Bundesliga:Gelernter Ruhrpottmensch

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Hatte viel Grund zum Jubeln in der Zweitliga-Meistersaison: Thomas Reis, Aufstiegstrainer des VfL Bochum. (Foto: Laci Perenyi/Imago)

Ehrlich, direkt, mit Maloche und modernem Fußball-Ansatz: Trainer Thomas Reis, 47, kennt den VfL Bochum in- und auswendig. Dennoch wird der Klassenerhalt für den Erstliga-Aufsteiger ein kompliziertes Unterfangen.

Von Ulrich Hartmann

In Bochum besitzt die Currywurst kulinarische und kulturelle Bedeutung, seit Herbert Grönemeyer 1982 ein Lied über sie gesungen hat. Inspiriert wurde dieser musikalische Kalauer vom Bochumer "Bratwursthaus". Thomas Reis, der Trainer des Bundesliga-Rückkehrers VfL Bochum, hat sich genau diese vakuumierten Brühwürste und die Soße im Glas gern von Freunden nach Wolfsburg exportieren lassen, als er dort von 2016 bis 2019 die A-Jugend trainierte. "Die Currywurst aus der Volkswagen-Kantine hielt dem Vergleich nicht stand", hat Reis dem Stadtmagazin Bochum macht Spaß erzählt.

Als sich der Alt-Kanzler Gerhard Schröder soeben bitter beschwert hat über die vegetarisch motivierte Abschaffung der Currywurst aus einer der Wolfsburger VW-Werkskantinen, ist die gesellschaftliche Sprengkraft von Schweinebrät mit pikantem Ketchup erst so richtig deutlich geworden. Mit diesem aktuellen Aufregerthema kann sich der Fußballtrainer Reis allerdings nicht beschäftigen. Am Samstag geht es zum Saisonauftakt und damit zum ersten Bochumer Bundesligaspiel seit elf Jahren zwar ausgerechnet zum VfL Wolfsburg, allerdings macht sich beim Aufsteiger gerade eher das Reizthema Arbeitsmoral bemerkbar, unter anderem am Beispiel eines Fußballers, dessen Nachname so ähnlich klingt wie Ketchup: Innenverteidiger Armel Bella Kotchap.

An dem 19 Jahre alten DFB-Junioren-Nationalspieler, der in der Zweitliga-Aufstiegssaison neben Maxim Leitsch, 23, einer der Stützpfeiler im Bochumer Team war, hat Reis am Dienstag ein Exempel statuiert und öffentlich dessen maue Trainingseinstellung kritisiert. Reis, 47, tut so etwas nicht, um einen Spieler zu düpieren, sondern um ihn anzutreiben. "Ehrlichkeit und Direktheit sind mir wichtig", betont der Coach immer wieder. Jeder Spieler habe das Recht zu erfahren, warum er nicht aufgestellt werde. Sollte Bella Kotchap also in Wolfsburg nicht in der Bochumer Startelf stehen, wüssten er und alle Beobachter warum.

Die Zeiten stilisierter Drecksspritzer auf den VfL-Trikots sind vorbei

Als die Bochumer ihr Erstrunden-Pokalspiel beim Viertligisten Wuppertaler SV am vorigen Samstag erst in der Verlängerung mit 2:1 gewannen, war neben dem einen oder anderen Spieler auch Bella Kotchap nicht in optimaler Spiellaune. Er wurde zur Pause ausgewechselt. "Man kann ja mal einen schlechten Tag haben, kein Problem", sagte Reis am Dienstag, "aber anschließend muss ich dem Trainer doch mit Allem, was ich habe, zeigen, dass ich meinen Platz in der Mannschaft behaupten will." Das hat der junge Abwehrspieler offenbar nicht getan, und da kennt Reis dann kein Pardon.

Reis kommt gebürtig aus Wertheim, der nördlichsten Stadt Baden-Württembergs, die für ein Outlet-Center berühmt ist. In der Jugend hat er beim VfB Stuttgart gespielt und später bei Eintracht Frankfurt, ehe es ihn 1995 in jene Ruhrgebietsstadt verschlug, die ihn fußballerisch und charakterlich prägen sollte: Bochum. In der vom Strukturwandel geplagten 370 000-Einwohner-Stadt, in der der Bergbau nur noch in Form eines sehr atmosphärischen Untertage-Museums existiert, sind die Menschen eher direkt - und genau so gehen sie auch mit dem Fußball und ihrem VfL um.

Die Zeiten, als der Klub stilisierte Dreckspritzer in nagelneue Trikots hat einweben lassen, um sein Malocher-Image zu pflegen, sind allerdings vorbei: "Es reicht hier nicht mehr, wenn du den Ball über die Tribüne trittst", sagt Reis. Er lässt beim VfL ein modernes Kurzpassspiel aufführen, das sogar den Intellektuellen vom stets zugewandten Schauspielhaus gefällt.

Reis fühlt längst wie ein Ruhrpottmensch. Auch deshalb hat er sich gefreut, im September 2019 aus Wolfsburg nach Bochum zurückkehren zu dürfen, um erstmals Cheftrainer zu werden. Spieler, Scout, Jugend- und Frauentrainer, Marketing-Mitarbeiter und sogar mal Buchhalter war er zuvor beim VfL. "Ich kenne diesen Verein in- und auswendig", sagt er. Hier hat er auch seine zweite Frau kennengelernt, die 18 Jahre jüngere Carina Grendel, die er vor zehn Jahren als damaliger Frauen-Trainer selbst zum Verein geholt hatte und die heute noch immer für den VfL in der Regionalliga spielt.

Der ebenso erfolgreiche wie mit dem VfL verwobene Trainer könnte in Bochum eine Ära prägen - wenn nicht diese extrem schwierige Aufgabe bestünde, die Mannschaft nun in der Bundesliga zu halten. Ob der "Castroper Straßenfußball", wie er auf der Internetseite beworben wird, mit den Topklubs mithalten kann, wird sich bereits beim deutschen Champions-League-Repräsentanten Wolfsburg erstmals zeigen.

Viel vom Glück des Klubs und seines Trainers wird davon abhängen, wie Reis Nervosität und mögliche Selbstzweifel seiner Spieler moderiert. Dass Robert Zulj, der überragende Spieler der Aufstiegssaison, einen Wechsel in die Vereinigten Arabischen Emirate vorgezogen hat, schwächt den Kader sehr. Der just aus Wolfsburg ausgeliehene Elvis Rexhbecaj soll Zulj ersetzen. Um ihn herum müssen auch die Neuen Christopher Antwi-Adjei (Paderborn), Eduard Löwen (Hertha) und Takuma Asano (Partizan Belgrad) integriert werden. Eine herausfordernde Aufgabe für Reis. Nervennahrung in Form einer Currywurst muss da zwischendurch erlaubt sein.

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