Comeback von Darts-Spieler Gabriel Clemens:"Ich war eigentlich tot"

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Jubel im Alexandra Palace: Gabriel Clemens feiert den Einzug ins Achtelfinale. (Foto: Shaun Brooks/Imago)

Erst liegt Gabriel Clemens bei der Darts-WM komfortabel in Führung, dann beinahe aussichtslos zurück. Er erreicht das WM-Achtelfinale, weil seine Pfeile im entscheidenden Moment wie an unsichtbaren Fäden geführt in die Felder fliegen.

Von Korbinian Eisenberger

Es war alles bereit, um das sportliche Drama noch zu verhindern. Gabriel Clemens musste nur bewerkstelligen, was ihm so oft gelungen war: einen Dartpfeil in ein acht Millimeter hohes Feld werfen. Der beste deutsche Dartsspieler hatte zwei Chancen, den Satz für sich zu entscheiden. Das Doppel-16-Feld verfehlte er. Die Doppel-8? Auch daneben. Nun war alles angerichtet für ein Riesen-Darts-Drama.

Bei den Fans heißt er "German Giant", deutscher Riese, gegeben haben ihm diesen Namen die Engländer, nicht so sehr er selbst. Gabriel Clemens ist zwar eine wuchtige Erscheinung, aber kein Typ für große Worte. Zurückhaltung liegt dem Saarländer, Höflichkeit, Bescheidenheit gar. Und genau dieser Clemens steht nun tatsächlich erneut im Achtelfinale der Darts-Weltmeisterschaft. Vor zwei Jahren war dem Saarwellinger dieser Schritt als erstem und bis dato einzigem deutschen Dartsprofi geglückt. Am Donnerstag zeigte der 39-Jährige, warum er diesmal noch weiter kommen könnte.

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Gegen Jim Williams lag Clemens zunächst scheinbar komfortabel in Führung, ehe er schier aussichtslos in Rückstand geriet. "Ich war eigentlich tot", sagte Clemens nach der Partie beim Streaming-Anbieter Dazn. "Ich hab es dann irgendwie geschafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen."

Es geht nur um Darts, aber das sportliche Theaterstück auf der Bühne des Alexandra Palace zu London eilte von Akt zu Akt. Deswegen sagte Gabriel Clemens nun solche Sätze und Worte, die er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Pfeilewerfer sonst eher selten sagt. Der 38-jährige Williams hatte das Momentum auf seiner Seite. Der Waliser hatte Clemens für zwei vergebene Satzdarts bestraft. So stand es zur dritten Spielpause der Best-of-7-Partie nicht 3:1 für den Deutschen - sondern 2:2.

Anschließend spielte Williams unnachahmlich gut, zeitweise baute er seine Doppelquote auf 70 Prozent aus, oder wie andere sagen würden: Weltklasse. Offenbar mühelos schnappte er sich Satz fünf und ließ zwei weitere Legs zur 2:0-Führung in Satz sechs folgen. Das bedeutete: Clemens musste nun dreimal in Serie 501 Punkte abräumen, dabei zwei Breaks schaffen. Vier Gewinnsätze braucht man in der dritten Runde der Darts-WM zum Weiterkommen, und Williams war hauchdünn vor dem vierten Satzgewinn.

"Er hat auf Doppel gefühlt gar nichts vorbeigeworfen", sagte Clemens nach dem Match über seinen Gegner, mehr nicht. Dabei ist dann viel mehr passiert. Von Beruf ist Clemens ja Schlosser, alles in allem auch nicht verschlossen, aber wenn es nicht zwingend ist, auch kein Mann für lange Sätze. Außer eben, es geht darum, einen Satz im Fall eines Rückstand so zu verlängern, um ihn noch zu gewinnen. Und so kam es dann.

Es ist der zweite Achtelfinaleinzug für Clemens

Den von Fans liebevoll "Ally Pally" genannten Palast im Norden von London hatten sie vor ziemlich genau 150 Jahren als Erholungsanlage gegründet. Und im Geiste der Erbauer erholte sich nun ein 39 Jahre alter Saarländer, dem vor der Bühne gut 3000 Menschen zusahen, knapp ein Drittel davon waren aus Deutschland angereist, mit schwarz-rot-goldenen Flaggen und "Saarland"-Schildern ausgerüstet, bisweilen kostümiert und überwiegend "Oh wie ist das schön" rufend. Und es wurde schön für alle, die es mit Clemens hielten.

