Dopingdebatte im Schwimmen:Wunderschwimmerin Ye wehrt sich

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"Natürlich sind die Vorwürfe unfair": In einer Pressekonferenz widerspricht die 16-jährige Rekordschwimmerin Ye Shiwen den Dopingvorwürfen gegen sie. Chinesen und Amerikaner werfen sich nun gegenseitig vor, unerlaubte Mittel und Methoden zu verwenden.

Claudio Catuogno, London

Am Abend ihres zweiten Coups klang Ye Shiwen angriffslustig. Das Seltsame war nur: Sie sah gar nicht angriffslustig aus. Sie saß wieder in der Mitte des Pressepodiums, wie schon nach ihrem Olympiasieg samt Fabel-Weltrekord über die 400 Meter Lagen. Sie hatte nun auch die 200 Meter Lagen gewonnen. Ohne Weltrekord, aber mit Tagen des Sturms hinter sich, die man niemandem wünscht. Schon gar nicht einem 16-jährigen Mädchen, das erkennbar unvorbereitet in die Sportwelt geschubst wurde - und nun schwingt bei jedem Blick, der sie trifft, die Frage mit: Dopingmonster?

Ye Shiwen - ein Dopingmonster? (Foto: AFP)

Ye Shiwen sah also am Dienstagabend wieder aus, wie man sie kennengelernt hat in London: still, unsicher. Wieso klang sie aggressiv? Offenbar hatten die Schlagzeilen auch die chinesische Übersetzerin mitgenommen. Sie legte eine Menge Verve in ihre Stimme. Ob sie sich je unerlaubter Mittel bedient habe, wurde Ye Shiwen gefragt. Die Stimme der Übersetzerin überschlug sich nun fast: "Absolut nicht!"

Was ist Original, was ist Fälschung? Wie soll man das beurteilen, wenn schon die Kommunikation nur über Umwege läuft, wenn sich jedes Bild aus so vielen Einzelteilen zusammensetzt? Der Fall der Ye Shiwen zeigt wohl vor allem, wie schwer es geworden ist, sich arglos von sportlicher Höchstleistung begeistern zu lassen. Ein bisschen wie in einer arg strapazierten Beziehung. Man will sich gerne vertrauen, aber es ist halt in der Vergangenheit auch schon so viel passiert.

"Natürlich sind die Vorwürfe unfair", sagte Ye Shiwen. "Sportler aus anderen Ländern gewinnen Mehrfach-Gold, und niemand sagt etwas. Wie können die Leute mich kritisieren, weil ich mehrere Medaillen gewinne?" Nun, bei ihr ist eben besonders viel zusammengekommen. Nicht nur Titel und Bestmarke. Sondern vor allem dieser sagenhafte Schlussspurt mit schon sechs anstrengenden Bahnen in Armen und Beinen: auf den letzten 50 Metern sogar schneller als der Olympiasieger Ryan Lochte im entsprechenden Männer-Wettbewerb. Ist das möglich, nur mit dem "guten Training", auf das sie sich beruft?

Gute Frage. "Es ist nicht an mir, den Job der Anti-Doping-Agenturen zu machen, ich bin nicht diejenige, die ein Urteil fällt", sagte die Amerikanerin Caitlen Leverenz, 21. Sie saß neben Ye Shiwen auf dem Bronze-Stuhl. "Aber ob es möglich ist? Ja. Sie hat gezeigt, dass es möglich ist."

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Gold-Gewinner

Ein lautes, trotziges "Bravo" von den chinesischen Reportern. Die Fronten haben sich ein bisschen verhärtet, auch im Pressecontainer des Aquatics Centre.

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Doch auch viele Nicht-Chinesen haben sich inzwischen gemeldet, die Ye Shiwen nicht aus Prinzip misstrauen wollen, selbst der allzeit skeptische Doping-Experte Werner Franke aus Heidelberg weist darauf hin, dass im Schwimmen gerade "junge Frauen von ihren spezifischen Gewichtsverhältnissen profitieren".

John Leonard, der Chef der Welt-Schwimmtrainer-Organisation WSCA, hingegen glaubt: Es war Doping. Leonard hat den globalen Sturm vor zwei Tagen ausgelöst mit diesem - relativ detailliert ausgeführten - Vorwurf. Tags darauf sagte nun Chen Zhanghao, ein ehemaliger chinesischer Olympia-Arzt, dem Sunday Morning Herald: Er verdächtige Michael Phelps des Dopings, könne das aber nicht beweisen. Es geht jetzt hin und her. Und auf gewisse Weise ist das auch schon wieder entlarvend: wie sich die beiden Großmächte des Schwimmens plötzlich wechselseitig unlautere Methode unterstellen und dabei auf Beobachtungen zurückgreifen, die man auf ihre eigenen Schwimmer auch anwenden könnte.

Man belauert sich, durchaus mit Erkenntnisgewinn. Das Portal swimnews.com jedenfalls will, wohl aus britischen Schwimmerkreisen, erfahren haben, dass Ye Shiwen kurz vor dem 200-Meter-Finale für etwa fünf Minuten auf einer Behindertentoilette verschwunden sei, "zusammen mit einem Masseur und einer Betreuerin". Interessante Beobachtung.

Ist die Welt voreingenommen gegen China? "Ja, das glaube ich", sagte Ye Shiwen. Sie klang energisch. Aber wenn man sich den Ton wegdachte, sah Ye Shiwen alleine und traurig aus.

© SZ vom 01.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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