Chicago Cubs:108 Jahre verdichten sich in einem Schlag

Lesezeit: 3 min

Die Chicago Cubs bejubeln den entscheidenden Punkt zur Meisterschaft. (Foto: dpa)

Kaum ein Baseball-Klub hat je so lang auf einen Erfolg gewartet wie die Chicago Cubs. Im entscheidenden Spiel der World Series gelingt die Erlösung mit einem Spielzug.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

39 466 Tage: So lange hat kaum ein anderer Klub je auf den Erfolg gewartet. Zum Ende der ungewöhnlichen Serie meldete sich als einer der Ersten Barack Obama zu Wort. "Es ist passiert. Die Chicago Cubs haben die World Series gewonnen. Wollt ihr noch ins Weiße Haus kommen, bevor ich es verlasse?", fragte der US-Präsident via Twitter. Als die Cubs zum letzten Mal den Triumph feierten, hatte dort noch Theodore Roosevelt das Sagen: 1908 war das.

Fest stand der Champion der Major-League-Baseball-Saison erst, als nach viereinhalb Stunden Spielzeit im entscheidenden siebten Final-Spiel der Ball zu Kris Bryant kullerte und dieser ihn in den Handschuh seines Kollegen Anthony Rizzo warf. Die Cubs siegten bei den Cleveland Indians 8:7 nach Verlängerung, sie schafften in dieser Finalserie nach 1:3-Rückstand ein grandioses Comeback und wurden nach 108 Jahren wieder einmal Meister.

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Der Augenblick kurz nach Mitternacht Ortszeit war einer, den es so wohl nur im Baseball gibt. Die Cubs führten im zehnten Spielabschnitt mit einem Punkt, die Indians hatten jedoch nach zwei gescheiterten Versuchen einen Akteur zur ersten Base befördert, am Schlagmal stand Michael Martinez. Die Situation war so: Sollte Martinez den Ball auf die Tribüne prügeln, würde Cleveland den Titel gewinnen; sollte ihm kein Treffer gelingen, dann würden die Cubs Meister sein. Das Spiel, die Finalserie, die Saison, sie sollte sich in diesem einen Moment entscheiden.

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Martinez schlug, er traf, doch der Ball flog nicht aus dem Stadion, sondern rollte nur ein paar Meter weit. "Bryant to Rizzo", rief der Kommentator im Fernsehen, dann war alles vorbei: das Spiel, die Finalserie, die Saison.

"Bryant to Rizzo", in diesem Spielzug verdichtete sich am Mittwoch auch ein Jahrhundert amerikanische Sportgeschichte. Die vorerst letzte Meisterschaft der Cubs im Jahr 1908 natürlich, oder der vorerst letzte Einzug in die Finalserie vor 71 Jahren; die Cubs verloren damals 3:4 gegen die Detroit Tigers. Anschließend fiel der Klub von einer Enttäuschung in die nächste. In der fünften und entscheidenden Halbfinal-Partie 1984 etwa vergeigten sie ein 3:0-Guthaben.

Und dann war da natürlich die Halbfinal-Serie 2003. Als die Cubs bereits mit 3:1-Spielen gegen die Florida Marlins führten. Als sie sich dann, während des sechsten Spiels im heimischen Wrigley Field bereits als Finalteilnehmer wähnten. Als Outfielder Moises Alou in der Nähe der Tribüne einen Ball aus der Luft fangen wollte und dabei von einem Fan behindert wurde. Woraufhin die Marlins das Spiel und die Serie doch noch auf ihre Seite zerrten. Die Cubs, das war lange Zeit ein Gesetz im Baseball, durften gerne in Führung liegen und wie der kommende Meister wirken. Am Ende jedoch muss der im Jahr 1870 gegründete Verein verlieren, und das möglichst tragisch. Die Cubs, das waren keine Gewinner, sondern liebenswerte Verlierer.

Auch das Spiel am Mittwoch folgte zunächst diesem Skript: Die Cubs führten schnell 5:1, doch dann leisteten sich Catcher David Ross und Werfer Jon Lester jeweils einen grotesken Fehler: 5:3. Nach einem Homerun von Ross sah es wieder gut aus für Chicago, dann wechselte Trainer Joe Maddon den bis auf diesen einen Fehler ordentlich agierenden Lester aus und schickte Aroldis Chapman aufs Wurfmal, den Held der fünften Partie. Es war ein taktischer Schachzug, der die Cubs beinahe in den Untergang führte und der bei unglücklichem Ausgang wohl das Gedicht "Chapman for Lester" inspiriert hätte. Denn Chapman warf zunächst wackelig, erlaubte Brandon Guyer einen Treffer und Rajai Davis einen Homerun: 6:6.

162 Spiele hatten die Cubs in der Hauptrunde der Saison absolviert, 17 in den Playoffs. Und die letzte dieser 179 Partien am Mittwoch musste wegen der Nervosität der Cubs nun also verlängert werden. In diesem Moment begann es auch noch zu regnen. Weil auf dem Spielfeld aufgrund der Unterbrechung 17 Minuten lang nichts passierte, durften manche Cubs-Fans kleine Figuren von Ziegen in die Kameras halten. Die Legende besagt ja, dass auf dem Verein seit dem Oktober 1945 ein Fluch lastet, weil einem Fan und seiner Ziege der Eintritt ins Stadion verweigert worden war und dieser zornig prophezeite, dass die Cubs nie wieder etwas gewinnen mögen.

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Auf der Tribüne war auch Theo Epstein zu sehen, der Manager der Cubs, der mit wissenschaftlichen Analysen die Boston Red Sox im Jahr 2004 zum ersten Titel nach 86 Jahren geführt hatte. Vor fünf Jahren kam er zu den Cubs, er entstaubte den traditionsreichen, aber notorisch erfolglosen Klub und bastelte nach statistischen Kriterien einen Kader voller talentierter und bisweilen unterschätzter Spieler. Epstein glaubt nicht an Flüche, sondern an Zahlen. Er verpflichtete vor zwei Jahren den unkonventionellen Trainer Joe Maddon, der Epsteins Vision teilte und bei seiner ersten Pressekonferenz sagte, dass er möglichst schnell die World Series gewinnen wolle. Die Journalisten lachten, die Cubs werden Meister, hahaha. Maddon jedoch verzog keine Miene.

Maddon formte aus den von Epstein verpflichteten Talenten ein erfolgreiches Kollektiv, das nach der Hauptrunde 2016 bereits die beste Bilanz aller Mannschaften (103:59-Siege) vorwies, in der Ausscheidungsrunde souverän agierte, während der Finalserie diesen Rückstand aufholte und auch diese entscheidende Partie nicht vergeigte. Die Cubs schafften in der Verlängerung zwei Läufe und gestatteten den Indians - die seit 1948 auf einen Titel warten - nur noch einen. Nach Mitternacht warf Bryant zu Rizzo, es war vorbei.

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