Dortmund:Dreckig brillieren

Lesezeit: 3 min

Das mühsame 2:1 in Augsburg beweist, dass die Borussia unter Peter Bosz verwundbar ist. Doch die Offensiv-Qualität des BVB genügt derzeit für die Bundesliga-Spitze.

Von Sebastian Fischer, Augsburg

Peter Bosz hätte schwärmen können, und wahrscheinlich hätte ihm erst mal niemand widersprochen. Der Trainer von Borussia Dortmund ist ja ein bekennender Fußball-Ästhet, und es mangelte nicht an Ästhetik an diesem Nachmittag in Augsburg. Da waren der Hackentrick von Andrij Jarmolenko zum 1:0 und natürlich das Tor von Shinji Kagawa zum 2:1, das bislang schönste der Saison, surreal wie eine Erzählung von Murakami. Der Japaner lupfte mit einem Kontakt aus vollem Lauf von der Strafraumgrenze, der Ball flog über Torhüter Marwin Hitz in den Winkel.

Doch Bosz erwähnte von all dem in seiner Analyse zunächst nichts. Er sagte: "Heute war das schlechteste Spiel, seit ich Trainer vom BVB bin." Und das sagte viel über die Ambitionen der Dortmunder. Denn wenn sie in ihren schlechtesten Spielen ausreichend brillieren, um den FC Augsburg, einen der unangenehmsten Gegner der Liga, 2:1 zu schlagen, wo führt das hin?

"Wenn du so spielst und gewinnst, dann ist es groß", sagte Verteidiger Sokratis, "in den letzten zwei, drei Jahren haben wir jedes dieser Spiele verloren oder Unentschieden gespielt." Gonzalo Castro nannte den Sieg "dreckig". Ob das bedeute, dass in dieser Saison ein spannender Kampf um den Titel anstehe, wurde wiederum Sokratis gefragt: "Ich glaube schon", sagte er.

Der BVB ist Erster, hat sechs von sieben Bundesligaspielen unter Bosz gewonnen, alle Arten von Siegen (und ein Unentschieden) waren dabei, brillant wie beim 6:1 gegen Gladbach, solide wie beim 2:0 gegen Hertha BSC und nun also auch glücklich.

Nach Kagawas Kunstwerk hatte der BVB in Augsburg das Fußballspielen nahezu eingestellt, wie Bosz kritisierte. Die Gastgeber kamen zu zahlreichen Chancen, die Dortmunder wirkten im fünften Spiel binnen zwei Wochen müde, ihre Defensive war verwundbar.

Rekord-Traumtor: Kein Japaner hat in der Bundesliga häufiger getroffen als Shinji Kagawa – 38 Mal. (Foto: Christof Stache/AFP)

Er habe nicht das Gefühl gehabt, "dass wir das durchziehen können", sagte Bosz. Obendrein vergab Pierre-Emerick Aubameyang zwei Gelegenheiten so, wie ein Stürmer seiner Klasse sie eigentlich nicht vergeben darf. Er lief alleine auf Hitz zu und stieg zweimal über den Ball, anstatt zu schießen. Und er lupfte Augsburgs Torhüter einen Elfmeter plump in die Arme.

Doch statt diese Symptome, die bereits zu Champions-League-Niederlagen gegen Tottenham und Real Madrid geführt hatten, zu beunruhigenden Tendenzen zu erklären, sahen alle Dortmunder hinterher das große Ganze, das beim BVB derzeit alles andere als beunruhigend ist. "Fast 100 Prozent Ausbeute, das fühlt sich richtig gut an", sagte Sportchef Michael Zorc.

Auf Fragen zur Leistung einzelner Mannschaftsteile ließ er sich nicht ein, die Unterscheidung zwischen Abwehr und Angriff sei "ein bisschen altmodisch", sagte Zorc. Sie vertrauen beim BVB zu fast 100 Prozent auf den des Altmodischen unverdächtigen Bosz-Fußball. Obwohl es schon sehr einfach aussah, wie Augsburgs Philipp Max in der 11. Minute flankte, Caiuby quasi freistehend am Dortmunder Fünfmeterraum zum Kopfball hochsprang und zum zwischenzeitlichen 1:1 ausglich.

Bosz war zwar kritisch, doch er sprach Aubameyang vom Vorwurf frei, den Elfmeter arrogant vergeben zu haben; "Auba schießt", antwortete er auf die Frage, ob künftig ein anderer die Strafstöße ausführen dürfe, da der Stürmer zum fünften Mal in weniger als zwei Jahren vergeben hatte.

Und Bosz sagte zwar, er wünsche sich nicht, dass dies nun eine Qualität seiner Mannschaft sei: auch schwache Spiele zu gewinnen. Doch man konnte es schon als eine Art Lob verstehen, als er sagte, dass eine Mannschaft in jeder Saison zwei solcher Spiele abliefere: "Meistens verliert man diese Spiele." Der BVB hat nun also drei Punkte mehr als geplant. Und bereits sechs Punkte mehr als nach sieben Spieltagen in der vergangenen Saison.

Läppisch gelupft: Dortmunds Torjäger Aubameyang versucht, den Augsburger Torwart Marwin Hitz beim Elfmeter zu narren – und sieht selber alt aus. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Unter der Woche hat Bosz sein erstes großes Interview seit seiner Ankunft im Sommer gegeben und der WAZ bestätigt, dass es ihn überrasche, wie gut sein System in der Bundesliga bereits funktioniere. Der BVB ist in einer Liga der Kontermannschaften eines der wenigen Teams, das sich zum Offensivfußball bekennt. Bei eigenen Angriffen stand Sokratis als letzter Mann oft meterweit in der gegnerischen Hälfte.

Als Bosz in der vergangenen Saison Ajax Amsterdam übernahm, dauerte es rund drei Monate, bis sich die Spieler an seine Ideen gewöhnten. Auch die Dortmunder Mannschaft braucht noch Zeit, um insbesondere in der Rückwärtsbewegung nicht derart große Räume für Gegenangriffe offenzulassen wie gegen Augsburg. Doch anders als in Amsterdam 2016 macht sich der Lernprozess beim BVB 2017 nicht in der Tabelle bemerkbar. "Wir sind Erster, das ist das Wichtigste", sagte Sokratis, "wir hoffen, dass wir nach jedem Spiel Erster sind."

Es ist eine Hoffnung, die durchaus realistisch zu sein scheint, weil genügend herausragende Individualisten den taktischen Aufholbedarf wettmachen. Ein kleines bisschen hat deshalb sogar Bosz geschwärmt. Kagawas Tor? "Das ist Qualität", sagte er.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: