Internationaler Fußball:"Gibt immer noch Vereine, die auf dem Mars leben"

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Cristiano Ronaldo: Spielt nicht mehr, ist bis auf Weiteres auf Madeira (Foto: Getty Images)
  • Cristiano Ronaldo und Lionel Messi rufen zur Vernunft im Umgang mit dem Coronavirus auf. "Es ist die Zeit, verantwortlich zu sein und zu Hause zu bleiben", schreibt Messi in den sozialen Netzwerken.
  • Unterdessen beklagt Italiens Spielerorganisation AIC den Umgang mancher Klubs mit der Pandemie.
  • Ob die EM wie geplant stattfinden kann, wird diskutiert. Nach Informationen der britischen Zeitung Telegraph ist auch die Verlegung in den Winter eine Option.

Von Anna Dreher, München

Cristiano Ronaldo hat das Wochenende mit einem Appell eingeleitet. Es ist einer der seltenen Fälle, in denen sich der Fußballer an seine allein auf Instagram mehr als 207 Millionen Fans nicht mit einem Foto wendet, auf dem er zu sehen ist. Weil es auch ihm jetzt offenbar nicht um sein Leben ging, sondern um den Umgang mit dem sich global weiterverbreitenden Coronavirus. Die Welt, schreibt Ronaldo in dem am Freitag veröffentlichten Text, durchlebe gerade einen sehr schwierigen Moment, der größte Sorgfalt und Aufmerksamkeit von allen verlange.

"Ich spreche nicht als Fußballer zu euch, sondern als Sohn, Vater, als Mensch, der von den jüngsten Entwicklungen besorgt ist, die die ganze Welt beeinflussen. Es ist wichtig, dass wir die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Regierungen befolgen, wie wir mit der aktuellen Situation umgehen." Und: "Der Schutz von Menschenleben muss über alle anderen Interessen gestellt werden."

MeinungCoronavirus in Italien
:Die Serie A sucht nach einem würdigen Abschluss

Saison abbrechen? Klassement einfrieren? Im Sommer weitermachen? Playoffs für den Titel? Italien debattiert, wie die Fußballsaison zu einem Ende zu führen ist. Dabei gibt es eigentlich nur eine Option.

Kommentar von Oliver Meiler

Am Montag war der 35-Jährige mit seiner Lebensgefährtin und den vier Kindern in seine portugiesische Heimat gereist. Ronaldos Mutter hatte vor einer Woche einen Schlaganfall erlitten. Den zeitlichen Rahmen der Reise nach Madeira gibt allerdings die Pandemie vor: Erst, wenn sich die Situation in dem in Europa am stärksten betroffenen Italien wieder beruhigt hat, will der Stürmer von Juventus Turin zurückkehren - das Virus ist auch Ronaldo plötzlich sehr nahegekommen.

Sein 25-jähriger Teamkollege Daniele Rugani war am Mittwoch als erster Profi aus einer großen europäischen Liga positiv auf das Coronavirus getestet worden. Das gesamte, 121 Personen umfassende Team steht unter Quarantäne, was auch den früheren deutschen Nationalspieler Sami Khedira zu einem Aufruf animierte: "Wir bei Juventus Turin unterstützen das Sammeln von Geldspenden für Krankenhäuser in Turin und der Region Piemonte. Auch ihr könnt spenden, wenn ihr mögt", sagte der 32-Jährige in einem Video. Alle seien in einer Ausnahmesituation, der einzige Weg daraus sei der Zusammenhalt: "Junge Menschen helfen älteren, die gesunden den kranken."

Dass Juventus in der kommenden Woche nicht in der Champions League gegen Olympique Lyon antreten würde, war schnell klar. Die Serie A hatte da ihren Spielbetrieb bereits ausgesetzt, so lange wie in Deutschland die Bundesliga konnte die italienische Fußballoberklasse nicht an der Ausrichtung ihrer Partien festhalten - auch wenn sich ein paar der mächtigeren Klubs bis zum Dekret der Regierung noch dagegengestemmt haben sollen. Alle Sportveranstaltungen sind vorerst bis zum 3. April ausgesetzt. Die Serie A teilte nach einer Videokonferenz von Liga- und Vereinsvertretern mit, dass die nationalen Meisterschaften erst wiederaufgenommen werden könnten, wenn es die sanitären Bedingungen zulassen. Arbeitsgruppen würden sich der Bewältigung der Notfallsituation widmen.

Die Zahl der bestätigten Corona-Infektionen in der Serie A ist auf zehn gestiegen

Die Saison sofort zu beenden, zwölf Spieltage vor dem regulären Ende, ohne Meister? Das Klassement einfrieren mit Juventus als Meister? Noch ist alles offen. Der Präsident des italienischen Fußballverbandes FIGC, Gabriele Gravina, schließt jedoch aus, dass die Meisterschaft beim jetzigen Stand abgebrochen und für beendet erklärt wird. "Unser Hauptziel ist", sagte Gravina im Interview mit der römischen Tageszeitung Il Messaggero, "entsprechend der allgemeinen Lage in Italien die Meisterschaft nach Plan zu Ende zu führen."

Playoffs schloss er dabei als nützliche und spannende Lösung in der aktuellen Situation nicht aus. Die Bemühungen des Verbandes richten sich gerade vor allem auch auf die Europameisterschaft, die am 12. Juni beginnen und in zwölf Ländern ausgetragen werden soll. "Wir haben als erster Verband die Forderung gestellt, dass der internationale Spielkalender geändert wird. Angesichts der fortgeschrittenen Phase der Wettbewerbe muss man zuerst Meisterschaften, Champions League und Europa League zu Ende bringen", sagte Gravina.

