Bundesliga:Heilig's Plänle beim VfB Stuttgart

Lesezeit: 5 min

Ob's mal wieder so schön wird? Die VfB-Legenden Karlheinz (l.) und Bernd Förster feiern mit Gerhard Mayer-Vorfelder den Meistertitel 1984. (Foto: imago/Pressefoto Baumann)

Der Traditionsklub VfB Stuttgart erwägt eine neue Vereinsstruktur, die einige Vorteile haben könnte. Aber wollen das auch die Mitglieder?

Von Christof Kneer, Stuttgart

Als Trainer des Hamburger SV ist Bruno Labbadia vermutlich die Idealbesetzung. Es ist nämlich so, dass Labbadia in Hamburg "einen schweren Weg gehen" muss, weil ihm seine Vorgesetzten im laufenden Spielbetrieb ständig den Etat runterkürzen. Nicht jeder Trainer kann unter solch erschwerten Bedingungen arbeiten, Labbadia kann das, aus gutem Grund. Er hat ein auf dieses Szenario perfekt zugeschnittenes Trainingslager hinter sich. Er war zweieinhalb Jahre beim VfB Stuttgart.

Den Satz mit dem "schweren Weg" hat Bruno Labbadia in seiner Stuttgarter Zeit so oft gesagt, dass er am Ende fast nichts anderes mehr gesagt hat. Herr Labbadia, warum hat Ihre Elf heute verloren, warum haben Sie diesen Spieler heute nicht gebracht, wie wird übermorgen das Wetter? Wenn man sich richtig erinnert, dann kreisten Labbadias Antworten am Ende immer um den schweren Weg.

Einmal, in einer Pressekonferenz, hat er die Antwort mal leicht variiert, es kamen ein paar Begriffe darin vor, die mit seiner Vorbildfunktion für die Jugend womöglich nicht komplett übereinstimmten. Einer dieser Begriffe begann mit "A" und endete mit "-rsch". Diese Antwort findet man bis heute im kleinen, aber feinen Archiv der Bundesliga-Wutreden.

"Wir müssen dieses Schwäbische verlassen"

Zweieinhalb Jahre nach Labbadias Entlassung sitzt Bernd Wahler, der Präsident des VfB Stuttgart, in seinem Büro im ersten Stock der Kommandozentrale des VfB, und er sagt sehr entspannt diesen Satz, den Bruno Labbadia auf keinen Fall lesen sollte, weil er sonst einen Weinkrampf bekommt. Wahler sagt: "Wir müssen dieses Schwäbische klar verlassen, wir müssen wieder massiv in den Sport investieren."

Noch mal, zum Verständnis: Der VfB ist jetzt ein Schwabe, der wo nicht mehr sparen will.

Es muss etwas passiert sein in diesem Klub, mehr als das, was ohnehin jeder sehen kann, der dem VfB beim Sport zuschaut. Dabei war ja auch im Sport zuletzt eine Menge los, man sah eine Elf, die so lange alles verlor, bis sie plötzlich anfing, alles zu gewinnen. Aber genau darum geht es ja jetzt: Wahler und seine Mitstreiter in der Kommandozentrale wollen dem VfB die Flausen austreiben. Das Niveau von Standort, Klub und Mannschaft soll wieder verlässlich werden - auf angemessenem Niveau, nicht im Dauerabstiegskampf.

Fußball
:Bundesliga: Geheimtreffen von sieben Traditionsvereinen

Im Poker um einen neuen Fernsehvertrag fordern Klubs wie Bremen, Frankfurt und Stuttgart mehr Geld. Sie verlangen, dass der Betrag für die zweite Liga gedeckelt wird.

Sie haben ein heilig's Plänle entwickelt beim VfB, und mit diesem Plänle stehen sie jetzt stellvertretend für all die Traditionsklubs in der Liga, die unter Schmerzen lernen mussten, dass Tradition keine Tore schießt, nicht mal welche verhindert. Der VfB Stuttgart, der HSV, Werder Bremen, Eintracht Frankfurt: Sie alle müssen sich ein neues, trockenes Plätzchen suchen in einer Landschaft, sie sich dynamisch verändert. "Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben" - auch diesen Satz sagt Wahler in seinem Büro, und er ergänzt, dass man sich im Angesicht der von fremden Mächten bezuschussten Wolfsburgs, Leverkusens, Hoffenheims und Leipzigs "finanziell anders aufstellen" müsse.

Zur Diskussion steht einstweilen der Vorschlag der Vereinsführung, die Profifußball-Abteilung aus dem eingetragenen Verein (e.V.) herauszulösen und in eine AG umzuwandeln; maximal 24,9 Prozent der Anteile sollen an externe Investoren vergeben werden, was etwa 50 bis 70 Millionen Euro einbringen könnte. 40 Prozent davon, so hat es der Klub kommuniziert, könnten direkt in die Wettbewerbsfähigkeit des Profiteams investiert werden, der Rest soll mittels frühzeitiger Schuldenablösung dazu beitragen, dass der Kontostand - Achtung, Modewort - "nachhaltig" wieder steigt. Der größte von vermutlich drei Kapitalgebern wäre wohl der Nachbar Mercedes, der nur ein paar Hausnummern vom Stadion entfernt wohnt. Seit Wochen schon diskutiert der VfB auf sogenannten Regionalkonferenzen mit seinen Mitgliedern über die Vereinsstruktur, und für diesen Sonntag hat der Klub nun die Schleyer-Halle neben dem Stadion gemietet. Etwa 1000 Mitglieder haben sich zur "Zukunftswerkstatt" angekündigt, gemeinsam soll eine Zwischenbilanz gezogen werden.

