Bundesliga:Rüstiger Rentner

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Der eine gekündigt, der andere angeheuert: Klaus Allofs (links) verlässt den VfL Wolfsburg, Heribert Bruchhagen übernimmt den Hamburger SV. (Foto: Sven Simon/Imago )

Heribert Bruchhagen, 68, wollte eigentlich nur noch ein bisschen Fernseh-Experte sein - jetzt soll er als Klubchef die Kultur beim Hamburger SV verändern. Gesucht wird noch ein Sportdirektor.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Auch der Wechsel des Vorstandsvorsitzenden beim Hamburger SV geriet mal wieder zur Posse, wie so manches in den vergangenen neun Jahren. Nicht die HSV Fußball AG machte öffentlich, dass Dietmar Beiersdorfer, 53, abgelöst und vom früheren Eintracht-Frankfurt-Boss Heribert Bruchhagen, 68, ersetzt wird, sondern der mit HSV-Investor Klaus-Michael Kühne befreundete Reiner Calmund. Und zwar über den TV-Sender Sky. Erst danach reagierte der Klub am späten Sonntagabend, weshalb Witzbolde vorschlugen, Calmund als Pressesprecher einzustellen. Eigentlich wollte der Klub die Personalie erst nach dem letzten Spiel des Jahres verkünden, um den jüngsten sportlichen Aufwärtstrend nicht zu gefährden.

Auch diese kleine Geschichte zeigt, wie nötig es ist, die Kultur dieses Vereins zu ändern. Den vermeintlichen Rentner Bruchhagen, der nun schon am Mittwoch seinen Dienst antreten soll, hat dieses Detail vorerst wenig interessiert, er sagte: "Wenn der HSV anfragt, dann stellt sich für jeden, der im Bundesliga-Management tätig war, die Frage einer Zu- oder Absage gar nicht. Da ist eine Zusage Pflicht." Was den früheren Werder-Manager Willi Lemke, 70, sofort zu dem liebevollen Kommentar veranlasste, man werde halt "süchtig", wenn man in diesem Geschäft gearbeitet habe, selbst wenn man "ein alter Sack" sei. Vor allem aber hat Bruchhagen, der schon von 1992 bis Ende 1994 als Manager für die Hamburger arbeitete, seine Liebe zu Stadt und Klub auch in den vergangenen 22 Jahren nie verhehlt, auch wenn er inhaltlich zuletzt zu den HSV-Kritikern zählte.

An seinem damaligen Aus hat er, wie er einst einräumte, lange zu knabbern gehabt. Sein Amt verlor der Freund des früheren HSV-Präsidenten Jürgen Hunke, weil er für dessen möglichen Nachfolger Udo Bandow Werbung machte und dessen Konkurrenten Ronald Wulff scharf anging; Wulff, sagte Bruchhagen damals, sei "intellektuell nicht in der Lage, einen Bundesliga-Klub zu führen". Leider zog der damalige Bank-Chef Bandow seine Kandidatur zurück, und Wulffs erste Handlung als Präsident war die Entlassung Bruchhagens.

Bruchhagen, der im Frühjahr seinen Abschied nach 13 Jahren in Frankfurt nahm und sich auf ein geruhsames Pensionärs-Dasein mit gelegentlichen Fernseh-Einsätzen eingestellt hatte, wird in Hamburg natürlich nur eine Übergangslösung sein. Bei Sky sagte er am Montag: "Wir schauen jetzt ausschließlich nach vorne. Eine Rückwärtsbetrachtung möchte ich nicht vornehmen, die steht mir auch nicht zu."

In seiner Frankfurter Zeit hat Bruchhagen oft gegen das Modell Kühne gewettert

Zumindest prophezeit der Eintracht-Vorstand Axel Hellmann schon mal, Bruchhagen werde den HSV "stabilisieren"; er wies aber auch darauf hin, dass der konservative Bruchhagen als Vorstandschef der Frankfurter oft "gegen das HSV-Modell mit Investor Kühne gewettert" habe. Schon als Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) hatte er gegen die Abschaffung der 50+1-Regel und die Übermacht der Geldgeber gestritten. Die direkten Kontakte zu Kühne und Aufsichtsratschef Karl Gernandt (der die Politik des Investors Kühne beim HSV durchsetzt), haben ihn überraschend umdenken lassen.

Wobei der Beschluss dieser Vorstands-Personalie mal wieder, wie so oft beim HSV, zur unpassenden Zeit getroffen wurde. Gerade war die Mannschaft dabei, unter Leitung des neuen Trainers Markus Gisdol (acht Punkte aus den letzten vier Spielen) zu einem Team zusammenzuwachsen. Gisdol ist wohl die beste Beiersdorfer-Entscheidung in dessen zweieinhalbjähriger Amtszeit gewesen. Nun zeigt der Rest des Klubs aber erneut, dass er alles andere als eine loyale Partei ist. Auch das verhinderte in den vergangenen Jahren, dass unter den Profis so etwas wie Teamgeist entstand.

Beiersdorfer und Kühne verband zwar die große Idee von einem aufblühenden HSV, doch trotz Kühnes Finanzen gelang es Beiersdorfer zum Beispiel nicht, Thomas Tuchel 2015 in monatelangem Werben von einem Wechsel nach Hamburg zu überzeugen oder Einigung über einen neuen Sportchef zu erzielen. Diese Aufgabe wollte er lieber auch noch selbst erledigen, obwohl seine Bilanz seit 2014 nicht die beste war. Stattdessen wurden in Oliver Kreuzer und Peter Knäbel zwei Manager und in Mirko Slomka, Jo Zinnbauer und Bruno Labbadia drei Trainer entlassen, weil sie nicht zu den fantastischen Visionen passten. Vor allem aber scheiterte Beiersdorfer wohl an seiner Zurückhaltung. Die Eigenschaften, die ihm zugeschrieben wurden, reichten von führungsschwach und zögerlich bis zu farblos und wortkarg. So konnte er seine Ideen ebenso wenig in den Klub tragen wie der von ihm geholte "Direktor Sport" Bernhard Peters, der angeblich ebenfalls vor dem Aus steht.

Zur millionenteuren Trennung (Beiersdorfer hatte einen Vertag bis 2018) rief Gernandt dem freigestellten Klubchef nun noch hinterher, er habe zwar in vielen Bereichen unermüdlich gearbeitet, sei aber "im Kerngeschäft Bundesliga eben nicht erfolgreich" gewesen. Für den Posten eines Sportdirektors, der unter Bruchhagen arbeiten soll, fällt wieder der Name Horst Heldt. Schon Beiersdorfer hatte mit dem früheren Schalke-Manager verhandelt, konnte sich aber nicht mit ihm einigen.

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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