Borussia Dortmund:Zwischen Knick und Krise

Lesezeit: 3 min

Zeigt der BVB doch Nerven? Aus neun Punkten Vorsprung in der Bundesliga-Tabelle sind drei geworden - auch, weil die durchschlagskräftige Kreativität der Hinrunde plötzlich fehlt.

Von Sebastian Fischer, Nürnberg

Jadon Sancho reichte es jetzt, also wehrte er sich. Sancho ist eine der Attraktionen der Saison in der Fußball-Bundesliga, er hat für Borussia Dortmund sieben Tore geschossen, elf vorbereitet, ist an Gegenspielern vorbeigedribbelt, die vollkommen hilflos waren, und immer sah es nach Leichtigkeit und Spaß aus. Aber nun, am Montagabend in Nürnberg, schien der junge Brite nicht zu verstehen und vor allem nicht akzeptieren zu wollen, was hier vor sich ging. Zum zweiten Mal wollte er einen Eckball ausführen. Und zum zweiten Mal bewarfen ihn die Nürnberger Fans, die gegen die Anstoßzeit am Montagabend protestierten, mit schwarzen Tennisbällen. Wütend schmiss er einen Ball in die Kurve zurück.

Jadon Sancho wird im März erst 19, aber am Montagabend, beim Dortmunder 0:0 gegen den Tabellenletzten Nürnberg, ist er bereits ein bisschen gealtert, so wirkte es. Jedenfalls ist er um eine Erfahrung reicher geworden. Er weiß jetzt, wie das ist, im kühlen deutschen Februar die Bürde des Favoriten zu spüren, gegen eine stur verteidigende Mannschaft seine Klasse beweisen zu müssen - aber die Erwartungen zumindest vorerst einmal nicht erfüllen zu können. Dortmund ist zwar immer noch Tabellenführer, aber der Vorsprung auf den FC Bayern, der mal neun Punkte groß war, beträgt nur noch drei. Und der BVB hat inzwischen seit fünf Spielen nicht mehr gewonnen. "Das ist definitiv zu wenig. Wir müssen hier drei Punkte holen, das ist ganz klar", sagte Mario Götze im TV-Interview. Und Roman Bürki wurde sogar noch grundsätzlicher. "Es ist im Moment schwierig", sagte der Torhüter. "Die Durchschlagskraft fehlt." Und das Körperliche dafür: "Wir sind oft unterlegen."

Angriff gilt gemeinhin als die beste Verteidigung. Aber klug ist diese Strategie nicht immer. Der 18-jährige Sancho war wohl noch nie mit Hunderten schwarz gefärbten Tennisbällen beworfen worden, als er sich dazu bemüßigt sah, einen in die Menge zurück zu schleudern. (Foto: Zink/imago)

In Phasen, in denen Siege fehlen, ist im deutschen Fußball schnell von einer sogenannten Krise die Rede, das entsprechende Schlagwort wird den Protagonisten vor Kameras und Mikrofonen zu entlocken versucht. "Ich bitte um eine realistische Einschätzung der Situation", sagte dazu allerdings Sebastian Kehl, der frühere Dortmunder Profi, der seit dieser Saison für die Leitung der Lizenzspielerabteilung verantwortlich ist. "Wir haben eine sehr junge Mannschaft, wir haben einen extrem positiven Lauf gehabt. Und dass es in einer Saison auch mal Phasen geben wird, in denen es mal nicht so rund läuft, in denen es auch mal einen kleinen Knicks gibt, davon können wir uns nicht freimachen, davon ist auch niemand ausgegangen." Die Frage ist bloß, wie groß dieser Knick in der Rückrunde noch werden kann.

Sebastian Kehl beschwört: "Wir lassen uns nicht abbringen von unserem Weg."