Es ist ein Feldversuch in Basisdemokratie, den der VfB da betreibt, aber schon bei der Bewertung dieses Experiments gehen die Meinungen so weit auseinander wie bei einer möglichen Strukturreform. Kritische Fans halten die neue Offenheit auch für ein Mittel zum Zweck; im ersten Stock der VfB-Kommandozentrale sind sie dagegen schon ein bisschen stolz auf ihre Debattenkultur. "Fußball-Deutschland schaut auf uns", sagt der Finanzvorstand Stefan Heim, der mit Präsident Wahler, Marketingvorstand Jochen Röttgermann und dem Projektleiter Rainer Mutschler elf Abende lang durchs Ländle getuckert ist, Schtuegert, Ulm und Biberach, fast wie im Lied von der Schwäb'schen Eisenbahn.

Sie sind dort jeden Abend mit 150 bis 500 Klubmitgliedern auf selbst gebastelten Papphockern mit VfB-Emblem gesessen, sie haben sich duzen lassen, Selbstkritik betrieben, und im zweiten Teil des Abends hat ein Moderator dann sechs Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themen bilden lassen (z.B. "Sport", "Kommunikation mit Mitgliedern", "Strukturänderung und Mitgliederrechte"), und der Bernd und der Stefan und der Mutsch sind von Gruppe zu Gruppe gegangen und haben mitgearbeitet und mitgedacht. Die Protokolle der Abende hat der Klub zwei Tage später im Internet veröffentlicht.

Er verstehe, dass "die Leute sich Sorgen machen", sagt Bernd Wahler, "sie wollen, dass ihr Verein ihr Verein ist und nicht ein anonymes Unternehmen wie das, in das sie vielleicht jeden Tag zur Arbeit gehen"; deshalb müsse man "die Leute mitnehmen". Es ist ihm ernst mit dieser Idee, sie führt aber unweigerlich zur Frage, wer in einem Traditionsklub überhaupt "die Leute" sind. Bei der elften und letzten Regionalkonferenz in Aalen will einer wissen, ob man genügend tue, damit der Didavi bleibt; ein anderer meint, ob die alten Klubhelden wie Allgöwer oder Ohlicher nicht noch mehr Verantwortung übernehmen könnten; und ein junger, sehr gut vorbereiteter Mann fragt, ob eine AG unter Umgehung der Mitglieder etwa am Vereinswappen herumpfuschen könne; ob ein geplanter neuer Beirat nicht nur dazu diene, neue Pöstchen zu schaffen; und ob der Verein die Ausgliederung nur deshalb anstrebe, weil der Daimler das wolle und gerade einigermaßen günstig an Anteile komme.

Mitgliederversammlung am 17. Juli

Es gehört zum Selbstverständnis der sogenannten Ultras, die Pläne von hohen Herren skeptisch zu sehen. In jede der elf Regionalversammlungen haben sie Vertreter entsandt, und in Aalen empfangen sie einen mit einem Flyer, in dem sich leises Lob für die neue Transparenz mit offenem Argwohn mischt. Die Argumentation der Klubführung, heißt es da, "blendet die Fehler der handelnden Personen in der Vergangenheit komplett aus". Auch darum geht es ja in dieser für einen Traditionsklub so typischen Geschichte: um Vertrauen.

Am 17. Juli möchte der VfB auf der Mitgliederversammlung über das Projekt abstimmen lassen, für eine Ausgliederung bräuchte der Klub drei Viertele der Stimmen (schwäbisch für: 75 Prozent); eine hohe Hürde, wenn man davon ausgeht, dass die Ultras vollzählig erscheinen werden. Die Bosse werden also bis dahin die anderen "Leute" nicht nur davon überzeugen müssen, dass eine AG nicht an den Mitgliedern vorbeibestimmt und dass ein Investor mit der gleichen Postleitzahl etwas anderes ist als einer, der im 27. Stock eines Wolkenkratzers in Dubai sitzt. Vor allem aber werden sie dafür werben, dass man der neuen Führungsgeneration um Sportchef Robin Dutt die Millionen guten Gewissens anvertrauen kann. Es ist Dutts und Wahlers Problem, dass sie in Erbsünde leben; die Vorgängervorstände haben mit den Gomez-und-Khedira-Millionen wahllos Profis namens Marica, Kuzmanovic, und Pogrebnjak eingekauft, was den stolzen Klub eine Menge Identität und Seele sowie mehrere Tabellenplätze gekostet hat.

Acht Spiele hat der VfB jetzt nicht mehr verloren, und an der schönen Serie waren Dutt-Spieler wie Serey Dié, Rupp, Tyton, Großkreutz oder Insuá entscheidend beteiligt. Beim VfB wissen sie, dass das die Bilder sind, die sie genau so dringend brauchen wie die Argumente auf den Papphockern in Schduergard, Aalen und Biberach.

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: