Medizinisches Konzept der Bundesliga:Von Einzelduschen bis Maskottchenverbot

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Maskottchen von der TSG 1899 Hoffenheim: Muss wohl noch länger zugucken, auch wenn der Ball wieder rollt (Foto: imago images/foto2press)

Mit fast rührender Akribie ringt die Bundesliga um die Rückkehr auf den Rasen. Die größte Gefahr lässt sich aber durch kein Hygienekonzept verhindern: Fan-Ansammlungen vor den privaten Fernsehgeräten.

Von Werner Bartens

Die zum Dauergrübeln anregende Erkenntnis, dass Fußball wie Schach ohne Würfel sei, wurde einst Lukas Podolski zugeschrieben. In Zeiten der Pandemie müsste diese Weisheit allerdings umgearbeitet werden. Momentan ähnelt Fußball eher Synchronschwimmen im Nebelmoor. Vereine strampeln verzweifelt gegen den Untergang, Funktionäre und Politiker spielen sich No-look-Pässe zu, sie wollen irgendwie den Spielbetrieb wieder ermöglichen, aber keiner weiß genau, wie das gehen soll und mit welchen Laufwegen der andere gerade überrascht.

Die sich wie Messi und Ronaldo in Konkurrenz zugeneigten Ministerpräsidenten Söder und Laschet haben jetzt mit einem überfallartigen Flankenlauf den 9. Mai als Datum der Wiederaufnahme ins Spiel gebracht. Weil kaum einer mitgelaufen war, wurde der Ball jedoch kleinlaut an die Wissenschaftler zurückgespielt - das müsse selbstverständlich das Robert-Koch-Institut entscheiden, hieß es. Der vorwitzige Vorschlag kann sich also schon bald als falsche Neun erweisen.

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Der Fußball spiegelt die Unsicherheit der Gesellschaft gerade aufs Trefflichste wider. "Auf Sicht fahren" hat sich als Ausdruck für die Ungewissheit im Umgang mit Sars-CoV-2 seit einigen Wochen etabliert. Doch der Begriff ist beschönigend, er suggeriert zu viel Weitblick. Jüngstes Beispiel ist ein 41-seitiges "Sicherheitskonzept" von DFB und DFL, das eine "Taskforce Sportmedizin" zum Thema "Sonderspielbetrieb im Profifußball" erstellt hat. Das Bemühen, auf dem Rasen und den spärlich besetzten Rängen medizinisch verantwortlich zu handeln, ist darin deutlich zu erkennen. So werden Einlauf-Kinder ("Escort-Kids" werden sie in dem Papier genannt) und Maskottchen verboten, der Handshake zur Begrüßung und die rituelle Mannschafts-Aufstellung in Reihe bleiben ebenfalls untersagt.

Bei manchen Vorschlägen darf man auf die praktische Umsetzung gespannt sein, etwa wenn auf der Ersatzbank nur "jeder zweite oder dritte Sitz" besetzt sein soll, das Essen "vom Mannschaftskoch vorbereitet und abgepackt ins Stadion gebracht" und "ausschließlich personalisierte Getränkeflaschen" benutzt werden. Der Wellnessbereich bleibt geschlossen, zudem wird - kein Witz - aus dem Entmüdungsbecken das Wasser abgelassen. Hübsch auch, dass Umkleiden und Duschen "mit Gewährleistung von zwei Meter Abstand" zu benutzen sind. Als Idealfall sind "Einzelduschen empfohlen (um Wasserdampf als möglichen Leiter von Viren zu anderen Personen auszuschließen)". Es soll sogar "das Duschen zu Hause/im Hotel in Erwägung" gezogen werden. Und wie ist das eigentlich mit der Bierdusche für den Meister?

Es droht ein Imageschaden

Im Detail ist es fast rührend, welche Vorsichtsmaßnahmen von der Taskforce vorgeschlagen werden. Doch trotz aller Hygiene- und Abstandsregeln wissen die Verfasser, dass es "nicht Ziel sein kann, hundertprozentige Sicherheit für alle Beteiligten zu garantieren"; das dürfte sich "als unmöglich erweisen". Aber worum geht es dann? "Angesichts der sozialen, gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Fußballs sowie der Pandemieentwicklung soll ein medizinisch vertretbares Risiko gewährleistet" werden, ohne dabei "in Konkurrenz mit der Allgemeinbevölkerung um Ressourcen der Covid-19-Bekämpfung" zu treten. Das klingt sprachlich so umständlich, wie es gesellschaftspolitisch heikel ist. Auch wenn die Testkapazitäten mittlerweile ausreichen und der Bedarf für die Profis überschaubar ist, könnte der Fußball einen nachhaltigen Imageschaden davontragen.

Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann von der Universität Göttingen (die Stadt stellt als hochklassigste Fußballteams zwei Sechstligisten) ist trotzdem dafür, den Spielbetrieb wiederaufzunehmen. "Aus einer Gerechtigkeits-Perspektive ist zu fragen, warum Friseursalons, die nicht wirklich systemrelevant sind, öffnen dürfen, die DFL aber keinen reduzierten Spielbetrieb aufnehmen darf", sagt Wiesemann. "Auch wenn die Bundesliga für Millionen Zuschauer Unterhaltung darstellt, für die Beschäftigten ist sie ein Arbeitsplatz, der ihren Lebensunterhalt sichert. Es gibt ja nicht nur die Spieler mit Millionengehältern, sondern auch Masseure, Betreuer, Mitarbeiter. Freuen wir uns also, dass dabei für Millionen von Menschen auch noch gute Unterhaltung abfällt."

Bedenken müsse man aber die Gefahr einer irreführenden Beruhigung der Öffentlichkeit, wonach das Coronavirus vielleicht gar nicht so gefährlich sei. "Die Spieler könnten ihren Einfluss nutzen und auf die Bedeutung von Hygiene- und Abstandsregeln hinweisen. Dann wäre für alle viel gewonnen", sagt die Ethikerin.

Der Fußball gilt als Lieblingskind der Gesellschaft. Im Moment wirkt er aber wie ein schwer erziehbarer Jugendlicher, der auf Extrawürsten (vom Mannschaftskoch abgepackt?) besteht. Denn so sehr sich die Bevölkerung danach sehnt, Fußball statt Infektionskurven zu sehen, so groß ist der soziale Sprengstoff, sollten die Profikicker den Spielbetrieb wiederaufnehmen.

Werden dann nicht bestens bezahlte, gesunde, junge Menschen aus einer Altersklasse mit geringem Risiko bevorzugt und können sich - anders als der Rest des Landes - Ausnahmen von Abstand, Alltagshygiene und Maskenpflicht erlauben?

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Wobei das mit der Maskenpflicht in der Schwebe ist. Ein Arbeitspapier aus dem Arbeitsministerium, das eher nach "Jugend forscht" klingt, regt in Ergänzung zum DFL-Hygienekonzept an, entweder alle Spieler, Trainer, Betreuer und andere Helfer der Liga in einem Hotel bis Saisonende in Quarantäne zu schicken - oder während des Spiels "sportgerechten Mund-Nasen-Schutz" zu tragen. Verrutscht der, wird das Spiel unterbrochen. Alle 15 Minuten soll er ausgetauscht werden. Die Pause durch Videoschiedsrichter dürfte einem im Vergleich dazu wie ein Wimpernschlag vorkommen. Der Spiegel hatte über das Papier berichtet - das Ministerium machte rasch klar, das seien nur Gedankenspiele gewesen, die den Minister Hubertus Heil gar nicht erreicht hätten.

Maskenpflicht beim Kick? Trotz der Erfahrungen von Torwart Petr Cech mit Kopfschutz und diversen jochbein- und nasenbeingeschädigten Spielern mit Karbonmasken: Wer mit normalem Mundschutz spielt, ist nicht vor Viren geschützt - wer mit FFP-2-Masken spielt, ist sofort außer Atem, weil die Dinger so dicht sind.

