DFB:Die Täuschung als Top-Thema

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Muss derzeit viel telefonieren: DFB-Interimspräsident Rainer Koch steht wegen des Umgangs des Verbandes mit der Ethikkommission in der Kritik. (Foto: Maik Hölter/Imago/Team 2)

Beim DFB verfestigt sich ein gewaltiger Verdacht: dass die Ethikkommission mithilfe schmutziger Tricks gesprengt wurde. Nun beratschlagen Funktionäre über die Folgen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Frankfurt

Seit Tagen glühen die Drähte zwischen den wichtigsten Amateur-Funktionären im deutschen Fußball. Allen Turbulenzen der vergangenen Monate zum Trotz, kommt es an diesem Mittwoch zu einer noch heikleren Zusammenkunft. Das Topthema beim Treff der Landesfürsten ist spektakulär: Wurde das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes in einer maßgeblichen Frage bewusst getäuscht? Haben die Mitglieder in Unkenntnis wesentlicher Sachverhalte zu kandidierenden Persönlichkeiten die eigene Ethikkommission in die Luft gejagt? Diesmal kann sich niemand hinter Gerüchten oder Satzungen verstecken. Denn es geht um Dinge, die gesagt worden sind.

Anlass sind die Umstände der Wahl von Irina Kummert zur neuen Ethikchefin des DFB. Die Kür der Personalberaterin durch das Präsidium vor einer Woche hatte zur Folge, dass umgehend alle übrigen Mitglieder zurücktraten, das Gremium löste sich quasi selbst auf. Erfolgt ist das zu einem Zeitpunkt, als sich die Ethiker mit möglichem Fehlverhalten von Interimschef Rainer Koch beschäftigten - und vorausgegangen waren klare Ansagen. Zwei der vier Mitglieder hatten schon vorab ihren Ausstieg angekündigt für den Fall, dass Kummert gewählt werden sollte. Drei Mitglieder aber braucht das Gremium mindestens, um arbeitsfähig zu sein.

Dabei wurden offenkundig unsaubere Manöver geführt. Nach Aktenlage und der Darstellung Beteiligter ist der dringende Verdacht, dass zwei andere Bewerber, der Münchner Jurist und Ethik-Interimschef Bernd Knobloch sowie der angesehene Theologe Nikolaus Schneider, als Chefs des Kontrollorgans verhindert werden sollten. Als die DFB-Spitze vor gut zwei Wochen urplötzlich die Neuwahl des Ethikchefs auf die Agenda hob, erklärten sich beide zur Kandidatur bereit - wie auch Kummert. Drei Vorschläge standen zur Wahl: Doch als die Präsidiumsvertreter aus dem Amateurlager vergangenen Dienstag zu ihrer Beratungsrunde vor der Präsidiumssitzung zusammenkamen, kursierten plötzlich alarmierende Informationen.

In Schneiders Fall, bestätigen mehrere Teilnehmer, sei dessen Gesundheitszustand thematisiert worden. Ein Unding an sich - überdies betont der Theologe, dass er seine Kandidatur auch aus gesundheitlichen Gründen vertreten konnte. Nach dem so falschen wie unangemessenen Ausflug in die Privatsphäre des Kandidaten wurde Schneider, der sogar schon einmal Interimschef war, von keinem Präsidiumsmitglied mehr vorgeschlagen.

Eine simple Frage, die große Klarheit bringen könnte, stellt plötzlich ein unüberwindbares Hindernis dar

Zu Knobloch gab es, wie der Zufall so spielt, andere haarsträubende Fehlinformationen. Hier ging es plötzlich um ein internes Sportverfahren. Das bezog sich auf eine Beschwerde gegen ihn aus dem März - die aber das Sportgericht schon am 3. Mai ausführlich abgewiesen hatte. Trotzdem wurde ein angebliches Verfahren vor der Wahl von Schatzmeister Stephan Osnabrügge thematisiert. Die DFB-Spitze, die die Vorwürfe in Sachen Schneider unkommentiert lässt, teilt zum Ethikverfahren gegen Knobloch mit, dass leider niemand gewusst habe, ob das Verfahren erledigt sei - "da hierüber niemand (...) informiert worden ist". Auch nicht Osnabrügge. Dem entgegen steht nun aber ein Mail-Austausch vom 12. Mai zwischen Knobloch und dem Geschäftsführer der Ethikkommission, Ulrich Schulte-Bunert. Darin bat Knobloch den pensionierten Richter, er möge den Beschluss, dass die Beschwerde abgewiesen wurde, an Osnabrügge schicken. Schulte-Bunert vermeldete kurz darauf, dass dies erledigt sei. Demnach müsste das Urteil Osnabrügge vorgelegen haben - was der ja bestreitet.

Nun könnte Schulte-Bunert den Sachverhalt problemlos aufklären. Hat er das Urteil - wie in der Mail dargetan - an Osnabrügge geschickt oder nicht? Aber diese simple Frage ist plötzlich ein unüberwindbares Problem. Schulte-Bunert erklärte am Montag, er "kann und darf nichts sagen, Presseanfragen laufen über Frau Kummert". Der habe er die Anfrage vorgelegt, und deren Vorgabe sei: "Wir äußern uns nicht zu zurückliegenden Dingen, wir schauen nur nach vorne." Ein sehr originelles Transparenzverständnis - zumal sich just aus dieser Frage ja ein neuerliches Ethikverfahren ergeben könnte. Aber die umstrittene Kummert und ihr Geschäftsführer sind gerade damit befasst, einen neuen Ethikrat zu bilden. Abzuwarten, wer da mitmachen will.

Ungeklärt ist auch die Frage, warum der DFB überhaupt die Neuwahl ansetzte. Knobloch agierte gemäß interner Verständigung im Ethikstab seit Herbst 2020 als Interimschef. Der DFB erklärt, es habe nie eine Zusage an ihn für das Amt gegeben. Knobloch hingegen verweist auf ein Sitzungsprotokoll der Ethiker mit dem Präsidialausschuss, dem auch Koch und Osnabrügge angehören. Darin steht: "Es bestand Einvernehmen, dass Herr Knobloch vorerst den Vorsitz der Ethikkommission übernehmen solle. Das Präsidium muss dies aber noch förmlich beschließen." Auch hier: Aussage gegen Aussage.

Es herrscht also allumfassender Klärungsbedarf im DFB, und das betrifft nicht nur die Amateurvertreter. Koch führt den Verband interimistisch mit Peter Peters, dem Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Dieser teilt zu den Vorgängen mit, dass er von wahrheitsgemäßen Aussagen überall ausgehe und "keine internen Mails" kenne. Er glaube aber, dass alle Präsidialen "vollständig und ordnungsgemäß informiert werden - und bei Zweifeln die Inhalte (...) gegebenenfalls im Präsidium zur Sprache bringen". Das ist der allerletzte Hinweis: Funktionäre, die sich falsch informiert und missbraucht sehen, müssen Farbe bekennen. Jetzt hat jeder, der sonst stets gern still alles abnickte, keine Ausrede mehr.

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