Doping:290 Langläufer unter Doping-Verdacht

Ein Recherchenetzwerk investigativer Journalisten wertet eine Datenbank mit Bluttests aus: Fast die Hälfte der vergangenen Medaillengewinner hat abnormale Werte.

Von Claudio Catuogno und Martin Schneider

Doping-Enthüllung kurz vor den Olympischen Spielen.

Der Verdacht läuft mit: Blutwerte von Spitzen-Langläufern weisen laut Experten auf weit verbreitetes Doping in dieser Sportart hin.

(Foto: Matthias Hangst/Getty)

Eine Woche vor dem Start der Olympischen Spiele sieht sich der Wintersport mit dem nächsten massiven Doping-Verdacht konfrontiert. Eine vertrauliche Datenbank mit mehr als 10 000 Bluttests von fast 2000 Wintersportlern wurde offenbar aus Kreisen des Ski-Weltverbandes Fis der ARD-Dopingredaktion zugespielt und von einem Netzwerk investigativer Journalisten von ARD, der britischen Sunday Times, dem schwedischen Fernsehen SVT und dem Schweizer Onlinemagazin Republik ausgewertet. Das Resultat der Analyse: Zwischen 2001 und 2017 sollen 290 Skilangläufer mindestens einmal ungewöhnliche Blutwerte aufgewiesen haben. 46 Prozent aller Medaillengewinner im Skilanglauf bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, fast die Hälfte, würden mit abnormalen Werten in der Liste auftauchen. Damit stünden im Langlauf "insgesamt 313 Medaillen unter Verdacht".

Der internationale Rechercheverbund, der die Dokumente nach eigenen Angaben von einem um die Integrität des Sports besorgten Whistleblower erhalten hat, legte die Daten unter anderem dem Anti-Doping-Experten James Stray-Gunderson vor, der früher mit der Fis zusammengearbeitet hatte. Er kommt zu folgendem Ergebnis: Ein Drittel aller Olympia- und WM-Medaillen während der vergangenen 16 Jahre wurde von Langläufern und Langläuferinnen gewonnen, deren Bluttestergebnisse als "wahrscheinlich gedopt" oder "verdächtig" einzustufen seien. "Es gibt eine beachtliche Zahl von Medaillengewinnern mit ungewöhnlichen oder höchst ungewöhnlichen Blutprofilen. Das deutet auf beachtliche Verbreitung von Doping im Skilanglauf hin", wird der US-Arzt von ARD und Sunday Times zitiert. Auffällig fand Stray-Gunderson zudem, dass es viele Veränderungen "zum Zeitpunkt großer Wettkämpfe gab". Einige Athleten hätten laut Datenbank zum Teil so dickes Blut gehabt, dass sie eigentlich sofort in ein Krankenhaus gemusst hätten - bei anderen gebe es nur eine Chance von eins zu einer Millionen, dass die Werte auf natürliche Art und Weise hätten zustande kommen können. Unter den verdächtigen Langläufern seien mehr als 50, die nun in Pyeongchang antreten sollen.

Besonders auffällig waren offenbar russische Sportler: 76 Prozent aller russischen Podiumsplatzierungen sollen von Athleten mit auffälligen Werten erzielt worden sein. Aber auch mehr als 100 Medaillen, die von Langläufern aus Norwegen, Deutschland, Schweden und Österreich gewonnen wurden, seien verdächtig. Namen der betroffenen Sportler wurden nicht genannt, aus Deutschland sollen es 22 Athleten sein.

Unnormale Blutwerte - zum Beispiel ein erhöhter Wert an roten Blutkörperchen - können auf Dopingmittel wie Erythropoetin (Epo) hindeuten, die laut Anti-Doping-Experten vor allem in schwer zu findenden Mikrodosen zum Einsatz kommen. Rote Blutkörperchen transportieren den Sauerstoff zu den Muskeln. Mehr davon steigert die Leistung von Ausdauersportlern.

Seit 2009 ist es möglich, Athleten wegen verdächtiger Werte im biologischen Pass zu sperren. Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada hat bisher aber im Skilanglauf nur ein einziges Mal eine Sperre aufgrund der Daten im Pass ausgesprochen. Diese Zurückhaltung erscheint nun endgültig in fragwürdigem Licht, James Stray-Gunderson etwa fand Profile von Sportlern, die für ihn "Doping während der gesamten Karriere" nahelegten, mit "klarem Doping für die Höhepunkte" Olympia und WM: "Das ist kaltblütiger Betrug."

Eine Fis-Sprecherin sagte der Sunday Times, dass der Verband verdächtige Ergebnisse nicht kommentiere, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur allerdings mehr als zufrieden mit den Anti-Doping-Bemühungen der Fis sei.

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