Tennis-Frauen gegen Brasilien:Mit Wumms und Vorhandpeitschen

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Der entscheidende Punkt: Jule Niemeier bringt das DTB-Team in Führung. (Foto: Julia Rahn/Pressefoto Baumann)

Deutschlands Tennisspielerinnen erreichen mit drei Einzelsiegen die Endrunde im Billie-Jean-King-Cup. Jule Niemeier findet auf Sand zu ihrer Dominanz zurück - und verbessert ihre Matchquote.

Von Barbara Klimke

Der Mensch hat seine Wohlfühlorte: Für manchen ist es der Südseestand, für andere die Sofalandschaft, und bei Jule Niemeier liegt die Vermutung nahe, dass roter Sand zu ihren Lieblingsterrains zählt. Courts mit Ziegelmehl, so erzählte sie diese Woche, behagen ihr besonders als Tennisspielerin: "Hier in Europa sind wir auf Sand groß geworden." Es war deshalb eine kluge, listige Entscheidung von Teamkapitän Rainer Schüttler, Jule Niemeier, 23, als Solistin für das dritte Match im Billie-Jean-King-Cup gegen Brasilien zu nominieren. Denn die Statistik sprach gegen sie: Lediglich zwei von 13 Tennispartien hatte Niemeier seit Jahresbeginn für sich entschieden. Eine dürftige Quote - aber was sind Zahlen gegen Gefühl?

Es stand 1:1 nach zwei Einzeln, als Jule Niemeier aus Dortmund, Nummer 65 der Weltrangliste, am Samstag im Länderduell in Stuttgart gegen Brasiliens Beste, Beatriz Haddad Maia, antrat. Drei strapaziöse, kräftezehrende Stunden später hatte sie die Favoritin, die Weltranglisten-Vierzehnte, mit Wumms, Übersicht und peitschenden Vorhandschlägen 7:6 (3), 3:6, 6:2 niedergekämpft. Allein der erste Satz dauerte fast 80 Minuten.

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"Ein wichtiges Match für mich, fürs Team und auch fürs Land", sagte sie danach erleichtert und fast den Tränen nahe, und diese erschöpfende Zusammenfassung hatte Bestand: Den Vorsprung, den Niemeier erarbeitet hatte, baute ihre Kollegin Anna-Lena Friedsam, 29, anschließend aus, 6:1, 6:0 gegen Brasiliens Nummer zwei, Laura Pigossi. Damit konnte das abschließende Doppel entfallen. Das DTB hat sich mit 3:1 gegen Brasilien für die Finalrunde im Tennis-Länderwettbewerb im November qualifiziert.

"Das war ein goldener Tag", sagte Friedsam noch auf dem Platz. Vor allem bewies Kapitän Schüttler bei der Nominierung ein feinfühliges Händchen. Auf drei Solistinnen mit unterschiedlichen Spielanlagen hatte Schüttler gesetzt; diese Taktik, fand Anna Lena Friedsam, sei mit drei Einzelsiegen brillant aufgegangen: "Wir sind ein tolles Team, und als Mannschaft ziemlich breit aufgestellt." Sie selbst hatte das Auftaktmatch am Freitag gegen Haddad Maia in drei Sätzen knapp verloren; tags darauf ging sie von Beginn an mit wuchtigen Angriffsschlägen und Longlinebällen auf dem Platz in die Offensive.

Selfie der Siegerinnen: Tatjana Maria (links) bittet die Teamkolleginnen zum Erinnerungsfoto. (Foto: Paul Zimmer/Imago)

Tatjana Maria, hingegen, Wimbledon-Halbfinalistin des vergangenen Jahres und die Dritte im Bunde, pflegt einen filigraneren Stil: mit viel Slice, mit Bällen, die die 35-Jährige in die Winkel zirkelt. Sie war erst am Montag aus Bogotà von ihrem Turniersieg angeflogen, gewann in Stuttgart am Freitag ihr Marathonmatch gegen die quirlige Pigossi - und durfte dann nach den Reisestrapazen pausieren, weil Niemeier ihren Platz einnahm. Dass die Jüngste alle Widrigkeiten besiegte, die schlechte Matchquote, die Nervosität, die leisen Selbstzweifel, hat Schüttler besonders imponiert. "Ob das schon die Wende ist, kann ich nicht sagen", bekannte Niemeier, Wimbledon-Viertelfinalistin 2022, "aber wenn ich so spiele wie heute, kann es erfolgreich weitergehen."

Die deutschen Spielerinnen können in Stuttgart bleiben, wo in der kommenden Woche eines der bestdotierten Frauen-Turniere stattfindet

Für die Solistinnen im Team brachte das Stuttgarter Wochenende zudem einen ideellen Zugewinn: einen Startvorteil für das hochdotierte Grand-Prix-Turnier in der kommenden Woche, bei dem es für die Siegerin ein hübsches sechsstelliges Sümmchen plus einen schicken Sportwagen zu gewinnen gibt; Friedsam allerdings tritt nur im Doppel an. Gespielt wird dann auf demselben Court, in derselben Halle, und da kann es nur von Vorteil sein, die Rutscheigenschaften des Sandbelags in jeweils mehrstündigen Matches unter Wettkampfbedingungen hinreichend ausprobiert zu haben. Zumal der Deutsche Tennis Bund den Nationalspielerinnen beim Billie-Jean-King-Cup sogar den Bällewunsch erfüllte und Produkte jenes Herstellers zur Verfügung stellte, der auch den Grand Prix (also das Event eines anderen Veranstalters) beliefert, wie Verbandspräsident Dietloff von Arnim erzählte. "Ein perfektes Set-up für uns", wie Schüttler lobte.

Dennoch will der DTB das schwäbische Doppelveranstaltungskonzept nun überdenken. Das "Erfolgsmodell früherer Tage", so Arnim, das sich zu Zeiten von Angelique Kerber etwa 2018 bewährt hatte, zieht nicht mehr - zumindest zieht es aus DTB-Sicht nicht genügend Publikum für den Nationenwettbewerb an. Die 1800 Zuschauer, die sich am Samstag in der großen Arena verteilten, trommelten das Team um Niemeier zwar lautstark voran, aber die Auslastung, so Arnim, sei "nicht zufriedenstellend" gewesen. In der Halle nebenan waren bereits die Qualifikations-Matches für den Porsche-Grand-Prix im Gange - gewissermaßen Konkurrenz Tür an Tür.

Es geht also weiter auf rote Sand, in der Wohlfühllandschaft für Niemeier und Kolleginnen.

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