David Storl gelingt Titelverteidigung:WM-Gold dank Fotobeweis

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David Storl: Titelverteidigung in Moskau geglückt (Foto: dpa)

David Storl überrascht die Konkurrenz: Trotz mäßiger Weiten in dieser Saison verteidigt er mit 21,73 Metern seinen WM-Titel. Zunächst muss er aber das Kampfgericht von der Gültigkeit des Versuchs überzeugen - dabei hilft ihm ein Fotograf.

Von Thomas Hahn, Moskau

Ryan Whiting spürte jetzt so eine Leere in sich. Als wäre jemand in ihn reingekrochen und hätte seine ganze Kraft aus ihm herausgeräumt. Ryan Whiting aus Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania hat zuletzt die kleine Welt des Kugelstoßens regiert. Die meisten Weiten, die in der Weltjahresbestenliste vorne stehen, stammen von ihm, und gewonnen hatte er zuletzt, was das Zeug hielt. Ryan Whiting hatte natürlich gewusst, dass die WM in Moskau ein besonderes Ereignis ist. Dass man da auch als Saisonbester verlieren kann, erst recht mit diesem unberechenbaren Milchgesicht aus Deutschland im Feld, das schon 2011 bei der WM in Daegu aus dem Hinterhalt an die Spitze geschossen war.

Aber jetzt, da es tatsächlich passiert war und dieser Deutsche ihn beim wichtigsten Wettkampf des Jahres plötzlich abgehängt hatte, fühlte es sich doch sehr schlecht an. Platz zwei mit 21,57 Metern vor Dylan Armstrong aus Kanada (21,34), aber hinter David Storl aus Chemnitz (21,73) - das hatte er nicht gewollt. "Ich bin enttäuscht mit dem Silber", sagte Ryan Whiting kraftlos, nachdem ihn aus irgendeiner Ferne eine Frage erreicht hatte. "Es gibt keine Entschuldigungen."

David Storl hingegen, das Milchgesicht, ist ganz fidel gewesen nach seinem Coup. Auf die Empfindungen eines Amerikaners - wenn auch eines sympathischen Amerikaners - kann er berufsbedingt keine Rücksicht nehmen, wenn er seinem Sport nachgeht. Storl ist schließlich nicht mehr irgendwer, und die Gefahr, dass ihn jemand nicht mehr für voll nehmen könnte, weil er nach den Ehrungen als Jahrhunderttalent und jüngster Kugelstoß-Weltmeister der Geschichte im höheren Erwachsenen-Alter das Tempo nicht mehr halten kann, beschäftigt ihn durchaus.

"Eine Riesenerleichterung" hat er seinen zweiten WM-Sieg nach 2011 deshalb genannt und sich in seiner sonoren, unaufgeregten Art ein bisschen selbst loben müssen. "Ich freu' mich, dass es doch wieder so geklappt hat", sagte er, "ich bin stolz auf mich selber."

Denn es gab je ein bisschen was aufzuarbeiten nach den wilden Jahren 2011 und 2012, in denen er erst den Gipfel der Weltklasse eroberte und ihn dann mit einem schönen zweiten Platz bei den Olympischen Spielen in London bestätigte. Die Strapazen dieser beiden Spielzeiten musste er erstmal aus den Knochen kriegen. "Nach London ist schon eine Last von mir abgefallen", sagt er, und die wollte er sich nicht gleich wieder aufladen. Er nahm eine Auszeit während der Hallensaison, hatte ein paar gesundheitliche Probleme zu bearbeiten, kam eher schleppend hinein in die Saison und merkte, dass er irgendwie nicht richtig bei der Sache war.

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"Dieses Jahr habe ich mich ganz schön zwingen müssen, um mich richtig zu konzentrieren." Wenn einen der Alltag einfängt im Sport nach den schillernden Augenblicken eines Großereignisses, ist es nun mal nicht so einfach, seine Sinne auf so eine kleine, komplizierte Präzisionsarbeit wie das Kugelstoßen zu lenken. "Nach London letztes Jahr hat mir dieses Kribbeln im Bauch gefehlt." Selbst in der Qualifikation von Moskau stieß Storl noch mit gebremster Hingabe. "Ich war nicht motiviert, da an meine Grenzen zu gehen." Er brauchte alle drei Stöße, um sicher im Finale zu sein.

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Aber eine WM kann die Lebensgeister des Storl dann doch wieder wecken. Es war schon bemerkenswert, wie er seine Kugel plötzlich wieder in ganz andere Weiten schicken konnte. 21,04 Meter betrug seine Saisonbestweite vor der WM. Im Finale übertraf er sie gleich im ersten Versuch mit 21,19. Und im zweiten wieder mit 21,24.

Drüben, an der Weitsprunganlage, arbeiteten zwei weitere Vertreter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes an einem DLV-Erfolg, was einen schönen sechsten Platz durch Christian Reif (8,22 Meter) sowie einen neunten Platz durch Sebastian Bayer (7,98) einbrachte. Und kurz bevor Reif seine gute Leistung erläuterte ("Der Ausreißer hat gefehlt"), machte David Storl ernst. Im vierten Versuch traf er die Kugel voll. Als sie seine Pranke verließ, spürte er sofort, dass etwas Gutes passierte.

Storl jubelte dem Gerät hinterher - und sah sich gleich in der Freude gebremst. Rote Fahne. Ungültig? Storl war sich keines Fehlers bewusst. Er protestierte, und wer weiß wie dieser kurze Prozess zu Ende gegangen wäre, wenn Storl nicht einen Fotografen als Zeugen hätte hinzuziehen können. Der Mann hatte Bildmaterial im Apparat. Der Fotobeweis überzeugte die Richter, kurz darauf gaben sie den Stoß gültig. 21,73 Meter. Platz eins.

"Ich hätte die Kampfrichter auch ohne Bilder überzeugt", sagte David Storl. Er war sich seiner wieder sehr sicher an diesem freundlichen Abend im Luschniki-Stadion, und Ryan Whiting konnte nicht kontern. Traurig stapfte Whiting davon. Während David Storl mit dem guten Gefühl weiterzog, auch aus einem Motivationsloch heraus Weltmeister werden zu können.

© SZ vom 17.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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