Vor dem Spiel war vor allem über die plötzlich anfällige Dortmunder Defensive gesprochen worden. Beim Ausscheiden aus dem DFB-Pokal, beim 3:3 gegen Hoffenheim und beim 0:3 bei Tottenham Hotspur, das wohl das Ende der Champions-League-Saison im Achtelfinale bedeuten wird, kassierte der BVB jeweils drei Gegentreffer. In Nürnberg stellte Trainer Lucien Favre bereits die 15. Besetzung einer Viererkette in der Abwehr auf, den immer noch verletzten Manuel Akanji vertrat in der Mitte diesmal Julian Weigl. Für den zuletzt formschwachen, gegen Tottenham entscheidend fehlerhaft agierenden, in der Hinrunde noch überragenden Rechtsverteidiger Achraf Hakimi spielte der im Sommer eigentlich als Rechtsaußen aus Frankfurt verpflichtete Marius Wolf. Die Abwehr funktionierte, zwei Kopfballchancen durch Nürnbergs Hanno Behrens ausgenommen, wurde es nie gefährlich im Dortmunder Strafraum. Doch das lag auch an der diszipliniert defensiven Spielweise der Nürnberger, deren Interimstrainer Boris Schommers angekündigt hatte, mehr gegen als mit dem Ball zu verteidigen.

Nein, es ging am Montag um die in der Hinrunde so aufregende Dortmunder Offensive, die nun seit drei Spielen ohne ihren aufregendsten Spieler antritt, den mit einem Muskelfaserriss im Oberschenkel verletzten Marco Reus. Dortmund griff in der ersten Halbzeit geduldig an, versuchte, mit kurzen Pässen hinter die Nürnberger Abwehr zu gelangen, Mario Götze vergab in der ersten Halbzeit drei gute Chancen, Nürnbergs Torwart Christian Mathenia parierte stark. In der zweiten Halbzeit versuchte es der BVB häufiger mit Flanken, der eingewechselte Paco Alcácer schoss kurz vor Schluss einmal daneben, doch es fehlten die wirklich zielgerichteten Kombinationen. Favre sprach in der Pressekonferenz von "vielen positiven Sachen", erwähnte lobend Dominanz (17:7 Torschüsse) und Ballbesitz (72 Prozent). Auf die Frage, ob er sich sorge, lachte er und fragte: "Warum?" Doch der Schweizer, dessen Ausführungen nach Spielen seine Zuhörer ja schon mal verwirren können, äußerte auch klare Kritik: Seine Offensivspieler müssten in solchen Spielen "mehr mit dem Ball gehen, nicht nur mit Pässen". Er habe sich "mehr Spontanität" im letzten Drittel gewünscht, mehr Kreativität. Etwas also, wofür sich bislang insbesondere Reus verantwortlich fühlte. Ob der Kapitän gegen Leverkusen am Sonntag zurückkehrt, ist noch offen. "Ich denke, das wird auf jeden Fall eine knappe Geschichte werden", sagte Kehl und gab zu, dass es schwer sei, einen Spieler wie Reus zu ersetzen.

Er fand längst nicht alles schlecht, ganz im Gegenteil: Dortmunds Trainer Lucien Favre. (Foto: Andreas Gebert/Reuters)

Der zweite große Kreative im BVB-Angriff ist Sancho; er versuchte, dies auch in Nürnberg zu beweisen. Nach einem Foul von Lukas Mühl hätte er einen Elfmeter bekommen können, einmal tunnelte er seinen Gegenspieler, dass gar die ansonsten im Protest schweigenden Zuschauer raunten. Er dribbelte in alle Himmelsrichtungen, gewann die Mehrzahl seiner Zweikämpfe, nur aufs Tor schoss er nicht. Doch in Dortmund gehen sie fest davon aus, dass er das demnächst wieder tun wird, wenn nicht elf Nürnberger und Dutzende Tennisbälle im Weg sind. Sebastian Kehl sagte: "Wir lassen uns nicht abbringen von unserem Weg. Wir bewahren die Ruhe."

© SZ vom 20.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: