DOSB-Kritik von Imke Duplitzer:Retourkutsche auf der Heile-Welt-Schiene

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Die Führungsspitze des deutschen Sports wehrt den Vorstoß von Fechterin Imke Duplitzer ab: Dabei trifft ihre Kritik am erstarrten System auf Zustimmung - für Olympia denken die kritischen Athleten im deutschen Team bereits über weitere Maßnahmen nach.

Thomas Kistner

Deutschlands Sport-Spitzenfunktionäre haben die Fundamentalkritik der Fechterin Imke Duplitzer erwartungsgemäß gekontert - Substanzielles trugen sie dabei nicht vor. Duplitzer hatte in Interviews ein erstarrtes nationales Sportsystem mit gravierenden Defiziten im Trainer- und Nachwuchsbereich gerügt und den DOSB-Spitzen Thomas Bach und Michael Vesper zu große Distanz zu den Athleten vorgehalten: "Ich glaube, die raffen das gar nicht mehr. Das, was die erzählen, zählt für 0,5 Prozent der 392 deutschen Olympia-Sportler."

"Unser Verband kriegt nix geregelt. Von einer Strategie sind wir weit entfernt": Fechterin Imke Duplitzer. (Foto: dapd)

Insofern war erhellend, dass Bachs Retourkutsche am Montag auf just jener Heile-Welt-Schiene daherkam, die Duplitzer als Schimäre fürs Publikum angeprangert hatte: "Die begeisternde Stimmung in der Mannschaft bleibt ungetrübt durch eine vereinzelte Meinung aus der Heimat. Wir werden uns dadurch nicht beeindrucken lassen", erzählte der DOSB-Chef bei der Eröffnung des deutschen Hauses in London.

Sein Generalsekretär Michael Vesper, zugleich Chef de Mission der deutschen Olympiamannschaft, mochte nicht ganz ohne Drohung auskommen; er spielte auf die auch von Duplitzer unterzeichnete Athletenerklärung an mit dem Hinweis, er wisse nicht, "ob sie die vergessen hat". Der Vorstoß der Fechterin sei zur Unzeit erfolgt, sie habe "im Vorfeld keinen einzigen Vorschlag gemacht, wie die von ihr kritisierten Punkte zu verbessern sind", teilte Vesper mit. Nach Olympia soll ein klärendes Gespräch stattfinden. Das könnte auch Konsequenzen für die Fechterin haben.

Imke Duplitzer war selbst überrascht von der Wucht, die ihr Vorstoß in der auf olympische Vorfreude gebürsteten Sportlandschaft entfaltet hat. Sogar um ihr London-Ticket bangte sie kurz. Diesbezüglich gab es am Montagmittag Entwarnung: Ihr sei "signalisiert worden, dass ich nicht aus der Mannschaft geworfen werde", sagte sie der SZ. Am Mittwoch wird sie auf die Insel fliegen und hoffen, dass ihr dort nicht allzu viele Widrigkeiten begegnen in der letzten Wettkampfvorbereitung.

Von ihrer Strukturkritik rückt die resolute 37-Jährige aber nicht ab. Zumal sie dafür jede Menge Zuspruch aus Athletenkreisen erhalten habe, nicht nur ihr Facebook-Profil sei "fast geplatzt". Wenn ihre Kräfte reichen, will sie auch in London das Thema weiterverfolgen, das ihr unter den Nägeln brennt: "Es gibt keinen ehrlichen Dialog in Deutschland über das Thema: Wollen wir überhaupt noch Leistungssport - und wenn ja, welchen?"

Der lockere Umgang der DOSB-Spitzen mit der Causa scheint Duplitzers Thesen zu unterfüttern. Diese machte im Herbst 2011 ihr Trainerdiplom. In den drei Ausbildungsjahren habe sie "viel mitgekriegt, auch aus anderen Sportverbänden. Und wenn es immer dieselben Probleme, Sorgen, Nöte sind, wenn es da also kaum echte Unterschiede gibt, dann muss das am System liegen."

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Bei den Spielen 2008 in Peking hatte Duplitzer wegen Chinas Menschenrechtspolitik die Eröffnungsfeier boykottiert. Ihr Bekennermut machte sie in Sportlerkreisen zu einer gesuchten Gesprächspartnerin. Auch daraus schöpft sie nun ihre Innenansichten, sie sagt: "Viele Athleten kommen zu mir und heulen sich aus darüber, dass bei ihren Verbänden nichts vorwärts geht." Insgesamt, sagt sie, seien das schon "15 bis 20 Verbände, aus denen ich das höre".

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Duplitzer beklagt die Abwanderung von Trainern, deren Job in Deutschland keine gesellschaftliche Anerkennung erfahre. Zudem prognostiziert sie: "Wir haben ein Nachwuchsproblem. Junge Leute haben dank der G8-Gymnasien kaum noch Zeit für Leistungssport." Besserung sei nicht in Sicht, zumal es in den Kultusministerien an Sensibilität fehle: "In Deutschland kannst du als Leistungssportler nicht mal eine Klausur an der Schule oder der Universität verschieben."

Das Defizit an Planungssicherheit für den Athleten würde durch Mangel an Anreizen ergänzt. Duplitzer verweist auf Frankreich: "Dort werden Sportler steuerlich wie Künstler eingestuft." Dem Gros der Athleten, die nicht im Scheinwerferlicht steht, gehe es auch darum, "mal eine Art Anerkennung zu finden, nicht nur alle vier Jahre aus dem Schrank geholt zu werden, wenn Olympia ist".

Wenn Olympia ist, bietet sich indes auch die Chance, das Thema dem breiten Publikum darzulegen. Ein kritischer Athletenkreis denkt über weitere Maßnahmen nach; etwa einen offenen Brief während der Spiele. Das könnte eine richtige Gesprächsvorlage sein, wenn die DOSB-Spitzen Duplitzer zum Rapport bestellen.

© SZ vom 24.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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