Bundesliga: Bayer Leverkusen:Respekt, Vizekusen!

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Die erste Saisonniederlage für Bayer Leverkusen weckt alte Vorurteile und lässt einen Absturz befürchten. Aber Häme ist völlig unangebracht.

Thomas Hummel

Die Situation war schon vor dem Spiel in Nürnberg paradox. 24 Mal war die Mannschaft von Bayer 04 Leverkusen ungeschlagen gewesen - ein neuer Rekord in der Bundesliga, europaweit hat das kein Erstligist in dieser Saison geschafft. Doch wie viele Menschen glaubten selbst in diesem Moment daran, dass dieses Unbesiegbarkusen auch Deutscher Meister werden kann? Ungefähr so viele wie an einen WM-Sieg der Slowakei glauben. Sehr, sehr wenige. Und das zu Recht.

Denn dafür müsste schon viel zusammenkommen. Zuerst müsste der FC Bayern München sich selbst derart schwächen wie in der vergangenen Saison, als der immense finanzielle Vorsprung dieses Vereins durch innere Turbulenzen zunichtegemacht wurde. Danach sieht es derzeit nicht aus.

Und dann müsste Leverkusen selbst eine Saison ohne Einbruch überstehen. Dabei ist das 2:3 in Nürnberg noch nicht als solcher zu bezeichnen. Dass diese Mannschaft einmal verlieren würde, war wahrscheinlicher als ein frühes WM-Aus der Slowakei.

Jetzt lachen viele: Haha, Vizekusen, haha, die schaffen's nie! Wenn's drauf ankommt, geht ihnen die Düse! Die Häme ist historisch zwar begründet, aber heute völlig ungerecht.

Das Vizekusen-Syndrom rührt aus einer anderen Zeit, zwischen 1997 und 2002 wurde Leverkusen viermal Zweiter. Damals rüstete der Bayer-Konzern den Klub derart auf, dass er in der Geldrangliste mit der Ligaspitze aus München und Dortmund mithalten konnte. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall.

Jetzt wird der Etat von Bayer Leverkusen etwa auf Rang sechs bis acht in der Liga eingeordnet. Spektakuläre Einkäufe sind schon lange nicht mehr möglich, der Klub stützt sich auf eine langfristige Transferpolitik, bindet früh Talente an sich. In Nürnberg standen sechs Spieler auf dem Feld mit 22 Jahren oder jünger. Dazu kommen kluge Schachzüge wie das Leihgeschäft mit Toni Kroos oder die Verpflichtung des 36-jährigen Sami Hyypiä. Der erfahrene Trainer Jupp Heynckes gibt dem Team richtige Impulse.

Mit solchen Voraussetzungen über zwei Drittel der Saison die Bundesliga zu dominieren, ist höchst beachtlich. Die Serie war ja auch noch mit schönem Fußball und spielerischer Leichtigkeit garniert.

Doch dem Modell wohnen naturgemäß Unsicherheiten inne. Nicht nur, dass Gegner wie Köln (0:0) und Nürnberg (2:3) den "Schönspielern" viel Grimm ("Räume eng machen") und schnelle Konter entgegensetzen. In der Saison-Endphase wird der Druck höher, die Psyche wichtiger, da braucht es andere Fähigkeiten als spielerische Leichtigkeit und jugendliche Euphorie.

Es folgt nun die entscheidende Phase für Bayer Leverkusen. Es folgen Duelle gegen Hamburg, Dortmund, Schalke, Frankfurt, Bayern und Stuttgart - viele Beobachter werden schon den totalen Absturz herbeireden in Erinnerung an die vergangene Saison, als Leverkusen durch eine schreckliche Rückrunde noch auf Platz neun zurückfiel. Ob die junge Mannschaft mit diesem Druck umgehen kann?

Das ist eine brisante Prüfung auch für Jupp Heynckes. Und wenn der 64-Jährige mit seiner Mannschaft am Ende Zweiter wird, dann ist nur zu sagen: Respekt, Vizekusen!

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