DFB-Elf nach Lahms Rücktritt:Neuer Anführer gesucht

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Abschied von der DFB-Elf: Philipp Lahm. (Foto: dpa)

Philipp Lahm wird der DFB-Elf sehr fehlen - als Weltklasse-Außenverteidiger, als Kapitän, als Kopf. Wer ihn als Anführer ersetzen wird, ist ungewiss. Doch der Zeitpunkt, den Lahm für seinen Rücktritt wählte, kommt der Mannschaft sehr gelegen.

Von Jonas Beckenkamp

Am vergangenen Sonntag musste sich der Kleinste wieder mal nach vorne durchdrängeln. Es war ganz schön eng dort oben auf dem VIP-Podium des Estádio do Maracanã in Rio, wo Philipp Lahm die bedeutendste Trophäe seiner Karriere entgegennehmen sollte.

Der Kapitän der Nationalelf schlängelte sich an allen vorbei, so wie er es auf dem Platz sonst auch gerne macht - und dann stand er plötzlich neben Angela Merkel, Sepp Blatter und Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Es gab ein wenig Verwirrung, wer ihm letztlich den Goldpokal in die Hand drückten durfte, aber schließlich gelangte das Ding zum richtigen Mann.

Rücktritt von Nationalelf-Kapitän Philipp Lahm
:Capitano mit eigenem Kopf

Abschied in "völliger Harmonie": Philipp Lahm tritt überraschend als Kapitän der Nationalelf zurück und hinterlässt eine verdutzte DFB-Spitze. Die Entscheidung sei vor längerer Zeit in ihm gereift, sagt Lahm. Doch der WM-Titel hat ihm den Entschluss deutlich erleichtert.

Von Carsten Eberts

Philipp Lahm stemmte den WM-Pokal in die Höhe. Konfetti, Fanfaren, Jubelgegröle - was einen eben so begleitet, wenn man zum Besten der Welt aufsteigt. Weltmeister, diesen Titel gewinnen Fußballer normalerweise nur einmal im Leben - und vielleicht bestärkte Lahm dieser bewegende Moment endgültig in seinem Entschluss.

Was für Ziele kann einer noch haben, wenn er soeben nach zehn Jahren beim DFB den größtmöglichen Triumph gefeiert hat? Diese Frage dürfte sicher eine Rolle gespielt haben bei der Entscheidung, die an diesem Freitag Fußballdeutschland kräftig durchgeschüttelt hat. Es ist ja nicht so, dass mit Lahm irgendein arrivierter Nationalspieler zurücktritt - der kleine Münchner ist DIE prägende Figur in der Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw. In der vergangenen Dekade war keiner so unumstritten und anerkannt wie der heute 30-Jährige.

Was 2004 damit begann, dass ein jungenhafter Außenverteidiger bei der EM in Portugal nahezu fehlerfrei agierte, fand 2006 seine Fortsetzung. Spätestens nach seinem Zaubertor gegen Costa Rica zum Auftakt der Heim-WM kannte die Welt diesen schlauen, flinken Bubi mit der Stiftelfrisur. Es folgte die EM 2008, wo Lahm erstmals als Anführer in Erscheinung trat. Wieder erzielte er eines seiner wenigen Tore, als es wirklich wichtig war. Sein 3:2 im Halbfinale gegen die Türkei bekam in Deutschland nur deshalb niemand mit, weil das Fernsehsignal des ORF den TV-Zuschauern einen Streich spielte.

Im Finale von Wien ließ Lahm dann Spaniens Siegtorschütze Fernando Torres entwischen, aber das tat seinem erfolgreichen Wirken keinen Abbruch. 2010 und 2012 avancierte der verlässlichste DFB-Profi endgültig zum Chef einer Elf, die sich längst von "Capitano" Michael Ballack emanzipiert hatte. Der neue Steuermann hieß Lahm - und das tat der Münchner auch selbstbewusst kund. "Die Rolle des Kapitäns macht mir sehr viel Spaß. Ich habe Freude daran. Wieso sollte ich das Amt dann freiwillig abgeben", sagte er damals in einem viel diskutierten Interview.

