Deutscher Doppelvierer holt Gold:Abschied vom Krebs

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Nach dem Achter gewinnt auch der deutsche Männer-Doppelvierer Gold und räumt damit Zweifel aus, die ihn in jüngster Geschichte umgeben hatte: Den WM-Titel hatte das Quartett auf den letzten Metern verloren - und über die Besatzung für Olympia wurde lange gestritten.

Joachim Mölter

Es hat nicht allein mit Olympia zu tun, dass jeden Tag rund 30 000 Menschen zum Dorney Lake kommen, der 40 Kilometer westlich von London gelegenen Ruderanlage. Rudern ist in Großbritannien generell eine große Sache, die königliche Regatta auf der Themse bei Henley, wo 1908 und 1948 die olympischen Ruder-Wettkämpfe ausgetragen wurden, zieht jährlich sogar Hunderttausende von Zuschauern an.

Das Ruder-Quartett mit Tim Grohmann, Lauritz Schoof, Phillipp Wende und Karl Schulze hat sich von den Kroaten und ihrem zweiten zweiten Platz bei der WM losgerudert. Das Team ist nun Olympiasieger. (Foto: AP)

Die Briten sind ja mal eine große Seefahrer-Nation gewesen, ihr Empire war auf ihrer Flotte gegründet, und das sehr, sehr patriotische Lied "Rule, Britannia" wird gern als inoffizielle Nationalhymne des Vereinigten Königreichs bezeichnet. Darin heißt es: "Rule, Britannia! Britannia, rule the waves!" - Herrsche, Britannien! Britannien, beherrsche die Wellen!

Brautjungfer feiert Hochzeit

Auch am Freitag waren wieder 30 000 Zuschauer da und sorgten für eine Atmosphäre, wie sie die Ruderer außerhalb der britischen Insel sonst nicht zu spüren bekommen. Die meisten wollten Katherine Grainger sehen, die 36 Jahre alte Schottin, die große alte Dame des Ruderns, sechsmalige Weltmeisterin und dreimalige Olympia-Zweite, 2000 in Sydney, 2004 in Athen und 2008 in Peking wieder.

Die "Bridesmaid" nannte sie sich selbst einmal: die Brautjungfer. Weil sie immer nebendran stand, wenn andere Frauen bei Olympia den glücklichsten Tag ihres Lebens oder wenigstens ihrer Sportkarriere feierten.

An diesem Freitag nun war Katherine Grainger endlich die Braut. Mit ihrer Partnerin Anna Watkins gewann sie im Doppelzweier, und als sie die Goldmedaille umgehängt bekam, beugte sie ihren Kopf nicht. Eine stolze Frau. Vor einer stolzen Kulisse.

Am Knackpunkt weggezogen

Natürlich kommen nicht nur Ruderer aus Großbritannien in den Genuss dieser einmaligen Begeisterung, am Freitag tat es beispielsweise auch der deutsche Doppelvierer der Männer, der die zweite Goldmedaille für den Deutschen Ruderverband (DRV) einfuhr, zwei Tage nach dem Erfolg des Achters.

"Ich glaube, dass der Sieg des Achters den Jungs noch einmal zusätzlichen Auftrieb gegeben hat", sagte Bundestrainer Hartmut Buschbacher. Denn dass Tim Grohmann (Dresden), Lauritz Schoof (Rendsburg), Philipp Wende (Wurzen) und Karl Schulze (Dresden) mit einem souveränen Start-Ziel-Sieg die favorisierten Kroaten und die Weltmeister aus Australien auf die weiteren Medaillenplätze verweisen würden, war nicht zu erwarten gewesen.

In dieser Weltcup-Saison war der deutsche Doppelvierer den Kroaten hinterhergefahren und immer nur Zweiter geworden. "Aber heute hat alles gepasst", sagte Schlagmann Tim Grohmann, "als die Kroaten angegriffen haben, sind wir weggezogen. Das war der Knackpunkt."

Der deutsche Doppelvierer war also auch mit einer Serie von zweiten Plätzen zum Dorney Lake gekommen, wenn auch nicht mit einer von solch fast schon tragischen Ausmaßen wie der von Katherine Grainger.

Die Freude beim deutschen Doppelvierer ist groß: Keinen Krebs gefangen und zu Gold gefahren. (Foto: AFP)

Aber bei der WM 2011 in Bled/Slowenien hatten auch Grohmann, Schoof, Wende und Schulze ein kleines Drama erlebt. Sie führten das Feld bis zwanzig Meter vor dem Ziel an, als Lauritz Schoof, der Jüngste im Boot mit seinen damals 20 Jahren, das linke Ruder beim Eintauchen verkantete und einen Krebs einfing, wie es im Jargon der Ruderer heißt.

Die Folge eines Krebsfangs kann man mit einer Vollbremsung beim Autofahren vergleichen - das deutsche Boot verlor jeglichen Schwung, das australische glitt vorbei. Statt Gold gab es nur Silber für das DRV-Boot.

Nach der Wiedergutmachung vom Freitag gestand Schoof, wie sehr ihn dieses Malheur belastet hatte und wie sehr er sich darauf konzentrierte, es nicht zu wiederholen. "Auf den letzten 300 Metern habe ich nur gedacht: Jetzt keine Gefühle zulassen und nur dem Rhythmus von Tim folgen! Einfach weiter, weiter, immer weiter. Vielleicht war das im letzten Jahr der Fehler."

Am Ende wird alles gut - auch ohne den WM-Dritten Brodowski

In dieser Saison hatte es zudem Diskussionen um die Besetzung des Bootes gegeben, weil der Berliner Karsten Brodowski nicht berücksichtigt worden war von Bundestrainer Buschbacher und dem Disziplintrainer Schwarzrock.

Brodowski hatte im Winter auf dem Ergometer die stärksten Leistungen aller Skuller im DRV gezeigt, auf dem Wasser war er im Frühjahr bei den Testfahrten im Einer über 2000 Meter nur von Philipp Wende geschlagen worden und knapp vier Sekunden schneller als Schulze und Grohmann - doch dann wurde er bei weiteren Tests gar nicht erst eingesetzt. Die Ausbootung des früheren WM-Dritten im Doppelvierer erregte umso mehr Unverständnis, je häufiger die Crew gegen Kroatien unterlag.

Nach dem Olympiasieg des Doppelvierers, dem ersten für den DRV in dieser Bootsklasse seit 1996, können die Trainer nun behaupten, zumindest nicht viel falsch gemacht zu haben. Die vier Athleten, die auf dem Dorney Lake im Boot saßen, dankten das Vertrauen auf ihre Weise: Sie hängten Trainer Marcus Schwarzrock ihre Goldmedaillen um und hoben ihn auf ihre breiten Schultern.

© SZ vom 04.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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