Fünf Mal brandete überschwänglicher Jubel auf beim 4:0-Sieg von Borussia Dortmund gegen Eintracht Frankfurt. Vier Tore, fünf Mal Jubel. Denn den ersten Jubel in der vierten Minute gab es für eine Grätsche des neuen Abwehrspielers Emre Can. Der Frankfurter Filip Kostic, einer der besten Dribbler der Bundesliga, war mit dem Ball in den Dortmunder Strafraum eingedrungen und hatte nur noch Can neben sich, ehe ein gefährlicher Torschuss drohte. Da setzte der 26 Jahre alte Can, vor zwei Wochen erst vom italienischen Meister Juventus Turin gekommen, zur ultimativen Grätsche an.
So eine Alles-oder-Nichts-Grätsche im eigenen Strafraum in der vierten Minute nach zwei Niederlagen und vor einem brenzligen Champions-League-Spiel gegen Paris Saint-Germain ist ein neuralgischer Augenblick. Geht die Grätsche schief, dann gibt es Elfmeter, dann hätte Frankfurt in Führung gehen und anschließend genüsslich einen Sieg erpressen und erkontern können. Cans riskante Grätsche hätte Borussia Dortmund nur noch tiefer hineingetrieben in die Krise.

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Der BVB holt die im Titelrennen so wichtigen drei Punkte. Der souveräne 4:0-Erfolg gegen Frankfurt macht der Mannschaft Mut.
Doch es wurde eine brillante Grätsche. Can separierte Kostic trotz Höchsttempo geradezu chirurgisch vom Ball, und die Fans jubelten. Diese Grätsche war ein Fanal. Frankfurt kam in den nachfolgenden 86 Minuten zu keiner einzigen Chance mehr und Dortmund schoss vier Tore.
Kein besonders filigraner Fußballer, eher der Typ Bodyguard
Nach dem Schlusspfiff war Can wie berauscht und formulierte Dinge, die man als Kampfsansage an die Konkurrenten in der Bundesliga und der Champions League verstehen durfte. Er sagte: "Diese Mannschaft hat extrem viel Potenzial, und wenn wir alle zusammen so verteidigen, dann kann das hier ganz groß werden."
Als Dortmund zehn Tage zuvor ein Pokalspiel bei Werder Bremen mit 2:3 verlor, wurde Can in der 89. Minute eingewechselt und konnte kaum etwas daran ändern. Als Dortmund sechs Tage zuvor sein Ligaspiel bei Bayer Leverkusen mit 3:4 verlor, spielte Can schon von Anfang an mit und war auch direkt einer der besten Borussen, aber auch er konnte die beiden späten Leverkusener Siegtreffer nicht verhindern. In seinen ersten beiden Spielen im Dortmunder Trikot erlebte er also sieben Gegentore. Das wurmte ihn, war er doch aus Turin geholt worden, um genau so etwas zu verhindern. Und genau so spielte er dann auch in seinem ersten Heimspiel in Deutschlands größtem Fußballstadion vor 81.365 Zuschauern.
Emre Can ist kein besonders filigraner Fußballer, eher der Typ Bodyguard, Türsteher. Und weil er fußballerisch ebenso wie rhetorisch gern auf Nummer sicher geht, benutzt er Adjektive und Adverbien gerne doppelt. Nach dem Sieg gegen Frankfurt sagte er: "Der Trainer hatte uns ganz, ganz genau gesagt, wie wir die Frankfurter anlaufen sollen, und das haben wir als Mannschaft sehr, sehr, gut gemacht - wenn wir so stabil bleiben, dann kann das hier noch sehr, sehr erfolgreich werden."
Um solchen Doppelungen zu huldigen, darf man also behaupten: Der 26-Jährige tanzte in Dortmunds Defensive den Can-Can. Das ist zwar eigentlich ein 200 Jahre alter Tanz aus einer Operette von Jacques Offenbach und wird französisch ausgesprochen, passt in seiner musikalischen Pracht aber wiederum umso besser zum physischen Fußball des deutschen Nationalspielers. In so manchem Stadion dieser Welt wurde der Can-Can auch schon als Tor-Musik eingespielt.
Mit klassischer Musik hat es Can freilich nicht so. An Offenbachs Operette "Orpheus in der Unterwelt" dürfte ihm der düstere Titel noch am besten gefallen. Der gebürtige Kölner Offenbach starb 1880 in Paris, und deren Ausnahmemannschaft namens Saint Germain mit ihrem deutschen Trainer Thomas Tuchel gastiert am Dienstag in Dortmund. "Paris", sagt Can, "das ist eine der besten Mannschaften der Welt, gegen die dürfen wir auf keinen Fall wieder passiv werden, sondern müssen weiter so nach vorne spielen."
Die Pariser sind so gut, dass sich dann zeigen wird, wie präzise Cans Grätschen wirklich sind. Axel Witsel, sein Nebenmann im defensiven Dortmunder Mittelfeld, sagt: "Gegen Paris wird's schwierig. Die sind offensiv eines der besten Teams in Europa. Ich weiß gar nicht, ob Neymar spielen wird oder ob er verletzt ist, aber auch Kylian Mbappé und Mauro Icardi sind extrem gefährlich. Icardi siehst du bis zum Strafraum eigentlich kaum, aber sobald er darin auftaucht, schießt er auch schon ein Tor."
Man muss Emre Can diese Worte unbedingt übermitteln. Dann wird sein Ehrgeiz ultimativ geweckt sein.