Dopingfall Ovtcharov:Freispruch - trotz positiver Tests

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Ein Novum im deutschen Sport: Obwohl Dimitrij Ovtcharov zweimal positiv auf Clenbuterol getestet wurde, spricht der Deutsche Tischtennis Bund seinen Nationalspieler frei. Aus vielerlei Gründen.

Carsten Eberts

Am Ende seiner Erklärung war Thomas Weikert wieder zu Scherzen aufgelegt. "Es wird nicht so sein, dass wir nicht mehr mit den Chinesen zusammen essen", sagte der Präsident des Deutschen Tischtennis Bundes (DTTB) am Freitagmittag in Frankfurt. Weikert war bemüht, Lockerheit zu versprühen, denn zuvor hatte er eine bemerkenswerte Entscheidung verkündet: Trotz positiver A- und B-Probe spricht der DTTB seinen Nationalspieler Dimitrij Ovtcharov vom Dopingvorwurf frei. Der Weltranglistenzwölfte war im August positiv auf Clenbuterol getestet worden - und gab an, das hierzulande verbotene Muskelaufbaumittel unwissentlich bei einem Turnier in China zu sich genommen zu haben, wo er Fleisch von Kälbern aß, die offenbar damit gemästet worden seien.

"Ich bin sehr erleichtert, dass diese Tatsache nun für jedermann nachvollziehbar ist": der Tischtennisprofi Dimitrij Ovtcharov nach der Entscheidung des Verbands. (Foto: dapd)

Ein Beweis für Ovtcharovs Unschuld ist das nach wie vor nicht - ebenso wie nicht belegt werden kann, dass Ovtcharov wissentlich gedopt hat. "Einstimmig" habe das DTTB-Präsidium trotzdem entschieden, die Suspendierung Ovtcharovs aufzuheben und kein Verfahren gegen ihn einzuleiten, teilte Weikert mit: "Wir haben diesen Fall mit kühler Überlegung analysiert und von neutralen, wissenschaftlichen Instanzen analysieren lassen. Es liegt kein schuldhafter Verstoß vor. Ab heute ist Ovtcharov wieder spielberechtigt."

"Höchst unwahrscheinlich"

Bei einem positiven Befund liegt es am Sportler zu beweisen, wie das Mittel in seinen Körper kam. Dies ist Ovtcharov nicht möglich, das weiß auch der DTTB. "Er kann das Fleisch nun mal nicht mehr hervorwürgen", sagt Ovtcharovs Anwalt Michael Lehner. Gemeinsam mit Wissenschaftlern hat der Profi vom russischen Klub Fakel Orenburg dennoch Indizien gesammelt, denen der DTTB nun Glauben schenkt. Zum einen erwies sich eine freiwillige Haarprobe Ovtcharovs, die das Mittel bei langfristiger Einnahme hätte aufweisen müssen, als negativ.

"Aufgrund der Tatsache, dass der Einsatz von Clenbuterol in der Tiermast bekannt ist, ist eine Aufnahme von Clenbuterol über verunreinigte Lebensmittel die wahrscheinlichste Befunderklärung", heißt es in der Begründung des Kölner Experten Wilhelm Schänzer, der mit dem DTTB zusammengearbeitet hat: "Eine dopingrelevante Anwendung von Clenbuterol ist höchst unwahrscheinlich." Zum anderen wurden auch bei Teamkollegen wie Timo Boll minimale Spuren von Clenbuterol gefunden, was Ovtcharovs Version stützt.

Da erscheint auch eine andere Art der Begründung schlüssig, die sonst nicht zur Entlastung herangezogen werden darf: Es macht keinen Sinn für den filigranen Ovtcharov, mit Clenbuterol zu dopen. Der Uralt-Kraftmacher, früher zur beschleunigten Kälbermast verwendet und mittlerweile in Europa verboten, kann als Nebenwirkung zittrige Hände verursachen. Ein Umstand, der für den Tischtennissport wenig förderlich ist.

Nada prüft Einspruch

Der Fall zeigt erneut die Schwächen des aktuellen Anti-Doping-Systems auf- und verdeutlicht zugleich, welche zukünftigen Anforderungen auf die Dopingjäger zukommen. Wie wollen die internationalen Verbände künftig mit kontaminierter Nahrung umgehen? Wer will festlegen, was Sportler in welchem Land zu sich nehmen dürfen?

Für den DTTB ist die Angelegenheit erstmal erledigt - nicht für die internationalen Verbände: Die Nationale Anti- dopingagentur (Nada), die Welt-Anti- Doping-Agentur (Wada) oder der Tischtennisweltverband (ITTF) können Einspruch gegen die Entscheidung einlegen. "Wir werden die Einstellungsbegründung des DTTB genauestens prüfen und selbstverständlich auch die Wada informieren", sagt Nada-Sprecher Berthold Mertes. Erst danach könne entschieden werden, ob die Nada Einspruch erhebt. Zu erwarten ist dieser Schritt nicht: Zu eng war die Zusammenarbeit zwischen DTTB und Nada im Fall Ovtcharov. Die bezeichnete auch Mertens als "umfassend und vernünftig".

Ovtcharov ließ eilig eine Erklärung verbreiten. Er sei "überglücklich", dass er nun wieder seinem Beruf nachgehen kann: "Obwohl ich für mich selbstverständlich immer wusste, niemals gedopt zu haben, bin ich sehr erleichtert, dass diese Tatsache nun für jedermann nachvollziehbar ist."

© SZ vom 16.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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