Boxen:Richtig was los

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Die Box-Löwen in der Bundesliga, das ist vor allem sein Verdienst: Seit Jahren schon treibt Ali Cukur diese Idee um. (Foto: Stephan Rumpf/SZ)

Boxen als Mannschaftssport - beim TSV 1860 München scheint das funktionieren zu können. Er verliert zwar seinen ersten Heimkampf in der Bundesliga, die Saison ist aber eine große Chance.

Von Jonas Kraus

Als der 18-jährige Randy Botikali seinen Kampf beendet hatte, riss er beide Fäuste nach oben, hüpfte auf und ab, ehe er aus dem Ring stürmte und in die Zuschauerreihen sprang. Botikali ließ sich herzen, klatschte mit jedem ab, der ihm in die Quere kam und genoss sichtlich die "Sechzig, Sechzig"-Sprechchöre. Die Löwenfans jubelten ausgelassen - und gleichzeitig zum letzten Mal an diesem Samstagabend.

Denn trotz Botikalis starker Leistung und seinem Sieg im vierten Kampf verloren die Boxer des TSV 1860 München den ersten Bundesliga-Heimwettkampf der Vereinsgeschichte 12:15 gegen den BC Traktor Schwerin. Gegen den aktuellen deutschen Meister gewannen neben dem Weltergewichtler Botikali noch Raman Sharafa und Ahmed Ham ihre Kämpfe, in den anderen fünf Duellen setzten sich die Gäste durch. "Schade" fand das Ali Cukur, Abteilungsleiter, Trainer und Seelsorger in Personalunion. Die Niederlage sei aber nicht unerwartet gekommen, gab er zu. Es fehlten wichtige Kämpfer und Schwerin sei ohnehin stärker einzuschätzen. Dennoch: "Nachdem wir drei der ersten vier Kämpfe gewonnen haben, wäre mehr drin gewesen." Hadern wollte Cukur aber nicht: "War doch eine tolle Veranstaltung, oder?" Um sich mit einem Nicken die Antwort selbst zu geben.

Schon 2020 wollten die Löwen ins Oberhaus, ehe die Saison der Pandemie zum Opfer fiel

Die Löwen in der Bundesliga, das ist vor allem Cukurs Verdienst. Seit Jahren schon treibt ihn diese Idee um. Anders als im Fußball muss man sich für die Box-Bundesliga nicht sportlich qualifizieren. Ein Verein muss sich "nur" anmelden. Wobei dieses "nur" gar nicht so einfach gewesen sei. "Wir mussten viele Hürden nehmen", erklärte Cukur. Zum einen sei schwierig, alle Gewichtsklassen besetzen zu können, zum anderen sei die finanzielle Belastung enorm. Schon 2020 wollten die Löwen ins Oberhaus, ehe die Saison der Pandemie zum Opfer fiel. Im vergangenen Jahr verzichteten sie auf eine Meldung, ohne Zuschauereinnahmen wäre das Risiko zu groß gewesen. Auch in dieser Saison scheuten viele Vereine das Wagnis, nur vier Mannschaften kämpfen um den Titel. Cukur glaubt dennoch, dass es sich lohnt, im Individualsport Boxen als Mannschaft anzutreten: "Für den Verein ist das eine Riesenmöglichkeit. Und für die Jungs eine tolle Erfahrung."

Wobei die Löwen auch schon weniger schöne Erfahrung machen mussten. Als die 1860-Boxer vor einigen Wochen zum Auswärtskampf nach Schwerin reisten, wurden vor Ort zwei Löwen-Kämpfer positiv auf das Coronavirus getestet. Der Kampf fiel aus, unverrichteter Dinge kehrte das Team nach München zurück. "Auf den Unkosten aber bleiben wir sitzen", klagte Cukur. Ohnehin, die Finanzen: "Das ist unser größtes Problem." Zwar gebe es viel Unterstützung der Geschäftsstelle, andere Vereine seien aber deutlich besser aufgestellt.

Umso wichtiger ist es für die klamme Löwen-Kasse, dass der Boxsport gut ankommt. 500 Fans strömten in die Turnhalle an der Säbener Straße 49. Direkt daneben hat der große FC Bayern sein Trainingsgelände, das am Samstagabend verwaist dalag, während in der Halle richtig was los war. Anfeuerungen wie im Fußballstadion mischten sich mit Deutschrap aus der Musikanlage. Boxen als Mannschaftssport, in München scheint das funktionieren zu können.

Die Boxer kommen oft aus schwierigen Verhältnissen, der Sport kann helfen, eine Perspektive aufzuzeigen

Hitzig wurde es vor allem beim Duell des Dachauer Schwergewichtlers Leo Kirschberger und Schwerins Melvin Kahrimanovic. Die beiden lieferten sich einen hochklassigen Kampf, gingen vor allem in der ersten Runde wie entfesselt aufeinander los. Am Ende entschied das Kampfgericht zugunsten des Schweriners, eine Entscheidung, die auch in die andere Richtung hätte fallen können. Die Löwenfans buhten lautstark.

Cukur sagte trotz der Niederlage: "Es ist ein Traum, dass wir eine Mannschaft in der Bundesliga haben." Er übernahm 1997 die Leitung der damals vor sich hinsiechenden Boxabteilung, steckte viel Zeit und noch mehr Herzblut in sein Projekt. Dabei ist Cukur mehr als ein Boxtrainer. Im vergangenen Jahr erschien die sehenswerte Filmdokumentation "Lionhearted" über Cukur. Darin begleitet er drei seiner Schützlinge in ein Boxcamp in Ghana. In Deutschland kamen sie nicht zurecht, wussten nicht wohin mit ihrer Wut. Cukur half ihnen, ihren Blickwinkel auf die Welt zu ändern - mit Erfolg. Oft kommen seine Schützlinge aus schwierigen Verhältnissen. Cukur will verhindern, dass sie auf die schiefe Bahn geraten, will ihnen mithilfe des Boxsports eine Perspektive aufzeigen.

Darin sieht der Boxtrainer seine vorrangige Aufgabe. Und wenn dann noch Highlights wie Siege in der Bundesliga obendrauf kommen? "Besser geht's nicht", sagte Cukur und bat dann kurz um Entschuldigung. Viele Zuschauer kamen nach dem Kampf zu ihm, klopften ihm auf die Schulter oder wollten sich persönlich verabschieden. Und fast jeder versprach, beim nächsten Mal wiederzukommen.

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