DFB-Bundesgericht:Vielleicht nur feuchte Aussprache

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Streitet Spucken vehement ab: Aues Spieler Clemens Fandrich. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Sieben Spiele statt sieben Monate: Im Fall um eine angebliche Spuckattacke gegen den Linienrichter verhängt das DFB-Bundesgericht eine eher milde Sperre

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Der Vertreter der Anklage nahm seine Tasche und verließ just den Gerichtssaal, als der Kollege der Verteidigung zum Schlussplädoyer ansetzte. Das war allerdings kein Affront, sondern ein Resultat höchster Eile: Das letzte Flugzeug nach Hause sollte demnächst starten, und Anton Nachreiner, der Vorsitzende des DFB-Kontrollausschusses, quasi der Staatsanwalt des Verbandes, hatte seinen Teil zum sich hinziehenden Verfahren bereits beigetragen. Vor seinem eiligen Aufbruch hatte er in seinem Schlussplädoyer drei sehr unterschiedlich bemessene Strafanträge präsentiert und es dem Gericht überlassen, sich einen davon auszusuchen. Nachreiner brachte damit zum Ausdruck, dass es sich auch aus seiner Sicht um einen höchst komplizierten Prozess handelte. Trotz Anhörung zahlreicher Zeugen, trotz Ansicht von Fernsehbildern und der Einbeziehung eines Audioprotokolls stand unter dem Strich die Aussage des Belastungszeugen gegen die Aussage des Beschuldigten.

Vor diesem undurchsichtigen Hintergrund setzte sich das DFB-Bundesgericht mehr als sechs Stunden mit dem Fall des Profifußballers Clemens Fandrich vom Zweitligisten FC Erzgebirge Aue auseinander, der am 22. Oktober beim Spiel gegen den FC Ingolstadt (1:0) vom Platz gestellt worden war, weil er den Schiedsrichter-Assistenten bespuckt haben sollte. In erster Instanz hatte ihn das DFB-Sportgericht deshalb für sieben Monate gesperrt und ordnete die Rekord-Strafe sogar noch als mildes Urteil ein, bei dem das unbescholtene Vorleben des Beschuldigten berücksichtigt worden sei.

Für Fandrich, 30, der das Vergehen bestreitet, ging es in der Berufungsverhandlung vor dem Bundesgericht also um sehr viel. Bei sieben Monate Sperre würde er erst in der nächsten Saison wieder Fußball spielen dürfen, Aue käme im Abstiegskampf der zweiten Liga ein besonders wichtiger Stammspieler abhanden. Als sich der Richter und die beiden Beisitzer des DFB und der DFL vor dem Urteilsspruch zurückzogen, begann für Fandrich die längste Wartezeit seines Lebens. Sein Anwalt Kay Werner, Vize-Präsident und Justiziar des Vereins, hatte aus Mangel an Beweisen und nach dem Prinzip in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, die Einstellung des Verfahrens beantragt. Im Falle eines weiteren gravierenden Schuldspruchs, erklärte er, werde der Verein ein ordentliches Gericht anrufen.

Auch die umfassende Beweisaufnahme hat keine eindeutigen Erkenntnisse erbracht

Doch dazu wird es wohl nicht kommen, die Berufung brachte zumindest einen Teilerfolg. Das Bundesgericht änderte den Urteilsspruch der ersten Instanz und verhängte in Abwandlung des Tätlichkeitsvorwurfs eine Sperre von sieben Meisterschaftsspielen wegen "grober Unsportlichkeit". "Was hat sich tatsächlich an diesem Tag abgespielt?", stellte Richter Oskar Riedmeyer seiner Urteilsbegründung eine rhetorische Frage voran und gab damit zu verstehen, dass die umfassende Beweisaufnahme keine eindeutigen Erkenntnisse erbracht hatten. Man habe sich über die Frage, ob Absicht vorgelegen habe, nur auf Indizien verlassen können, "es ist ein Grenzfall, eine Entscheidung auf des Messers Schneide". Abermals bescheinigte die Kammer Fandrich eine tadellose Sportlerkarriere, nachdem er in zwölf Jahren Lizenzfußball lediglich einmal vom Platz gestellt worden sei (mit einer gelb-roten Karte), aber der Betroffene war sich nicht sicher, was er von dem Kompliment halten sollte. Glücklich war er über das verringerte Strafmaß nicht: Immer noch bestreitet er die Tat, trotzdem muss er büßen. Für Aue wird er 2021 nicht mehr spielen dürfen.

Der anspruchsvolle Fall hatte sich aus einer nebensächlichen Situation ergeben. Hauptschiedsrichter Nicolas Winter hatte Ingolstadt in der 89. Minute nach dem Hinweis seines Assistenten Roman Potemkin einen Einwurf zuerkannt. Fandrich war mit der Entscheidung nicht einverstanden, ging auf den Linienrichter zu und reklamierte vehement aus nächster Nähe. Was dann passierte, ist strittig. Während Fandrich in der Verhandlung abermals beteuerte, er habe sich lediglich verbal beschwert ("das war klar unser Ball, guck doch richtig hin"), meldete Potemkin dem Schiedsrichter über Funk, er sei bespuckt worden. Vor Gericht sprach er von einer "spürbaren Speichelmenge am Auge". Tatsächlich zeigen die Fernsehbilder, wie er sich nach Fandrichs Ansturm das Auge gewischt. Winter fragte nochmal beim Kollegen nach und zog dann die Rote Karte. In der ersten Instanz hielt das Sportgericht die Version des Linienrichters für glaubwürdiger als das Leugnen des Spielers: Potemkin habe "detailliert, widerspruchsfrei und ohne jeden Belastungseifer ausgesagt", die mit TV-Bildern belegte "Bewegungshistorie" des Spielers untermauere die Schilderung.

Auch in der Berufung war der 31 Jahre alte Referee um eine präzise Ausdrucksweise bemüht. "Es war nicht so, dass der Spieler Speichel im Mundraum gesammelt oder Schleim oder Sekret hochgezogen hat und mir - auf gut deutsch - ins Gesicht gerotzt hat", sagte Potemkin, er habe jedoch "den separaten Vorgang des Spuckens wahrgenommen", es habe seitens des protestierenden Fandrich "einen Impuls" gegeben. Richter Riedmeyer versuchte sich an einer schiedlichen Rekonstruktion: "Wenn man spuckt, kann man nicht gleichzeitig reden. Aber wenn man brüllt, dann kann es passieren, dass man Mundflüssigkeit verliert", argumentierte er. Vielleicht, so deutete er an, hatte es ja lediglich einen zufälligen Speichelflug gegeben, eine feuchte Aussprache? Potemkin erwiderte: "Unabsichtlich? Nein, so war es nicht." Aber absichtlich? Er habe sich die Szene "10000 Mal auf Sky angeguckt", sagt Fandrich: "Da ist nichts zu sehen."

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