aus der Zweiten Liga. Der VfL nach einer Saison, in der er als Tabellen-Siebzehnter fast in der Regionalliga gelandet wäre. In Braunschweig klappte dann zunächst so gut wie nichts, in Osnabrück ziemlich viel, und jetzt gelten beide als Attraktionen: Nach ein paar zielgenauen Transfers ist die Eintracht, 2014 noch Erstligist, vom letzten Platz in die Nichtabstiegszone geklettert. Und der VfL Osnabrück ist als Tabellenführer erster Aufstiegskandidat mit neun Punkten Vorsprung auf Platz zwei.

Zwei benachbarte Traditionsklubs, zwei wechselhafte Geschichten. Wobei Eintracht Braunschweig, der Deutsche Meister von 1967, in seiner Geschichte die größeren Ausschläge nach oben erlebt hat als der VfL Osnabrück, der nach der Einführung der Bundesliga 1963 ein Pendler zwischen Zweit- und Drittklassigkeit blieb. Bewegt ist die VfL-Historie trotzdem, sie weist Nah-Pleite-Erfahrungen, diverse Drittliga-Meisterschaften und ein denkwürdiges Pokal-5:4 von 1978 im Münchner Olympiastadion gegen den FC Bayern auf. Der VfL Osnabrück ist eine Konstante im deutschen Fußball, ein etablierter Außenseiter. "Das Markante fehlt", sagen Osnabrücker mit klarem Blick auf ihren Herzensklub.

Aber gerade ist die VfL-Gemeinde wieder im Hoch. Die Mannschaft besticht mit Freude am Arbeitssieg, gewinnt ständig knappe Spiele, stiftet eine neue Begeisterung in der eher unscheinbaren 160000-Einwohner-Stadt. Dahinter stecken zwei kluge Köpfe: Trainer Daniel Thioune, 44, gebürtig aus Georgsmarienhütte, Landkreis Osnabrück, früherer VfL-Profi, sowie dessen Chef, der junge Sportdirektor Benjamin Schmedes, 34.

Wenn es sein muss, dann sitzt auch mal der Kapitän Marc Heider auf der Bank

Schmedes, ehemals Leiter der Scouting-Abteilung beim Hamburger SV, ist seit Dezember 2017 im Amt. Als er kam, herrschte Krisenstimmung. Thioune hatte von VfL-Idol Joe Enochs ein Team übernommen, in dem die Balance nicht stimmte. Mit Ach und Krach brachten die beiden die Saison hinter sich, und die Begeisterung war mäßig, als Schmedes nach dem Klassenerhalt beschloss, Thioune weiterzubeschäftigen.

Schmedes ist ein schmaler, ernsthafter Mann, der sich nicht von Stimmungen leiten lässt. Nüchtern analysierte er den Saisonverlauf und stellte fest: "Der Trainer hat vieles richtig gemacht." Außerdem sah er, wie konsequent Thioune die Idee eines beseelten Mutfußballs verfolgte, wie klar er seine Entscheidungen erklärte und wie unbeeindruckt er von äußeren Einflüssen agierte. Der Mann passte zu seiner Idee vom neuen VfL.

Der neue VfL nach Schmedes ist ein Fußballklub, der nicht rumspinnt. "Von den infrastrukturellen Möglichkeiten haben wir keine natürliche Berechtigung, in der zweiten Bundesliga zu spielen", sagt er. Aber den Anspruch, irgendwann mal wieder dorthin zu kommen, kann er haben, mit ehrlicher Arbeit und Herz. "Immer die volle Leidenschaft, das muss das Spiel der Mannschaft widerspiegeln", sagt Schmedes. Wenn ein Vernunftmensch wie er von Leidenschaft spricht, klingt es manchmal so, als würden Gefühle zum Produkt. Aber wenn man die Osnabrück-Mannschaft heute betrachtet, kann man sehen, dass Leidenschaft nicht nur ein Wort auf einem Zettel war für Schmedes. "Ich glaube, dass man aus individuellen Motiven eine Mannschaft kreieren muss, die als Ganzes in die richtige Richtung strebt", sagt er.

18 Fußballer mussten nach der Saison 2017/18 gehen, weil ihr Engagement für Schmedes nicht mehr zum VfL-Profil passte. "Wir wollten Spieler, die aus ihrer Eigenmotivation gewillt sind, jederzeit ans Maximum zu gehen." Lauter Männer, die aus unterschiedlichen Gründen noch was beweisen wollen, formen seither den 27-Mann-Kader. Eitelkeiten sind verboten, Müßiggang auch, im zehrenden Alltag der Dritten Liga mit 38 Spieltagen und stundenlangen Busfahrten zu Auswärtsspielen, hat sich jeder unterzuordnen. Fast jeder hatte schon seine Einsatzzeit. Und wenn Thioune der Meinung ist, aus taktischen Gründen wechseln zu müssen, sitzt auch mal einer wie Kapitän Marc Heider auf der Bank.

"Das Tempo der Entwicklung ist enorm", sagt Schmedes. Er hatte nicht geplant, im Jahr des Umbruchs den Aufstieg vor Augen zu haben. Jetzt ist es so. Aber keiner hebt ab. "Wir haben in den letzten Monaten gemerkt, wie viel wir investieren müssen, um Spiele erfolgreich zu gestalten", sagt Trainer Thioune. Gegen Braunschweig auch wieder. Der 32. Spieltag ist vorbei, sechs weitere folgen, und die Osnabrücker weigern sich, dem Neun-Punkte-Vorsprung zu trauen.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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