DFB-Pokal:Schiedsrichter Stieler hat gute Ohren

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Cool vor dem Tor: Erling Haaland erzielt den umstrittenen entscheidenden Treffer für Dortmund. (Foto: Frederic Scheidemann/dpa)

Weil der Referee eine Ballberührung hört, gewinnt Borussia Dortmund gegen Zweitligist Paderborn in der Verlängerung.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Wenn man denkt, man hat schon alles gehört im Fußball, dann hat der Dienstagabend mal wieder das Gegenteil bewiesen. Dort dürften, man höre und staune, die besonders guten Ohren von Tobias Stieler das Pokalspiel zwischen Borussia Dortmund und dem SC Paderborn zumindest mitentschieden haben. Der Schiedsrichter hatte, so stellte sich im Nachhinein heraus, vor dem 3:2-Siegtreffer für den BVB eine Ballberührung des Paderborners Svante Ingelsson nicht nur gesehen oder vielleicht besser: geahnt. Er hatte sie vor allem auch gehört. Dieser Hauch einer Ballberührung durch den Paderborner Ingelsson soll eine mögliche Abseitsstellung des BVB-Torschützen Erling Haaland aufgehoben haben.

Das umkämpfte Spiel war da schon in der Verlängerung, in der 95. Minute, Haaland stürmte nach einem Steilpass von Thomas Delaney allein aufs Paderborner Tor zu - und schoss den Ball hinein. Erst danach wurde es aber richtig spannend. Die Auswertung der Videobilder in der zentralen Kölner Video-Assistenz unter Referee Matthias Jöllenbeck dauerte fast fünf Minuten. Wie ausführlich Haalands mögliche Abseitsstellung dort untersucht wurde, weiß man nicht. Ganz sicher ging es um die Frage - und das war viel entscheidender -, ob sich Schiedsrichter Stieler womöglich verhört haben könnte.

Inzwischen weiß man: Er hat sich nicht verhört.

Doch selbst in Vergrößerung schienen die Bilder der Fernsehkameras keine Ballberührung durch Ingelssons Schienbein oder Fuß zu belegen. Andererseits widerlegten die Bilder aber Stielers Höreindruck auch nicht, dass Paderborns Schwede den Ball mindestens gestreift haben musste. Bisher kannte man nur Schiedsrichter, denen nachgesagt wurde, "auf Zuruf" zu pfeifen. Nach Gehör zu pfeifen, war bisher nicht bekannt, soll aber unter Schiedsrichtern sehr wohl zum Repertoire gehören.

Die lange Wartezeit auf ein Verdikt aus Köln endete dementsprechend. Die Regel sagt schließlich: Die Videoschiedsrichter sollen den Feldschiedsrichter nur dann zu einer Rücknahme seiner Entscheidung ermuntern, wenn der erkennbar falschlag und die Bilder ihn widerlegen. Stieler hatte aber seine Wahrnehmung, und er konnte sich zudem bestärkt fühlen durch einen seiner Linienrichter, der die Berührung ebenfalls "gehört" haben wollte. Nach dem Spiel bekundete auch der Dortmunder Nationalspieler Emre Can dasselbe: "Ich weiß auf jeden Fall, dass er den Ball berührt hat. Ich habe es bis hinten gehört."

Gesprächsbedarf: Tobias Stieler im Dialog mit Paderborns Trainer Steffen Baumgart. (Foto: Pool/Getty Images)

Nun ist Can erkennbar ähnlich parteiisch wie auf der Gegnerseite Paderborns Trainer Steffen Baumgart, der außer sich vor Wut war: "Das ist eine Frechheit", schimpfte er über die Entscheidung, dass Haalands Tor gelten sollte, Stieler habe zumindest die Verpflichtung gehabt, "sich den Scheiß noch mal selbst anzusehen". Mit "Scheiß" meinte die Fußballersprache in diesem Fall die Videobilder, die Stieler sich am Spielfeldrand auf einem eigens dafür vorgesehenen Monitor hätte ansehen können. Stieler verzichtete darauf, war sich aber, wie auch sein Assistent, zu hundert Prozent sicher in seiner gehörten Wahrnehmung. Die Videobilder konnte er deshalb durchaus regelkonform seinem Video-Assistenten in Köln überlassen. Auch wenn das Baumgart und andere Paderborner auf die Palme brachte.

Später ergab eine Auswertung der Mikrofontöne aus dem beinahe menschenleeren Dortmunder Stadion tatsächlich einen gut hörbaren Ton der Berührung. Wohl kaum denkbar in einem normalerweise mit Tausenden von Zuschauern gefüllten Stadion, aber in der corona-bedingten Stille im weiten Rund ist dort tatsächlich eine Berührung unüberhörbar.

Dass Ingelssons Aktion dem Ball keine Richtungsänderung gegeben hat, spielt regeltechnisch übrigens keine Rolle. Selbst ein leises Streifen des Balles gilt schon als absichtliches Spiel - und hebt in der vorliegenden Situation eine mögliche Abseitsstellung tatsächlich auf. Auch da lag Stieler also regeltechnisch richtig. So hart das für die sehr tapferen Paderborner auch war, die mit einer möglichen Qualifikation für das Viertelfinale, nach Baumgarts Schätzung, "zwei Millionen Euro" hätten verdienen können.

Vorher im Spiel hatte Dortmund zunächst ganz souverän ausgesehen und 2:0 geführt, durch Treffer von Can und Jadon Sancho. Danach bekam Zweitligist Paderborn seltsamerweise Oberwasser und glich durch Justvan und einen Elfmeter von Owusu in der siebten Minute der Nachspielzeit der regulären Spielzeit noch aus. Auch dem Elfmeter für Paderborn war eine lange Überprüfung durch die Video-Assistenten vorausgegangen.

Was vom Tage übrig bleibt, ist ein Viertelfinaleinzug von Dortmund, das im Gegensatz zu anderen Bundesligisten wie dem FC Bayern oder Bayer Leverkusen noch im Pokalrennen bleibt. Und die Erkenntnis, dass Tobias Stieler offenbar Ohren wie ein Luchs hat.

Und der schimpfende Steffen Baumgart wird auch noch was hören - vom DFB. Wie der Dachverband am Mittwoch mitteilte, wird der in solchen Fällen zuständige Kontrollausschuss zwar kein Verfahren gegen den Paderborn-Trainer einleiten. Allerdings wurde der Coach schriftlich darum gebeten, "sich zukünftig in seiner Wortwahl zu mäßigen und an seine Vorbildfunktion als Trainer zu denken". Ansonsten könne es im Wiederholungsfall "zu einer Anklageerhebung vor dem DFB-Sportgericht führen". Selbstverständlich mit rechtlichem Gehör.

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