Borussia Dortmund:Bitte auch mal dreckig!

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Leverkusens Kevin Volland (rechts im Bild) setzt sich gegen Dortmunds Mats Hummels und Manuel Akanji durch und erzielt das 1:0. (Foto: Guido Kirchner/dpa)

Zum wiederholten Mal stellt sich Borussia Dortmund für einen Titelkandidaten zu naiv an. Beim 3:4 in Leverkusen sind die Analysen der defensiv überforderten Gäste später teilweise besser als die Leistung auf dem Platz.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

"Dreckiger!" Dieses Wort war in der Welt, und es machte schnell die Runde. Aber anders als bei der stillen Post wusste jeder sofort, was Emre Can gemeint hatte. Der Bundesliga-Heimkehrer hatte nach seinem ersten Ligaspiel seit 2014 (damals im Leverkusener Trikot) sofort eine Erklärung dafür parat, warum sein Zaubertor an alter Wirkungsstätte zur zwischenzeitlichen 2:1-Führung von Borussia Dortmund nicht reichte, warum sein neues Team in Leverkusen doch noch 3:4 verloren und kurz vor Schluss eine 3:2-Führung verspielt hatte: "Wenn man in Führung geht, muss man - auf gut Deutsch gesagt - dreckiger sein: manchmal Foul spielen, besser verteidigen", erklärte Can. Der 26-Jährige meinte damit nicht, dass sich der BVB altmodisch-brettharte Abwehrarbeit à la Waldhof in den 1980ern aneignen müsse. Can wollte sagen, dass sein neues Team gewiefter, cleverer, intelligenter spielen müsse, wenn es ein ernsthafter Anwärter auf irgendeinen Titel sein will.

Can weiß, wovon er redet. Er hat in seinen sechs Jahren im Ausland gelernt, wie es geht. Es gibt europaweit wohl kaum eine härtere, kältere Abwehrschule als jene bei Juventus Turin, wo Can zuletzt gespielt hatte. "Ich bin erst seit kurzem dabei, die Mannschaft hat viel Potenzial", sagte Can über seinen neuen Arbeitgeber, "aber sie muss noch lernen. Wir haben zu einfache Gegentore kassiert. Heute war es genau das, was man ja oft über Dortmund sagt: Man führt, spielt schönen Offensivfußball, aber defensiv müssen wir alle zusammen besser stehen. Wir haben vier Tore kassiert, so gewinnt man keine Spiele."

Michael Zorc pflichtete seinem Winterzugang bei: "Wir sind in den entscheidenden Momenten zu passiv gewesen und haben Leverkusen gestattet, das Spiel zu drehen", monierte der Sportdirektor: "Wir haben die vier Gegentore zu einfach weggegeben. Das begleitet uns schon ein bisschen länger. Deswegen stehen wir nicht besser da und haben diese Probleme."

"Eine Woche zum Vergessen": Nach Marco Reus fällt beim BVB auch Julian Brandt verletzt aus

Abwehrchef Mats Hummels versuchte zu differenzieren: "Generell können wir einen Ticken härter verteidigen, aber ich fand das heute nicht so schlecht. Wir sind gut in die Zweikämpfe rein. Dann aber kam irgendwann der Moment, in dem wir gehofft haben, dass das Spiel gleich vorbei ist. Und wenn man das hofft, dann geht's schief." Dortmunds Lizenzspielerchef Sebastian Kehl grummelte. "Wenn man sich teilweise so doof anstellt, kann man keine Spiele gewinnen. Das war insgesamt eine Woche zum Vergessen", klagte er auch im Hinblick auf das Pokal-Aus in Bremen (2:3) und die vierwöchige Verletzungspause für Kapitän Marco Reus. Am Samstag kam noch eine schwerere Sprunggelenksblessur (Außenbandanriss) von Julian Brandt hinzu, der in der Dortmunder Offensive ebenfalls wochenlang ausfällt.

Ein bisschen wirken die hochbegabten Dortmunder unter Trainer Lucien Favre wie Skateboard-Künstler, die Spaß daran haben, ihre größten Kunststücke vorzuführen, aber gerne auch den Kids aus der Nachbarschaft die Gelegenheit geben, ihre Tricks zu präsentieren. Man hat im Spiel nie das Gefühl, dass der BVB in der Defensive alles verhindern kann. Ganz bestimmt nicht gilt das für die Verteidiger Zagadou und Akanji, aber auch nicht immer für Mats Hummels, der in neun von zehn Szenen cool und majestätisch wirkt, in der zehnten Szene allerdings auch mal zu spät kommt oder hinterherläuft - gegen Leverkusen häuften sich diese Szenen.

Das war auch schon am gefeierten Anfang der Rückrunde der Fall, als das "Haaland-Fieber" überdeckt hatte, dass die Borussia beim 5:3 in Augsburg 1:3 zurücklag, dem 1. FC Köln beim 5:1-Sieg ein halbes Dutzend bester Chancen ermöglichte und im Pokal den sonst harmlosen Bremern drei Tore gestattete. Es war auch klar, dass der neue Stürmer Erling Haaland nicht in jedem Spiel treffen kann. In Leverkusen wurde der Norweger hart rangenommen und genoss beim Schiedsrichter keinen Artenschutz. Dass dennoch drei eigene Tore nicht reichten, war bedenklich im Hinblick auf Dortmunds Defensive. "Wir müssen das Spiel mit mehr Geduld besser kontrollieren, nicht immer nur nach vorne", wiederholte Favre später sein Mantra.

Dabei war es allerdings gerade der Tritt auf die Bremse, der nach der 3:2-Führung den Sieg kostete. Die Luft wich aus dem Dortmunder Spiel, just als man dachte, jetzt würden die Gäste nachlegen - so wie vor eineinhalb Jahren in der BayArena, als ein gewisser Paco Alcácer half, einen 0:2-Rückstand in ein 4:2 zu verwandeln. Diesmal jedoch erlahmte der Elan des vorher unwiderstehlichen Jadon Sancho nach dem 3:2. Der Engländer wurde unerwartet von Mitchell Weiser gestoppt, obwohl der Leverkusener nicht unbedingt den Ruf eines großen Abwehrstabilisators genießt.

Hinten bekam der BVB keinen Zugriff mehr: "Ab der 70., 75. Minute sind wir sehr passiv geworden und haben uns einschnüren lassen", klagte Hummels, der besser analysierte, als er gespielt hatte: "Wir wissen, dass das so ist, aber bekommen es leider nicht abgestellt." Obwohl sechs, sieben Dortmunder hinten standen, ergaben sich Lücken an den gefährlichsten Stellen im Zentrum, vor allem vor dem 3:3, als Kai Havertz die Zeit bekam, Volland zu bedienen, der sich frei bewegen durfte, obwohl ihm zuvor schon zwei Bayer-Tore geglückt waren. Can rettete vor diesem 3:3 zwar zunächst mit einer gewagten Grätsche, aber der Ball landete vor den Füßen des eingewechselten Bailey. Nur 80 Sekunden nach dem Ausgleich segelten dann zwei Flanken durch den BVB-Torraum. Bei der zweiten - Sinkgraven durfte ungehindert flanken - schraubte sich Lars Bender artistisch in die Höhe und traf per Kopf zum 4:3 (82.).

"Das ist schwer zu verdauen", murmelte Favre. Sein Gegenüber Peter Bosz sagte: "Der Wille der Spieler war heute entscheidend." Der Niederländer meinte das positiv - und doch verpasste er den Dortmundern damit den letzten Seitenhieb.

© SZ vom 10.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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