Champions League:Bei Real Madrid raunt die Ehrentribüne

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Hinter vorgehaltener Hand: Sergio Ramos (links) und Trainer Zinedine Zidane. (Foto: AP)

Real kann die größten Titel gewinnen - aber für welchen Fußball steht die Mannschaft eigentlich? Vor dem Champions-League-Duell mit dem BVB wächst die Kritik an Trainer Zidane.

Von Javier Cáceres

Vordergründig ist bei Real Madrid alles in bester Ordnung. Spaniens Rekordmeister führt mit einem Punkt Vorsprung die Tabelle der spanischen Liga an, in der Königsklasse startete der aktuelle Champions-League-Sieger mit einem 2:1-Sieg gegen Sporting Lissabon, und der erste Auftritt im Pokal, bei dem man sich in der vergangenen Saison so blamierte, ist auch noch fern.

In Chamartín, dem Madrider Viertel, in dem das Bernabéu-Stadion steht, sind dennoch erste Misstöne zu vernehmen. Insider berichten vor Reals Champions-League-Ausflug nach Dortmund (Dienstag, 20.45 Uhr), dass Reals Vereinsboss Florentino Pérez längst nicht mehr wohl bei dem Gedanken sei, das Team in den Händen jenes Mannes zu sehen, den er als Spieler so vergötterte: Zinédine Zidane, der seit Januar dieses Jahres bei Real als Chefcoach amtiert.

Wie einst Benítez und Ancelotti

Zidane, 44, folgte seinerzeit auf den Spanier Rafa Benítez. Zidanes Bilanz kann sich sehen lassen - eigentlich. Von 35 Spielen hat er 28 gewonnen; er hat nur zwei Niederlagen (gegen Atlético Madrid und den VfL Wolfsburg) und fünf Unentschieden verdauen müssen. Die beiden jüngsten Remis-Spiele liegen nur Tage zurück und lösen bereits Nervosität aus. Vergangene Woche kam Real Madrid nicht über ein 1:1 gegen den FC Villarreal hinaus, am Wochenende verspielte man bei der UD Las Palmas eine 2:1-Führung, das Spiel endete 2:2. Wie gegen Villarreal lieferte Real je eine schlechte und eine gute Halbzeit ab.

Stoff genug, um das auszulösen, was in Spanien lautmalerisch runrún genannt wird: Geraune. Personen mit Zugang zu Reals Ehrentribüne berichten, Vereinsboss Florentino Pérez habe schon am zweiten Spieltag sein Missfallen vernehmen lassen. Damals kam Real durch einen späten Treffer des deutschen Mittelfeldspielers Toni Kroos gegen den Mittelklasse-Klub Celta de Vigo zu einem schmeichelhaften 2:1-Sieg. Gegen Sporting Lissabon lief es ähnlich.

Die Presse feierte zwar den epischen Charakter dieser Siege. Doch Pérez empfindet die Brechstange als Stilmittel allmählich als ermüdend und als Zeichen der Schwäche, als Symptom dafür, dass dem Spiel der Mannschaft eine erkennbare Mechanik fehlt. Er ist es leid, dass Real Madrid das einzige Team der Welt ist, das die Kunst beherrscht, auch die allergrößten Titel zu gewinnen, ohne dass man weiß, was für einen Fußball es spielt.

Im kleinen Kreis hat Pérez bereits erkennen lassen, dass er sich in dieser Hinsicht von Zidane mehr versprochen habe. Nun aber sei keine Entwicklung zu sehen. Da spielt kaum noch eine Rolle, dass der einstige Weltklasse-Regisseur Zidane Ende Mai in Mailand gegen Atlético Madrid den elften Henkelpott der Vereinsgeschichte holte. Mehr noch: Unter Vorstandsmitgliedern wird Zidane hinter vorgehaltener Hand als "Europa-League-Champion" bespöttelt, weil er auf dem Weg ins Finale nur den VfL Wolfsburg und ein schwächelndes Manchester City bezwingen musste. Wie belastbar der Kredit von Erfolgstrainern bei Real ist, zeigen die Beispiele von Vicente del Bosque oder dem heutigen Bayern-Trainer Carlo Ancelotti. Sie nehmen unter den zehn Trainern, die Pérez in 13 Amtsjahren vom Hof jagte, eine Sonderrolle ein, weil sie dem Verein Champions-League-Siege schenkten. Real hat übrigens auch schon mal einen Coach entlassen, der Tabellenführer war: Radomir Antic.

