Würzburger Kickers:Eins minus

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Soll die Würzburger Kickers wieder aufbauen: Michael Schiele. (Foto: Jan Huebner/imago)

Zum einjährigen Dienstjubiläum des Trainers Michael Schiele tritt Würzburg beim TSV 1860 an.

Von Sebastian Leisgang

Am Freitagabend hat sich Michael Schiele noch mal an seinem Schreibtisch niedergelassen. Zu einer Zeit, zu der sich andere auf ein Gläschen Wein auf der alten Mainbrücke treffen oder die Beine nach einer anstrengenden Woche auf dem Sofa hochlegen, da setzt sich der Trainer der Würzburger Kickers an die Arbeit.

Er habe tags zuvor etwas weniger gemacht, verrät Schiele, deshalb müsse das jetzt sein, schließlich steht seiner Mannschaft an diesem Montag (19 Uhr) eine anspruchsvolle Aufgabe bevor: ein Auswärtsspiel beim TSV 1860 München. "Micha beschäftigt sich 24 Stunden am Tag mit Fußball", sagt Würzburgs Sportdirektor Daniel Sauer. Schieles Eifer geht zwar nicht so weit, dass er auch den FC Bad Kissingen analysiert, selbst wenn der Gegner in der ersten Runde des bayerischen Pokals so heißt - der TSV 1860 erfordert aber seine volle Aufmerksamkeit. Da ist auch an einem Freitagabend nun mal nicht an Wein oder ans Sofa zu denken.

Und ohnehin: Diese Akribie bringt ihm nun ein Dienstjubiläum ein. Jetzt steht Michael Schiele, 40, im Gang des Stadions am Dallenberg und lässt die zurückliegenden Monate Revue passieren. Ein Jahr im Amt: Diese Marke bietet zwar noch keinen Anlass, das alte Fotoalbum aus dem Schrank zu kramen und sich über die damaligen Frisuren zu amüsieren. In dieser äußerst schnelllebigen Branche ist es "abbr au nedd vrkehrd", wie Schiele sagen würde, ein Jahr hinter sich gebracht zu haben.

An diesem Dienstag sind exakt 365 Tage seit Stephan Schmidts Entlassung und Schieles Inthronisierung vergangen, dabei deutete nach den ersten drei Spielen unter seiner Federführung nichts darauf hin, dass er überhaupt ein viertes Spiel erleben würde. Nach dem Aus im bayerischen Pokal in Rosenheim (4:5 i.E.) und den Niederlagen in Karlsruhe (0:2) und gegen Wehen Wiesbaden (0:5) war vielmehr zu befürchten, dass aus dem Übergangstrainer Schiele schon bald der Untergangstrainer Schiele werden würde - der Coach, unter dem die Würzburger nach dem rasanten Aufstieg in die zweite Bundesliga den abrupten Fall in die Regionalliga erleben würden. Die Kickers fanden sich am Tabellenende wieder, die Mannschaft schien zu viele Häuptlinge, aber keinen Charakter zu haben, und Schiele wirkte überfordert. Sogar ihn selbst beschlichen zu dieser Zeit Zweifel, ob er der Aufgabe überhaupt gewachsen sei - doch Sportdirektor Sauer nahm Risiken und Nebengeräusche in Kauf und erklärte den Interimscoach zur Dauerlösung. "Natürlich war das mutig", sagt Sauer heute, "aber wir standen zu hundert Prozent dahinter. Micha hat eine hohe fachliche Kompetenz - und darüber hinaus eine hohe soziale Kompetenz. Das gibt es nicht so oft."

Schon vor einem Jahr hatte er solche Sätze gesagt und schien damit die Zeichen der Zeit zu verkennen. Heute wäre es zwar zu pathetisch, zu behaupten, Sauer sei seiner Zeit voraus gewesen - doch zumindest halten ihm die Leute in der Stadt jetzt nicht mehr mit aufrichtiger Abneigung vor, eine Vergangenheit im Handball zu haben.

Schiele ist kein Trainer, der die Neigung der Grashalme berechnet

Vor einem Jahr zogen sie diese noch als Beleg für seine hohe fachliche Inkompetenz heran, warfen ihm so manche unsachliche Bemerkung an den Kopf und legten ihm den Rücktritt ans Herz. Jetzt steht auch Sauer, 36, im Gang des Stadions am Dallenberg und versieht Schieles Jahreszeugnis mit der Note eins. Dann hält er noch mal inne und korrigiert sich. "Eins minus", sagt er schließlich und lacht, Zufriedenheit sei ja nie förderlich. Dann lobt er Micha noch einmal für sein außerordentliches taktisches Verständnis, seine Menschenführung und seine offene, zugängliche Art.

Schiele gehört nicht dieser neumodischen Trainergilde an, die vor den Spielen die Windrichtung und die daraus resultierende Neigung der Grashalme berechnet, um eine gewinnbringende Taktik aus diesen Erkenntnissen abzuleiten. Er besitzt zwar einen Laptop, den er zur Hilfe nimmt, um den Gegner haarklein zu analysieren, in ihm steckt aber auch ein Geht-raus-und-spielt-Fußball-Trainer. Damit hat er seine Mannschaft in der zurückliegenden Saison nach dem Fehlstart vom Tabellenende auf Rang fünf geführt, nun spricht Schiele von einem Jahr "mit Höhen und Tiefen - wobei die Höhen überwogen haben".

Er sei zufrieden mit den vergangenen Monaten, sagt er, und ja, das Spiel an diesem Montagabend beim TSV 1860 sei wie gemalt. "Was will man mehr?", fragt Schiele - dabei kennt er die Antwort: drei Punkte zum Jubiläum.

© SZ vom 01.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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