Profi-Boxen:Wenn es nicht mehr um die Show geht

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Erster Geisterhauptkämpfer der europäischen Boxgeschichte: Jack Culcay (links). (Foto: Uwe Koch/Eibner/imago)

In Berlin steigen die Box-Profis erstmals nach der Corona-Pause wieder in den Ring. Dabei hat die Veranstaltung ohne Zuschauer in erster Linie gar keine wirtschaftlichen Gründe.

Von Benedikt Warmbrunn, Berlin/München

Am Donnerstag, einen Tag bevor er als erster Geisterhauptkämpfer der europäischen Boxgeschichte in den Ring steigen wird, wird Jack Culcay über die richtige Musik nachdenken. Mit der richtigen Musik beginnt für die meisten Boxer der Kampf, auf dem Weg in den Ring. Als Culcay das erste Mal seinen Interims-WM-Titel im Superweltergewicht verteidigt hatte, 2015 gegen Dennis Hogan, lief er ein zu "Beamer, Benz or Bentley" von Lloyd Banks, einem Rap-Song. Culcay gewann. Als Culcay um den WM-Titel boxte, 2017 gegen Demetrius Andrade, hatte er sich "Eye of the Tiger" von Survivor ausgesucht, den Klassiker aus den Rocky-Filmen, der an Boxabenden etwas platt daherkommt. Culcay verlor. Die Musik entscheidet nicht, wer gewinnen wird, sie gehört aber zu den Protzereien eines Boxabends. Sie soll den Gegner einschüchtern, das Publikum aufputschen.

Er fühle sich gut und sicher, sagt Culcay am Montag, dem ersten Tag der Kampfwoche. Am Donnerstag werde er daher eine Musik suchen, "die mich noch einmal motiviert". Ob es die richtige sein wird, weiß er aber nicht. Er sucht ja nach den Klängen für einen Marsch in den Ring, in dem zwar weiter ein Gegner auf ihn wartet, diesmal der Franzose Howard Cospolite. Ein Publikum, das aufgeputscht werden müsste, wird aber fehlen.

Mit Culcays Kampf wird am Freitag in den Berliner Havelstudios vermutlich die erste Boxveranstaltung Europas nach den Corona-Einschränkungen enden - in Konorach in Polen findet gleichzeitig auch eine statt, die aber wohl später fertig wird. Culcay, 34, sagt: "Das ist etwas Neues, auf das du dich nicht vorbereiten kannst."

Den 12. Juni hatten sie sich bei Culcays Team Agon schon lange als Termin vorgemerkt - dass sie nun als erster Veranstalter in Deutschland zurückkehren, sagt Promoter Ingo Volckmann, "ist für uns ein erster Schritt zurück in die Normalität". Für Agon, für Boxer wie Culcay, aber auch für die Branche insgesamt.

Wie in vielen anderen Sportarten brauchen sie im Boxen die Zuschauereinnahmen. Kleinere Boxteams hängen komplett davon ab, Teams mit Fernsehverträgen weniger. Aber selbst bei den größten Kämpfen sind die Ticketverkäufe wichtig: Als Tyson Fury im Februar gegen Deontay Wilder den Rückkampf um die Schwergewichts-WM gewann, sahen im MGM Grand in Las Vegas 15 816 Menschen zu - sie zahlten 14,5 Millionen Euro. Agon lässt die Veranstaltung von bild.de übertragen, TV-Lizenzen wurden nach Slowenien, in die Ukraine, nach Lateinamerika und nach China verkauft. Doch ohne Zuschauer ist das Boxen mehr als ohnehin schon ein Zuschussgeschäft für die Promoter.

Dass Agon wieder veranstaltet, hat also keine wirtschaftlichen Gründe. Manager Horst-Peter Strickrodt sagt: "Wir sind das unseren Athleten schuldig."

Als Sportart, deren einziges Ziel der Kontakt ist, war in Zeiten der Abstandsregelung im Boxen effektives Training lange nicht möglich. Die Agon-Athleten dürfen in Berlin seit Anfang Mai trainieren, erst in Kleinstgruppen, seit drei Wochen mit Sparring. In der ersten Woche schaute jeden Tag die Polizei vorbei. Wenig später bekam Strickrodt vom Senat und dem Gesundheitsamt auch das Okay für die erste Veranstaltung. "Das war gerade noch zur richtigen Zeit", sagt er, "etwas später, und die Boxer wären in ein Loch gefallen."

Strickrodt hatte zuvor ein detailliertes Hygienekonzept eingereicht: Die Boxer werden am Donnerstag zum zweiten Mal einem Corona-Test unterzogen, sie leben in dieser Woche in Quarantäne - am Freitag darf jeder zwei Trainer und einen Cutman mitbringen. Hinzu kommt der Ringrichter, das Kampfgericht, das technische Personal wie Kameraleute, ein Arzt, ein paar Verantwortliche. Insgesamt wirken 94 Personen am Freitag mit, die Halle betreten nie mehr als 30 gleichzeitig. Ohne Masken dürfen sich allein die Boxer, der Ringrichter und ein Moderator bewegen.

"Diese Show brauchen wir nicht, das passt nicht"

Beim Wiegen am Donnerstag werden sich die Boxer zwar sehen, sie werden sich aber nicht Nase an Nase gegenüberstehen zum Staredown. "Diese Show brauchen wir nicht, das passt nicht", sagt Strickrodt, "es wird ja auch der bessere Boxer gewinnen und nicht der, der die größere Fresse zieht." Natürlich, sagt Strickrodt, seien all diese Maßnahmen aber "erst einmal nur ein Kompromiss".

Dennoch ist der Freitag ein Test für die gesamte Branche. Andere Boxteams planen ebenfalls Veranstaltungen, sie werden beobachten, was gut funktioniert und was vielleicht nicht. SES aus Magdeburg will Mitte Juli wieder boxen lassen, am liebsten auf der Seebühne in Magdeburg. Beim Hamburger EC Boxing haben sie das Studio umgebaut, der Ring ist 60 Zentimeter tiefer, nun kann die Kamera von oben filmen - Mitte Juli soll dort gekämpft werden. Für September plant Promoter Erol Ceylan mit Zuschauern, dann am Rothenbaum. Nisse Sauerland vom gleichnamigen Berliner Team lässt ausrichten, dass sie erst im Spätsommer zurückkehren wollen: Es gehe nicht nur darum zu kämpfen, "sondern um Kämpfe, die unseren Boxern eine Plattform bieten, um voranzukommen". Und internationale Kämpfe seien noch kompliziert, in manchen Ländern sei selbst das Training derzeit nicht erlaubt.

Auch Strickrodt sagt, er gehe davon aus, dass sich "in überschaubarer Zeit alles wieder ändern wird". Für August plant er die nächste Veranstaltung, dann vielleicht mit international bekannten Boxern - und mit Zuschauern, "im absolut überschaubaren Bereich, wahrscheinlich unter 500". Vielleicht wird dann sogar wieder mehr Show möglich sein als nur die Musik beim Marsch in den Ring. Und wenn alles korrekt läuft, wird weiter nicht der Boxer gewinnen, der die größere Fresse zieht.

© SZ vom 10.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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