Dass bei Real nicht alles rund läuft, liegt nicht nur an Zidane. Er muss mit den gleichen Widrigkeiten auskommen, die schon seine Vorgänger Ancelotti und Benítez erleiden mussten. Weil der Sturm, der unter dem Akronym "BBC" (Bale, Benzema, Cristiano Ronaldo) fungiert, immer spielen muss, fehlt dem Team die defensive Stabilität, denn keine einzige "BBC"-Komponente arbeitet so nach hinten mit, wie es die Lehrbücher verlangen. Die Folge: Die Elf bricht rasch entzwei, vor allem, wenn der Brasilianer Casemiro nicht den defensiven Mittelfeldpart übernimmt. Casemiro ist ein athletischer Balleroberungsspezialist, der Artisten wie Toni Kroos oder Luka Modric den Rücken frei hält; in Dortmund wird er aber nicht dabei sein, er ist (wie Linksverteidiger Marcelo) verletzt. Ersatz für ihn hat Zidane nicht.

So wie Ancelotti einst vergeblich auf die Verpflichtung von Arturo Vidal drängte, so verlangte Zidane ohne Erfolg den Kauf von Paul Pogba (Manchester United), beide sind Pérez nicht glamourös genug. Derlei spielt eine Rolle, wenn Ancelotti, wie neulich in L'Équipe, Vergleiche zwischen dem FC Bayern und Real anstellt: Der Unterschied zwischen den Klubs bestehe darin, "dass einer von ihnen von einem früheren Spieler geleitet wird, der weiß, worum es geht". Eine späte Ohrfeige für Pérez, die als Lob für Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge daherkam.

Tuchel als Kandidat?

Argwöhnisch beäugt wird Zidane dennoch. Teile des Teams wundern sich, dass er in Spielen nur selten korrigierend eingreife, seine Ansprachen auf Motivationssprüche beschränke. Zudem bestehe sein Training überwiegend aus Abschlussübungen. Dass Zidane mit dem Italiener Antonio Pintus einen Konditionstrainer alter Schule geholt hat, sorgt auch für Verwunderung. Pintus hat die Dauerläufe wieder ausgepackt - eine mögliche Erklärung dafür, dass Spielern wie Karim Benzema oder dem lange verletzten (und in Las Palmas über seine Auswechslung schmollenden) Ronaldo zuletzt die Explosivität fehlte.

Umso größeres Aufsehen erregt, dass Dortmunds Trainer Thomas Tuchel in Spaniens führender Zeitung als "der jüngste Innovator" der Fußballwelt gefeiert wurde; er habe das taktische System des früheren Bayern-Trainers Pep Guardiola verfeinert. "Keine Elf entfaltet sich dynamischer, keine hat einen höheren Umschaltrhythmus" als Tuchels Borussia, ihr Spiel bestehe darin, "in Minutenbruchteilen Chaos zu stiften und zur Ordnung zurückzukehren. Tuchels (vornehmste) Absicht ist nicht, zu siegen, sondern ein Monument zu errichten". Das schreibt El País. Die Zeitung berichtet auch, dass Reals Scouting-Abteilung ein Ranking mit Trainern erstellt habe, die perspektivisch für Real infrage kämen, die Liste liege der sportlichen Leitung vor. An der Spitze der Liste steht angeblich der Name Tuchel.

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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