Und die Branchen-Quarantäne? Dafür würden wohl allenfalls Kasernen taugen. Schließlich müssten etwa 400 Bundesligaprofis und ähnlich viele Betreuer an einem Ort abgeschottet werden. Bricht dennoch eine Infektion aus, droht kompletter Spielabbruch, weil sich der Erreger dann wie auf den notorischen Kreuzfahrtschiffen in Vireneile verbreiten würde.

Überall Tröpfchenbildung

Ein weiteres Problem bei baldigem Spielbeginn könnte sein: Manche Fangruppen sehen die Corona-Pause als Zeichen dafür, dass der Profifußball mit seinen Exzessen sowieso am Abgrund steht und einen kompletten Neuanfang braucht. Aus Ärger über eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs könnte sich Protest vor den Stadien formieren. Drinnen wäre das Spektakel dann zwar auf 300 Beteiligte begrenzt, die artig Abstand halten. Draußen träfen sich hingegen Tausende, und die Ablehnung von DFB, DFL, Fifa und Co. würde zur Einladung für Coronaviren. Apropos Fifa: Wenn die WM in Katar im Dezember stattfinden kann, warum dann schon im Mai die Bundesliga wieder eröffnen und nicht die letzten Saisonspiele erst im Herbst fortführen, wenn die Pandemie (hoffentlich) ins Abseits gelaufen ist?

Eine weitere Gefahr droht durch die Entwicklung, die der Fußball in den vergangenen Jahren genommen hat. Da die Livespiele fast nur noch im Bezahlfernsehen zu sehen sind, könnte die Gefahr einer Ansteckung zwar durch Sicherheitskonzepte im Stadion gebannt sein - dafür aber außerhalb der Stadien umso größer werden, weil sich Anhänger im Wohnzimmer derer zusammenrotten, die Bezahl-Abos haben. Dann drohen Tausende Infektionen vor dem heimischen Fernseher.

Ein alternative Idee: In Köln-Ehrenfeld wurde jetzt laut Kölner Stadt-Anzeiger ein Autokino eröffnet, in dem Bundesliga-Fußball gezeigt werden soll. Ein ähnliches Projekt hat der dänische Erstligist FC Midtjylland gestartet. Der Klub hat auf den Parkplätzen des Stadions große Leinwände errichtet. Bis zu 10 000 Fans können dort die Spiele live verfolgen und über ihre Radios den Kommentar der TV-Reporter hören.

Neben den großen Fragen und gesellschaftlichen Auswirkungen, die ein baldiges Bundesliga-Comeback mit sich bringen würde, gibt es auch die Herausforderungen im Detail. Zwar wird kaum ein Fußballer buchstäblich die Seuche am Fuß haben, doch Spucken ist im Gewerbe verbreitet, die Infektionsgefahr ist so erhöht wie beim Trikottausch. Auch bei jedem Zweikampf steigt der Aerosol-Austausch, im Eifer des Gefechts geht das nicht anders. Und was ist mit der Tröpfchenbildung bei Rudelbildung oder Torjubel? Beides ist aus epidemiologischer Sicht höchst bedenklich und müsste mit Rot und sofortigem Rachenabstrich geahndet werden. Bieten sich zwei Kontrahenten im Streit die Stirn, kann das immerhin als Geste zur gegenseitigen Temperaturermittlung gedeutet werden. Die Mauer beim Freistoß wäre hingegen verboten, stattdessen vielleicht eine Mauer mit Lücken? Das würde endlich mehr Kunst- statt Gewaltschützen an den Freistoßpunkt bringen.

Positive Aspekte dürfen jedoch nicht verschwiegen werden: Laufwege der Spieler werden seit Jahren ermittelt, Heatmaps zeigen ihren Aufenthalt an. Das kann Vorbild für Kontakt-Tracing mittels Corona-App werden. Auch der Einfluss von Hitze und UV-Licht ist nicht zu unterschätzen; Viren mögen beides nicht. Der Fußball konnte noch nie so gut ein Sommermärchen gebrauchen wie in dieser Saison.

© SZ vom 25.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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