Der neue Boss gab seinen Posten nicht mehr her und es bestand auch kein Anlass, je an ihm zu zweifeln. Egal wo er spielte, er spielte nie schlecht. Ausflüge auf die linke Seite und zuletzt sogar ins Mittelfeld änderten an seiner Qualität nichts. "Philipp Lahm ist in den vergangenen Jahren unser Leistungsträger gewesen. Er spielt seit zehn Jahren auf höchstem Niveau", urteilte Bundestrainer Joachim Löw vor der WM 2014 über seinen wichtigsten Ansprechpartner auf dem Platz. So sah das auch die Fachwelt. Lahm ist unersetzbar, jeder andere wäre eine 1B-Wahl.

Was sein Rücktritt für die Nationalelf bedeutet, ist eigentlich nur mit einem Satz zu beschreiben: Er wird diesem Team auf gravierende Weise fehlen, denn einen besseren Rechtsverteidiger gibt es in Deutschland, ja auf dem ganzen Erdball, nicht. Fähige Außenverteidiger, egal ob rechts oder links, sind spärlich gesät im Fußball. Diese Erkenntnis kommentierte Löw sogar einst mit den Worten, er könne sich "keinen Außenverteidiger schnitzen" - damals ging es um den linken Abwehrmann Marcel Schmelzer. Über Lahm hätte der Bundestrainer so etwas nie gesagt.

Reaktionen auf Lahms DFB-Rücktritt
:"Respekt, Junge"

Wer sich auch äußert: Der zurückgetretene DFB-Kapitän Philipp Lahm erhält viel Zuspruch für seinen Entschluss, sogar die Kanzlerin schickt eine Botschaft. Nur Gary Lineker hat etwas zu meckern.

Stimmen im Überblick

Andeutungen über einen bevorstehenden Abschied vom DFB hatte der 113-fache Nationalspieler weder vor der WM noch in den Tagen nach dem Triumph gemacht. Deshalb kommt die Nachricht nun für alle ziemlich überraschend. Der Münchner wird aber wissen, dass der Zeitpunkt für seinen Abschied nicht der schlechteste ist. Das Nationalteam erwarten zwei entspannte Jahre. Die Qualifikation zur EM 2016 dürfte gegen Widersacher wie Gibraltar, Georgien oder Schottland locker zu schaffen sein.

Lahm hinterlässt eine gehörige Lücke, aber es gibt Spieler, die den Verlust auffangen können. Im Mittelfeld ist die DFB-Elf ohnehin glänzend besetzt, auf der rechten Seite könnten Kevin Großkreutz, Jérôme Boateng oder auch Lars Bender, vielleicht sogar Skhodran Mustafi einspringen. Die sind allesamt keine gelernten Außenverteidiger, aber sie haben das Potenzial, um sich auch auf dieser Position zu etablieren.

Auch das Kapitänsamt wird neu zu vergeben sein. Bastian Schweinsteiger gilt als natürlicher Nachfolger, er hat beim DFB und auch bei den Bayern bereits das Amt des Stellvertreters inne. Auch Mats Hummels tat sich während der WM als Führungskraft hervor, die Lahm in vielen Punkten ähnelt. "Für die Nationalmannschaft wird es nicht einfach, Lahm als Spieler, Mensch und Kapitän zu ersetzen", sagte in einer ersten Reaktion Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge. Damit dürfte er recht behalten.

Dabei ist München derzeit vielleicht der einzige Ort, wo sie Lahms Entscheidung etwas Gutes abgewinnen können: Der beste Rechtsverteidiger der Welt konzentriert sich nun ganz auf seine Tätigkeit beim FC Bayern. Dort haben sie viel vor - auch mit Lahm. 30 ist schließlich kein Alter für den ewig jungen Bayern-Kapitän. Und vielleicht drängelt sich der Kleinste unter Pep Guardiola auch öfter mal wieder ins Mittelfeld.

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