Costa Ricas Triumph bei der WM:Pures Leben statt Beiwerk

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Der Außenseiter schlägt den Favoriten: Costa Ricas Spieler jubeln über den Sieg gegen Italien. (Foto: Getty Images)

In einem technischen und strategischen Bravourstück schlägt Costa Rica Italien mit 1:0, wirft England aus dem Turnier - und steht im Achtelfinale. Auf den Tag genau 24 Jahre nach dem letzten Triumph der Mittelamerikaner. Vorbereitet ist das kleine Land darauf nicht.

Von Peter Burghardt, São Paulo

In Recife ging ein weiteres verblüffendes Spiel dieser Fußball-Weltmeisterschaft zu Ende, da begann dort und einige tausend Kilometer nordwestlich in Mittelamerika ein ebenso unverhofftes Fest. Auf dem brasilianischen Rasen hüpfte ein glücklicher Kolumbianer, der Trainer José Luis Pinto, und seine weiß gekleideten Spieler von Costa Rica tanzten im Kreis.

Einer von ihnen sich hatte auch rasch eine rotweiß-blaue Flagge geschnappt, um das historische Ereignis angemessen zu begehen. "Geht raus, erzählt es euren Kindern, euren Enkeln", empfahl zu Hause in San José die Zeitung La Nación: "Atmet durch. Ja, Costa Rica hat gerade Italien 1:0 besiegt und das Achtelfinale erreicht, in einer Gruppe, die als furchterregend verkauft worden wa." Das Blatt stellte einen entsprechend monumentalen Titel darüber: "Der Gigant der Todesgruppe badet Costa Rica in Ruhm."

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Er wollte so gerne die Queen küssen, doch stattdessen wütet er frustriert auf dem Spielfeld: Auch im Spiel gegen Costa Rica setzt Trainer Cesare Prandelli auf Mario Balotelli - doch der italienische Stürmer führt seine Aufgabe nur mäßig aus.

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Tatsächlich, so war es, kaum zu glauben. Nach dem bereits erstaunlichen 3:1-Sieg in seinem ersten Match gegen Uruguay gewann der Außenseiter also auch gegen den viermaligen Weltmeister Italien. Diesmal genügte ein Treffer von Mannschaftskapitän Bryan Ruiz nach 44 Minuten, der 28-jährige Angreifer vom PSV Eindhoven mit der Nummer 10 köpfte eine Flanke des Mainzers Junior Díaz ins Tor, vorbei an dem berühmten Torwart Gianluigi Buffon in dessen 141. Länderspiel.

Ein Zufall war der Treffer nicht, denn Augenblicke zuvor hätte der chilenische Schiedsrichter Enrique Osses Elfmeter pfeifen müssen, als Italiens Verteidiger Giorgio Chiellini den famosen Stürmer Joel Campbell im Strafraum umsäbelte. Gut, davor hatte Mario Balotelli mit einem abgefälschten Schuss über die Latte den costa-ricanischen Schlussmann Keylor Navas erschreckt, aber das war so ziemlich die einzige Großchance des Favoriten.

Erstaunlich, wie so vieles bei diesem unterhaltsamen Turnier. Kaum jemand hatte die Costa Ricaner auf der Rechnung gehabt, sie schienen eher Beiwerk zu sein in der Gruppe D. Stattdessen sind jetzt seit Donnerstagabend die Engländer draußen, und Italien muss mit Uruguay darum kämpfen, nicht ebenfalls nach Hause fahren zu müssen.

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Bereits beim schwungvollen Erfolg über die Uruguayer hatte man gesehen, dass dieses Team vom Isthmus ein feines Ensemble ist. Und nun führten sie in der Arena Pernambuco ein weiteres technisches und strategisches Bravourstück vor. Flink, überlegt, geordnet. "Wir haben nicht den Kopf verloren und es geschafft, ihnen das Spiel zu entreißen", sprach der entrückte Coach Pinto, der im Alter von 61 Jahren den Höhepunkt seiner Karriere erlebt.

"Wir sind auf einen Weltmeister getroffen, Prandelli ist ein Großer", erinnerte er, als habe sein Idol übertrumpft. "Deshalb ist das ein Verdienst unserer Spieler und der Taktik, die wir angewendet haben", seiner Taktik. Italiens Nationaltrainer Prandelli musste mannhaft zugeben, dass dies keine Glücksnummer gewesen war: "Costa Rica hat gut gearbeitet, ist gut vorbereitet und gut organisiert. So schafft man sich seine Geschichte. Das ist keine Überraschung."

Bislang war die Geschichte des Fußballs aus der Republik zwischen Atlantik und Pazifik überschaubar gewesen. Obwohl es da schon mal einen ähnlich erfreulichen 20. Juni gab, 24 Jahre ist es her. An jenem Tag 1990 setzte sich der damalige WM-Debütant in Genua 2:1 gegen Schweden durch und zog ebenfalls ins Achtelfinale ein.

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Trainer war seinerzeit der serbisch-mexikanische Globetrotter Bora Milutinovic. In der K.o.-Runde verloren die Debütanten dann gegen die CSSR, doch das Datum blieb bis zuletzt der Gipfel der nationalen Sportgeschichte, ehe 2014 ein noch bedeutenderer 20. Juni daher kam.

José Luis Pinto war zwischenzeitlich schon mal der Trainer gewesen, 2004 und 2005, ehe er vor der WM 2006 in Deutschland gehen musste. In München hatte sein brasilianischer Nachfolger Alexandre Guimarães die Ehre, die Zentralamerikaner im Eröffnungsspiel in eine durchaus ehrenhafte 2:4-Niederlage gegen die Gastgeber zu führen, der Angreifer Paulo Wanchope schoss in München beide Tore. Den Termin 2010 verpasste das Ensemble im Relegationsduell mit Uruguay, worauf Señor Pinto dann 2011 trotz zahlreicher Kritiker wieder übernehmen durfte - und einen offenbar ziemlich guten Job machte.

So steht Costa Rica derzeit weniger für seine Urwälder, Strände, Tiere, Kaffeefarmen und US-Fabriken. Man würdigt auch nicht hauptsächlich die schöne Tatsache, dass diese von vielen Nordamerikanern besuchte Schweiz Mittelamerikas als eines der wenigen Länder auf dieser Erde längst seine Armee abgeschafft hat und das Geld außer für die Polizei auch für Umweltschutz ausgibt.

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Auf einmal ist von Joel Campbell die Rede, von Bryan Ruiz, Michael Umaña oder Christian Bolaños, dem grandiosen Mittelfeldspieler vom FC Kopenhagen. "¡Vivan siempre el trabajo y la paz!", heißt es in der Hymne. "Es leben für immer die Arbeit und der Friede!" Das Motto lautet "Pura Vida", pures Leben, all das hat sie allen Ernstes durch die Todesgruppe manövriert.

Im Vergleich mit England können sie sich ausruhen, falls nicht auch noch Albion gefällt werden soll. Den 20. Juni sollte die Regierung zum Feiertag ernennen. Wobei es bei dieser WM an einem späteren Tag durchaus noch besser kommen kann für Costa Rica, die Reiche Küste, die gerade im Ruhm badet.

© SZ vom 21.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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