Champions League:Der Himmel weint mit

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Abstauber kurz vor dem Seitenwechsel: Isco (in schwarz) setzt erfolgreich nach und erzielt das wichtige Auswärtstor für Real. (Foto: Cesar Manso/AFP)
  • Atlético Madrid verabschiedet sich mit einem 2:1 gegen Real Madrid würdig aus der Champions League.
  • Das Rückspiel ums Endspiel wird zu einem bemerkenswerten Abend.
  • Im Finale trifft Real nun auf Juventus Turin und hat die Chance zur historischen Titelverteidigung.

Von Javier Cáceres, Madrid

Das Unmögliche ist für Atlético Madrid weniger unmöglich. Behauptete Diego Simeone, der argentinische Trainer Atléticos, am Vorabend des Halbfinal-Rückspiels der Champions League gegen Real Madrid. Das Hinspiel, und darin lag das Unmögliche verborgen, war vor Wochenfrist mit einem 3:0-Sieg für Real ausgegangen. Die Differenz erwies sich als zu groß. Atlético siegte zwar mit 2:1. Doch den Finaleinzug schaffte Real, das damit den im vergangenen Jahr gegen Atlético errungenen Titel verteidigen darf, am 3. Juni gegen Juventus Turin in Cardiff/Wales.

Wie unmöglich das Unterfangen war, belegte die Statistik. Seit der Erfindung der Auswärtstor-Regel hatte es 459 K.-o.-Runden mit einem 3:0-Hinspielsieg gegeben, nur 25 Mal glückte eine Aufholjagd. Die Wahrscheinlichkeit, dass Atlético weiterkommen würde, lag also bei 5,44 Prozent. Real Madrid wiederum hatte noch niemals in einer K.-o.-Runde ein 3:0 aus der Hand gegeben. Aber Atlético heißt: es trotzdem zu probieren. Gegen jede Wahrscheinlichkeit. Oder eben "bis zum letzten Blutstropfen", wie das Plakat lautete, das das Team am Dienstag am Hotel empfangen hatte.

Nichts anderes war, was dann auf dem Spielfeld zu sehen war. Denn über dem grünen Rasen des abrissreifen Stadions (Atlético zieht zum Saisonende um) legte sich nicht bloß Spannung, sondern Starkstrom. Von der ersten Sekunde an. Das Ziel Atléticos war klar: das Spiel jeder Struktur und damit der Macht der Logik zu entziehen. Und es funktionierte. Zunächst jedenfalls.

Vorstufe des Deliriums

Die erste torgefährliche Aktion gehörte zwar Real Madrid. In der 7. Minute zwang Reals defensiver Mittelfeldspieler Casemiro den Atlético-Torwart Jan Oblak zu einer Glanztat, per Kopfball nach einer Ecke des deutschen Nationalspielers Toni Kroos. Doch danach machte Atlético es besser: Saúl köpfte den Ball zum 1:0 ins Netz (12.), ebenfalls nach einer Ecke. Nur vier Minuten später, und inmitten der weitgehend sterilen Versuche Reals, die Temperatur der Partie herunterzudimmen, holte Atléticos Mittelstürmer Fernando Torres gegen Raphaël Varane einen Elfmeter heraus, den Antoine Griezmann verwandelte (16.), obwohl er ausrutschte.

Auf den Rängen verfielen die Anhänger Atléticos in eine Vorstufe des Deliriums: "Sí se puede, sí se puede", die spanische Ur-Version von Barack Obamas "Yes, we can". Doch Atlético schaltete einen Gang herunter, in der nachvollziehbaren Annahme, dass man dieses Tempo niemals über 90, geschweige denn 120 Minuten gehen könnte. Vielleicht war ebendiese Einkehr der praktischen Vernunft das, was zu Atléticos Aus führte.

Denn des Wahnsinns beraubt, beruhigte sich die Partie, ohne dass sie einen wahren Herrscher über sich und schon gar keine spielerische Klasse zugelassen hätte. Atlético vermochte mit einiger Umsicht, die Passlinien Reals zu unterbrechen; mal war es Luka Modric, mal der wieder einmal wunderbare Isco, die mit Einzelaktionen versuchten, eine Lücke in der Defensive aufzutun. Dazwischen: zahllose Unterbrechungen. Bis zur 37. Minute hatte Referee Cüneyt Cakir gleich fünf Gelbe Karten gezogen, drei gegen Atlético (Savic, Gabi und Godin), zwei gegen Real Madrid (Danilo und Sergio Ramos). Doch dann kam die aus Atlético-Sicht fatale 42. Minute.

Karim Benzema tänzelte an der Grundlinie die drei Innenverteidiger Atléticos aus: Savic, Gimenez und Godin, der einen absurden Stellungsfehler beging. Benzema passte den Ball zurück auf Kroos, der hart, flach und platziert aufs Tor schoss. Oblak hielt mirakulös, doch Isco traf per Nachschuss zum 2:1. Es war das 61. Pflichtspiel Reals in Serie mit eigenem Torerfolg, die Madrilenen stellten damit einen Rekord des FC Bayern aus den Zeiten Guardiolas ein. Vor allem aber warf es die Dynamik des Spiels über den Haufen. Denn Atlético musste nun mindestens drei weitere Tore schießen, um weiterzukommen.

Nach der Pause zirkelte Ronaldo einen Freistoß aufs Tor, den Oblak parierte. Doch das war bloß das Feuerwerk, mit dem Real kaschierte, dass man den Kopf walten lassen wollte. Und das bedeutete vor allem, jene Spieler zu suchen, die den Ball in den eigenen Reihen halten konnten: Kroos, Modric, Isco. Sie dirigierten das Ballbesitzspiel, das Real als Beruhigung und perfekte Verteidigungsstrategie diente. Die Dominanz Reals verhinderte nicht, dass Atlético durch Carrasco und Gameiro noch zu einer Doppelchance kam, die Torwart Keylor Navas vereitelte (66.). Auch Griezmann probierte es mit einem Drehschuss (70.), Navas parierte.

Die Zeit erstarb, unter den unbeugsamen Gesängen der Atlético-Anhänger. Sie trieben ihr Team weiter den ewigen Rivalen aus dem Norden der Stadt nach vorn, ein letztes Mal im Calderón. Am Ende, in den letzten Minuten, öffnete der Himmel seine Schleusen und weinte mit. Denn da war klar: Nur Juve trennt Real von der Titelverteidigung - der ersten, seit es die Champions League gibt.

© SZ vom 11.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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