Bundesliga:Zangen-Angriff auf den deutschen Fußball

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Haben auch keinen Spaß mehr: Fans von Borussia Dortmund. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Auf den Plätzen bloß Ballgeschiebe, draußen machen Technokraten, Funktionäre und Vermarkter den Volkssport kaputt: Die schlechte Laune, die in der Bundesliga herrscht, hat ihre Gründe.

Kommentar von Philipp Selldorf

Gerade hatte man sich vorgenommen, die Hoffnung nicht aufzugeben und sich auf das Bundesliga-Wochenende zu freuen, da kam nun der Fußball-Experte Berti Vogts und erklärte: "Fast alle Bundesligisten spielen wie die Beamten." Er meinte das allerdings nicht als Kompliment, weil die Spieler üblicherweise pünktlich zu den Spielen erscheinen und pflichtbewusst ihre Arbeit machen und es nicht vorkommt, dass einer zwischendurch Kaffee trinken geht oder eine Zigarettenpause einlegt. Nein, Vogts wählte den Staatsdiener-Vergleich, um in seiner hochgeschätzten Kolumne auf t-online.de den aktuellen Mangel an Esprit im deutschen Fußball anzuprangern: "Zu wenig Tempo, zu viel quer und zurück, zu viel Ballgeschiebe", das sind seine Vorwürfe, die sicher nicht nur dem Beamtenbund, sondern auch dem Fußballbund zu denken geben.

Gewissermaßen schließt sich so ein Kreis. Als Berti Vogts, 71, vor 20 Jahren Bundestrainer war, unterhielt auch seine Frau eine Meinungsspalte in der Zeitung, die den brennenden Fragen der Gegenwart gewidmet war. Einmal berichtete sie während der WM in Frankreich von einem schweren Zwischenfall: Als ihr kleiner Sohn Justin im VIP-Raum des Stadions vom Buffet genascht hatte, obwohl es noch nicht eröffnet war, kam tatsächlich ein Offizieller und schimpfte mit dem kleinen Mann. Daraus schlussfolgerte Frau Vogts, dass der Fußball auf einem gefährlichen Weg sei.

Komplexer Katalog von Anklagepunkten

Es ist faszinierend zu erkennen, wie in den alten und den neuen Vogts-Schriften Kernthemen der Gegenwart gebündelt und Antworten auf die Frage gegeben werden, warum im deutschen Fußball derzeit die schlechte Laune regiert: Einerseits bietet die Bundesliga unbefriedigenden (Beamten-)Sport - andererseits wird in den Logen der Liga nicht für hungrige Kinder und echte Fans, sondern für Event-Besucher und Bonzen aufgetischt.

Nach Meinung vieler Fußballfreunde findet somit gerade eine Art Zangen-Angriff statt: Während die Profis auf dem Platz nach herrschender strategischer Lehre ihre destruktive Arbeit "gegen den Ball" betreiben, machen draußen Technokraten, Funktionäre und Vermarkter den Volkssport kaputt, indem sie zugunsten ausbeuterischer Investoren das 50+1-Vereinsprinzip zerschlagen wollen und zum Nutzen des Pay-TV die Spieltage bis in den Montag ausdehnen. Und was da sonst noch alles stört: der Videoschiri im "Kölner Keller", die hohen Spielergehälter, die irren Ablösesummen, die Tyrannei des FC Bayern in der Liga und des Martin Kind in Hannover, RB Leipzig und Ralf Rangnick, Sepp Blatter und sein Nachfolger Sepp Infantino ...

Aber dies ja auch noch: Aubameyang haut nach England ab, Dembélé nach Spanien, Modeste nach China, und in der Fünfjahreswertung geht's bergab.

Angesichts dieses komplexen Katalogs von Anklagepunkten haben es die Verantwortlichen in Vereinen und Verbänden nicht leicht mit der Wiederherstellung besserer Laune. Auf Markt- und Sachzwänge verweisen? Will keiner hören. Mancher will offenbar nicht mal mehr zugucken. Nicht nur am ungeliebten Montag bleiben die Fans jetzt öfter mal dem Stadion fern, die Fachzeitung Kicker sieht einen "Kulturkampf gegen die Kommerzialisierung" im Fußball heraufziehen. Nun geschieht es zwar nicht zum ersten Mal, dass alarmierende Zustände beschworen werden und Entfremdung vom Publikum prophezeit wird. Das hat es auch vor 20 Jahren schon gegeben. Aber vielleicht ist es diesmal wirklich ernst, kann sein.

Was tun? Berti Vogts empfiehlt: Ärmelschoner runter, "Tore schießen um jeden Preis!" Das wäre ein guter Anfang.

© SZ vom 03.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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