Die Zahl der bestätigten Corona-Infektionen in der Serie A ist auf zehn gestiegen, die meisten davon derzeit bei Sampdoria Genua: Fabio Depaoli, Omar Colley, Ex-HSV-Profi Albin Ekdal, Antonino La Gumina, Morten Thorsby, Manolo Gabbiadini sowie der Mannschaftsarzt sind infiziert. Der Verein gab nun bekannt, keine weiteren Informationen mehr bezüglich Covid-19-Erkrankungen in den eigenen Reihen geben zu wollen, um unnötigen Alarmismus zu vermeiden.

In einem Statement kritisierte die Spielerorganisation AIC eine "paradoxe Situation" und schrieb, dass sich manche Klubs den Richtlinien widersetzen und Spieler nach wie vor ins Training beordern würden: "In Italien gibt es immer noch Fußballvereine, die entweder beschämend verantwortungslos sind, auf dem Mars leben oder auch nur ein Minimum an Würde vermissen lassen." Der SSC Neapel indes möchte ein Zeichen der Gemeinschaft setzen: Am Samstag um 19.45 Uhr, so der Aufruf bei Twitter, sollten alle auf Balkonen oder an Fenster anfangen, das Lied "Un giorno all'improvviso" (eines Tages plötzlich) zu singen.

Real Madrid hat sein gesamtes Team unter Quarantäne gestellt

In Frankreich, wo zwei Spieler des Zweitligisten ES Troyes positiv getestet wurden, und in der Schweiz ruht der Ball bis auf Weiteres ebenfalls. Der Schweizer Fußballverband SFV hat die Pause bis mindestens 30. April um einen Monat verlängert, die Saison soll aber bis Sommer zu Ende gespielt werden, das sei das klare Ziel. Dass in Spanien die Spieltage 28 und 29 der La Liga am Donnerstag vom spanischen Verband RFEF abgesagt wurden und der Spielbetrieb bis mindestens 4. April pausiert, hat Club Deportivo Leganés zu Kreativität angeregt.

Wie auch manch deutscher Verein, twitterte CD 90 Minuten lang zum angeblich spannenden 2:1-Heimsieg gegen Real Valladolid und beendete den Liveticker mit "viel Kraft im Moment und dass uns nie der Sinn für Humor fehlt. #StayInHome #TogetherWeCan." Leganés Geschäftsführer Martin Ortega war da bereits positiv getestet worden. Zwei Mitarbeiter im technisch-sportlichen Stab des spanischen Fußball-Erstligisten Deportivo Alaves sind ebenfalls infiziert.

Am Freitag hatte der Verband den Klubs nach der neuesten Entwicklung empfohlen, den Trainingsbetrieb einzustellen und bat darum, die Hinweise der Gesundheitsbehörden, "insbesondere die Maßnahmen der Isolation" zu befolgen. Jeder Verein solle für seine Spieler individuelle Trainingspläne ausarbeiten. Wie auch Juventus Turin hatte Rekordmeister Real Madrid mit dem deutschen Nationalspieler Toni Kroos die gesamte Mannschaft relativ schnell unter Quarantäne gestellt, nachdem bei einem Basketballer des Vereins das Virus nachgewiesen wurde. Reals Marco Asensio arbeitet deswegen im eigenen Garten nach einem Kreuzband- und Außenmeniskusriss weiter an seinem Comeback - und teilte seine Trainingseindrücke per Video auf Twitter.

Nachdem auch die Profis des FC Barcelona - ohne eigenen Coronavirus-Fall - nach Hause geschickt wurden, wendete sich Weltfußballer Lionel Messi wie Ronaldo und viele andere über Instagram an die Öffentlichkeit. "Es sind komplizierte Tage für alle. Wir leben besorgt angesichts dessen, was passiert", schreibt der Argentinier und richtet sich an jene, die in Krankenhäusern und Gesundheitszentren versuchen, das Virus zu bekämpfen. "Ich möchte ihnen allen viel Kraft schicken." Und: "Es ist die Zeit, verantwortlich zu sein und zu Hause zu bleiben." Mit Argentinien hätte der 32-Jährige am Donnerstag in der WM-Qualifikation gegen Ecuador gespielt. Doch der Weltverband Fifa hatte die Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaft 2022 in Asien und Südamerika abgesagt.

Am Freitagabend forderte die Fifa in einer Mitteilung zudem, "alle für März und April 2020 vorgesehenen internationalen Spiele so lange zu verschieben, bis diese ohne Gefahr für Spieler und die Öffentlichkeit ausgetragen werden können". Die sonst gültige Abstellungspflicht der Profis für ihre Nationalmannschaften hob die Fifa für die Länderspiele in diesem Zeitraum auf. Der europäische Verband Uefa hat für nächsten Dienstag eine Krisensitzung angekündigt. 55 Mitgliedsverbände, die Vorstände des Europäischen Klubverbands ECA, der Europäischen Ligen und ein Vertreter der Fußballergewerkschaft Fifpro wollen dann per Videokonferenz über die Lage sprechen - natürlich auch über die Europameisterschaft im Sommer.

Nach Informationen der britischen Zeitung Telegraph ist auch die Verlegung in den Winter eine Option, statt das Turnier im Sommer 2021 auszuspielen, wenn es mit der Klub-WM der Fifa kollidieren würde und quasi Testlauf für die Winter-WM 2022 in Katar sein könnte.

© SZ vom 15.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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