6:0 in der Champions League:"Wir haben den Brasilianern die Lust am Fußball genommen"

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Ein Schuss, der perfekt sitzt: Alassane Plea (Mitte) trifft gegen Donezk. (Foto: AFP)

Gladbach erinnert gegen das mit Südamerikanern gespickte Donezk ein kleines bisschen an das 7:1 von Belo Horizonte. Die Tabellenführung in der Gruppe mit Inter und Real nehmen sie cool hin.

Von Ulrich Hartmann, Kiew/München

Sechs Brasilianer standen am Dienstagabend in der Startelf von Schachtar Donezk. Der ukrainische Meister unterhält traditionell beste Kontakte nach Südamerika, der halbe Kader ist brasilianisch. Am Dienstag könnten sich diese Spieler an den 8. Juli 2014 erinnert gefühlt haben, als sie zusehen mussten, wie Brasilien das WM-Halbfinale 1:7 gegen Deutschland verlor. 0:3 stand es damals nach 24 Minuten und 0:5 zur Pause. Diesmal, im Champions-League-Spiel gegen den Bundesligisten aus Mönchengladbach, stand es 0:3 nach 26 Minuten, 0:4 zur Pause und am Ende 0:6. Die Schachtar-Spieler schüttelten verständnislos die Köpfe. Die Gladbacher hingegen wirkten cool. Sie schienen sich gar nicht zu wundern, dass sie nach der Hälfte der Gruppenphase Gruppenerster sind und mit fünf Punkten aus drei Spielen gute Chancen besitzen, ihren Klub erstmals seit 1978 ins Achtelfinale der Königsklasse zu befördern.

Es war ein Flirt mit den Geschichtsbüchern, aber der höchste Europapokalsieg in der Gladbacher Historie war das aber nicht, weder daheim noch auswärts. Da gab es in den Siebziger Jahren höhere Erfolge. Ein schlechtes Gewissen mochten die aktuellen Borussen deswegen jedoch nicht haben. "Wir waren giftig und vorne eiskalt", sagte Kapitän Lars Stindl, "fast jede Chance war ein Treffer." Christoph Kramer klang fast nüchtern, als er konstatierte: "Wir waren griffig und klar - und haben den Brasilianern die Lust am Fußball genommen." Für die Rückrunde schwante dem Mittelfeldspieler aber Bedrohliches: "Keines der drei Teams wird uns noch mal unterschätzen." Trainer Marco Rose berichtete hinterher, dass er sich nicht früh zu sicher gewähnt habe. "Zur Pause erzählst du der Elf noch mal von dem Pferd vor der Apotheke", witzelte er. "Aber die Jungs haben diesmal viel richtig gemacht."

Die bei Inter (2:2) und gegen Real Madrid (2:2) verspielten Führungen hatten bei den Gladbachern offenbar den Wunsch ausgelöst, die Führung diesmal noch früher und noch höher herauszuspielen. Pléa (8.

), Kramer (17.), wieder Pléa (26.) und Bensebaini (44.) trafen zur Pausenführung. Es war acht Jahre her gewesen, dass eine Gladbacher Mannschaft im Olympiastadion von Kiew gastierte, in dem die Ostukrainer von Schachtar derzeit im Exil sind. 2012 spielte Gladbach gegen Dynamo Kiew in den Champions-League-Playoffs. Tony Jantschke, Patrick Herrmann und Oscar Wendt - diesmal auf der Bank - haben schon damals für Gladbach gespielt, unter Lucien Favre. Doch man verpasste die Champions League seinerzeit um ein einziges Tor. Erst im Herbst 2015 spielte Gladbach dann in der Königsklasse mit und wurde in der Gruppe Vierter. Ein Jahr später qualifizierte man sich erneut und wurde in der Gruppe Dritter. "Dann müsste jetzt logischerweise Platz zwei folgen", hatte Sportdirektor Max Eberl vor dem Spiel in Kiew gewitzelt. Hat Eberl seherische Fähigkeiten? Eher nicht. Wenn seine Borussen so weiterspielen, werden sie ja Erster.

Vier von Schachtars Brasilianern sind Angreifer. Sie spielen normalerweise auf ganz hohem Niveau. Aber die fabelhaften Gladbacher ließen sie überhaupt nicht ins Spiel kommen. Das Selbstbewusstsein der Borussen war enorm. Einige von ihnen sahen vor dem Anpfiff so aus, als wollten sie den Text der Champions-League-Hymne mitsingen - aber der ist dreisprachig.

Sei''s drum, dreisprachig war ihre Startelf auch. Es dauerte nur sieben Minuten, ehe der Österreicher Stefan Lainer über Rechts vorstieß und mit seiner Hereingabe den Franzosen Pléa erreichte, der mit seinem ersten Champions-League-Tor das 1:0 herstellte. Pléa sollte mit drei Treffern und einer Vorlage zum Spieler des Abends werden. Als ein Fernschuss von Kramer ins Tor abgefälscht wurde (17.), durfte der Weltmeister von 2014 in seinem 14. Champions-League-Spiel auch seinen ersten Treffer in diesem Wettbewerb bejubeln. Die Uefa nannte Kramers Premiere hinterher allerdings ein Eigentor. Gemein!

Im Laufe der zweiten Halbzeit nahm Schachtars portugiesischer Trainer Luis Castro vier Brasilianer heraus und brachte dafür zwei Brasilianer und zwei Ukrainer. Das nützte aber auch nichts. Die jüngsten Erfahrungen der Borussen führten dazu, dass sie keinen Zentimeter zurückwichen. Sie dominierten jene Elf, die 3:2 bei Real Madrid gewonnen und gegen Inter Mailand ein 0:0 erkämpft hatte. Diesmal waren die Ukrainer aber demoralisiert. Stindl erhöhte in der 65. Minute auf 5:0, Plea stellte in der 78. Minute den 6:0-Endstand her. Ein unglaublicher Kantersieg. Manches erinnerte an den 8. Juli 2014. Gladbachs Kramer war damals im Estadio Mineirao in Belo Horizonte dabei. Er saß auf der deutschen Bank, wurde aber nicht eingewechselt.

© SZ vom 04.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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