Er überstand zunächst einen Match-Dart - Williams verfehlte knapp die Doppel-6 - und drehte alles um. Clemens ließ die Pfeile nun wie von unsichtbaren Fäden gezogen in die Triple- und Doppelfelder gleiten. Für seinen Gegner hatte sich der Erholungsort Ally Pally in wenigen Minuten zum German Dungeon verwandelt, zum deutschen Verlies. Schließlich verwandelte Clemens seinerseits einen Matchpfeil in den winzigen roten 50er-Knopf, Bull's Eye.

Vor zwei Jahren hatte er in Runde drei Mitfavorit Peter Wright 4:3 bezwungen. Nun erwischte er einen ungesetzten Spieler von weniger prominentem Format. Williams aber hatte zuvor den an Nummer acht gesetzten Engländer James Wade aus dem Weg geräumt. Wie Clemens selbst diesen Sieg gegen Williams bewertete? "Es war mit Sicherheit eins der guten Spiele", sagte er. Okay, "der sehr guten Spiele".

Auch Martin Schindler ist noch für Deutschland im Wettbewerb

Die nächsten sehr langen Sätze hebt er sich womöglich für Runde vier auf. Im Achtelfinale trifft er womöglich auf den an neun gesetzten Niederländer Danny Noppert, der als Favorit in das Duell mit dem Schotten Alan Soutar geht. Vor zwei Jahren hatte Clemens in dieser Turnierphase den Polen Krzysztof Ratajski in den siebten Satz gezwungen - und schließlich mit 3:4 verloren.

Einseitige Zuneigung: Während der Routinier Raymond van Barneveld (rechts) mehrmals seinen Bezwinger Gerwyn Price preiste, wollte dieser lieber allein feiern. (Foto: Shaun Brooks/Action Plus/Imago)

Clemens betont auf Nachfrage stets, was er inzwischen an seiner Trainingsweise verändert hat. "Ich habe viel für den Kopf und für die Athletik gemacht", sagte er am Dienstagabend. Für Mittwoch kündigte er seine Unterstützung für den zweiten verbliebenen deutschen Starter Martin Schindler an. Der 26-Jährige spielt am Mittwochabend gegen 22.30 Uhr MEZ gegen den Weltranglisten-Vierten Michael Smith um den Achtelfinaleinzug.

Raymond van Barneveld, der Weltmeister von 2007 und sentimentale Held dieser WM, scheidet chancenlos aus

Während also Clemens und Williams eines der spektakulärsten Duelle dieser WM boten, entpuppte sich das als großer Showdown gedachte Match des Abends als Enttäuschung: Der zurückgekehrte Routinier Raymond van Barneveld, 55, verlor glatt mit 0:4 gegen den hochüberlegenen Gerwyn Price. Während der Niederländer bemüht war, einen friedlichen Ausklang des Abends zu finden, indem er seinen Bezwinger lobte und mehrmals umarmte, zeigte Price kein Interesse, den Triumph still zu genießen. "Jetzt kann ich endlich sagen, dass ich Raymond in einem TV-Spiel besiegt habe", sagte Price im anschließenden Interview. Die Pfiffe gegen ihn schienen ihn geradewegs anzuspornen.

Die große Überraschung dieser Runde kam zum Schluss: Weltmeister Peter Wright, 52, verabschiedete sich nach einer unerwarteten 1:4-Niederlage gegen den krassen Außenseiter Kim Huybrechts vom Traum der erfolgreichen Titelverteidigung. Sein belgischer Bezwinger analysierte kurz: "Ich muss fair und ehrlich sagen: Das war nicht Peter Wright. Das war der Name Peter Wright, aber nicht die Person. Normalerweise spielt er 20 Mal besser", sagte Huybrechts, Spitzname "Hurricane", den nun ein belgisches Achtelfinalduell mit Dimitri van den Bergh erwartet.

Wright, den auch viele nicht an Darts interessierten Menschen wegen seiner extravaganten Frisuren schon mal zur Kenntnis genommen haben dürften, dürfte es fast als Hohn empfinden, dass ihm trotz seines frühen Ausscheidens ein kurioser Trost zuteil werden könnte: Wird aus dem Trio Price, Michael van Gerwen (Niederlande) oder Michael Smith (England) keiner Weltmeister, würde Wright wieder Weltranglistenerster sein.

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