Bundesliga:Der zwölfte Mann tritt in Streik

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Union Berlin nutzt den Stimmungsboykott vieler Frankfurter Fans, um mit einem überraschenden 2:1-Sieg die eigene Position zu stärken.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Es ist in der Geschichte des Fußballs schon ziemlich viel über den Einfluss des "zwölften Mannes" debattiert worden. Bücher zum Thema sind erschienen, Hymnen auf ihn wurden verfasst, es gibt Tausende Anekdoten darüber, wie es einem Sportverein dank lautstarker und ausdauernder Unterstützung der Anhängerschaft gelingen kann, seine Ziele zu erreichen. Der "zwölfte Mann" ist bekanntlich seit Jahrzehnten der Sammelbegriff für die Leidenschaft des Heimpublikums.

Am Montagabend aber entwickelte sich im Frankfurter Waldstadion eine höchst kontroverse Debatte, ob der zwölfte Mann, der sagenumwobene, nicht auch ein Störenfried sein kann, der der eigentlich unterstützten Mannschaft durch sein Verhalten Stolperstöckchen ins Getriebe treibt. Das Resultat jedenfalls schien diese These zu stützen: 1:2 (0:0) verlor die heimische Eintracht gegen Union Berlin ein Duell, das in seltsamer Atmosphäre ausgetragen wurde. Denn der harte Kern der Frankfurter Fanszene hatte sich aus Protest gegen die umstrittenen Montagsspiele für einen Anfeuerungs-Boykott entschieden. Die komplette Nordwestkurve, in der sich der harte Kern sonst versammelt und aus der heraus er die Stadionstimmung dominiert, war leer geblieben. Ab und zu versuchten es die übrigen Frankfurter Fans zwar mit Gesängen, aber die meiste Zeit wurden sie von den Berlinern übertönt. Von Heimvorteil konnte keine Rede sein. Und so ging es nach Abpfiff darum, dass der Boykott indirekt einen Einfluss auf den Spielverlauf entwickelt haben dürfte.

"Die Kurve hätte uns vielleicht den Elan für den Ausgleich oder sogar den Sieg gegeben", glaubte Frankfurts Trainer Adi Hütter, schränkte jedoch ein: "Wegen der Fans haben wir nicht verloren." Eintracht-Verteidiger Marco Russ stellte jedoch fest: "In dem Fall geht es auf Kosten unserer Leistung, weil es uns Energie nimmt." Auf Berliner Seite sagte Marvin Friedrich: "Wir wissen, dass hier sonst eine sehr, sehr laute Atmosphäre herrscht. Man kann schon sagen, dass uns das geholfen hat." Union-Angreifer Christopher Lenz hingegen gab zu Protokoll: "Geholfen? Keine Ahnung, wie hätten auch 2:1 gewinnen können, wenn alle da gewesen wären."

Es war nun nicht zu bestreiten, dass das Spiel unter speziellen Bedingungen stattgefunden hatte. Es war aber auch nicht zu bestreiten, dass die Berliner generell und besonders in der ersten Hälfte die stabilere und kämpferischere Spielanlage präsentierten. Und dass die Frankfurter vier Tage nach dem 4:1 gegen RB Salzburg und drei Tage vor dem Rückspiel der Europa-League-Zwischenrunde ihre rätselhaften Leistungsschwankungen fortsetzten.

Gleichwohl war es auch richtig, dass Berlins Trainer Urs Fischer erklärte, man habe "das nötige Kampfglück" gehabt. Denn die Frankfurter hatten nach dem 1:2, einem Eigentor der Berliner (79.), noch diverse Chancen zum Ausgleich. Zudem wurden die Berliner in diesem phasenweise wirren Duell bei ihren Treffern von Tolpatschigkeiten der Frankfurter begünstigt. Vor Tor eins gab es ein kolossales Missverständnis zwischen Erik Durm, David Abraham und Torwart Kevin Trapp, für das Eintracht-Trainer Hütter überhaupt kein Verständnis zeigte und das Sebastian Andersson (49.) ausnutzte. Vor Tor zwei lenkte Trapp eine Hereingabe so ab, dass sie vom Schienbein seines Mitspielers Evan N'Dicka ins Frankfurter Netz prallte (67.).

"Das sind sehr wichtige drei Punkte für uns. Die könnten in der Endabrechnung entscheidend sein", stellte Fischer fest. Auf 29 Punkte und Tabellenplatz zehn kommt Union nach 23 Spielen, das ist weit besser, als alle erwartet hatten. Fischer gab sich zwar zurückhaltend und verwies in der klassischen Rhetorik darauf, dass ihn der Tabellenplatz momentan überhaupt nicht interessiere, sondern allein das Klassement nach dem 34. Spieltag. Schwer vorstellbar ist es dennoch, dass das Union-Ziel Klassenverbleib in Gefahr geraten könnte.

Der Auswärtssieg am Montag war nicht der erste überraschende Erfolg der Saison, und über die Strecke gesehen hat Union eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. Als Aufsteiger müsse man in der Bundesliga halt immer dazulernen, und die Spieler seien auch "sehr selbstkritisch", findet Fischer. An Physis und taktischer Disziplin mangelt es ohnehin nicht; zwischendurch blitzen immer wieder ansehnliche spielerische Lösungen auf, wie in Frankfurt jener Spielzug, der Tor zwei begünstigte.

Dass auch der Stürmer Andersson seine Negativserie von acht Spielen ohne Tor beendete, passte nur zu gut - wobei der Schwede so tat, als habe er sich für seine torlose Zeit eine simple Methode zurechtgelegt: "Manchmal ist das einfach so: Du musst das akzeptieren, sonst wird es noch schlimmer."

© SZ vom 26.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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