Start der Biathlon-WM:In der Laura-Dahlmeier-Lücke

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Sie zählt als einzige deutsche bei der Biathlon-WM zu den Favoritinnen: Denise Herrmann. (Foto: dpa)
  • Dem deutschen Biathlon fehlen Talente - das könnte schon bei der WM in Antholz zu spüren sein.
  • Zu den Medaillenkandidaten zählen nur die Weltcupgewinner dieses Winters: Denise Herrmann und Benedikt Doll; dazu noch Arnd Peiffer als Zweiter von Oberhof.
  • Hochbegabte Junioren wie einst Magdalena Neuner oder Laura Dahlmeier sind derzeit nicht in Sicht.

Von Volker Kreisl, Antholz

So ohne Weiteres kommt da keiner rauf. Der Platz ist knapp kurz vor der Passhöhe am oberen Ende des Antholzer Tales, nur der Shuttle führt die Zuschauer dorthin. Tiefer in die Natur dringt sonst kein Biathlonfest vor, näher an steile Felswände, ans Revier der Steinböcke und an die Höhensonne gelangen die Ski-Zweikämpfer nicht. Und näher kommen auch die Deutschen nicht an ihre Erinnerungen aus jenen Zeiten, als alles noch gut war.

Am Donnerstag fällt der Startschuss zur Mixed-Staffel, dem ersten Rennen der Biathlon-Weltmeisterschaft. Und auch wenn die Verantwortlichen beim Deutschen Skiverband (DSV) gerade mehr als sonst in die Zukunft blicken müssen, so sind sie wohl automatisch wieder da, die Bilder aus dem Jahr 2007, als die WM zuletzt in Antholz zu Gast war. Aber man soll nicht der Vergangenheit nachhängen, erst recht nicht jenen glücklichen Tagen, in denen alles möglich zu sein schien.

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Ein sowieso schon hochdekoriertes deutsches Team gewann einfach immer weiter, und in der Hauptrolle standen gar nicht mal die vielen Olympiasieger von 2006, sondern die erst 20 Jahre alte und ganz neue Gewinnerin Magdalena Neuner, die drei Titel holte und auf dem zugefrorenen Antholzer See ihr erstes größeres Fotoshooting bestritt, ganz allein vor den vielen Fotografen, spielend mit einem großen langhaarigen Wuschelhund, der plötzlich dahergelaufen war.

Zu den Favoriten zählen nur Herrmann, Doll, Peiffer

Doch auch ein unschlagbar wirkender Verband geht im Sport mit Sicherheit wieder durch Krisen. Die Biathlonfrauen verloren ihre desillusionierte Neuner fünf Jahre später, und nach der Neuner-Lücke steckt man nun schon wieder im gleichen Problem, nämlich in der Laura-Dahlmeier-Lücke. Auch sie hat, nachdem sie alles gewonnen hatte, 2019 die Motivation verloren. Bernd Eisenbichler, der Sportliche Leiter Biathlon im DSV, betonte zwar zuletzt, dass "Medaillen natürlich der Anspruch" seien: Zwei bei den Frauen könnten das schaffen, mehrere gar bei den Männern. Aber tatsächlich muss man in Antholz um jeden Podestplatz froh sein. Denn diesmal fällt die Antholz-WM beim DSV in eine Übergangszeit.

Obwohl deutsche Biathleten schon immer erst im letzten Saisondrittel, also in der WM-Phase, ihre stärkste Form erreichten, bleiben die Erwartungen vage. Zu den Favoriten zählen nur die Weltcupgewinner dieses Winters, Denise Herrmann und Benedikt Doll, Weltmeister der Jahre 2019 bzw. 2017; dazu kommt Arnd Peiffer, der Zweite im Massenstart von Oberhof Anfang Januar, der sich in den vergangenen drei Wintern pünktlich zum Höhepunkt zum Siegläufer entwickelt hatte. Er ist Olympiasieger 2018 und wurde davor und danach Weltmeister.

Die drei Genannten dürften in Topform antreten nach den jüngsten Trainingsphasen, zum Beispiel in der Höhenlage der Seiser Alm in Südtirol. Bei den vageren deutschen Medaillenkandidaten bleibt die Frage, ob sie ihre Schwächen noch überwinden: Franziska Preuß ihren infektbedingten Konditionsrückstand, Vanessa Hinz ihre Laufschwäche, Johannes Kühn, Philipp Nawrath und Philipp Horn ihre Unsicherheit beim Schießen.

Oft steigerten DSV-Biathleten ihre mäßige Form zum Jahresbeginn noch deshalb, weil der Kreis der Podestläufer groß war und die Erwartungen sich nicht auf Einzelne konzentrierten. Diesmal ist der Rückhalt dünn. Die kürzlich noch sicheren Topläufer Franziska Hildebrand und Simon Schempp fielen schon im November in ein rätselhaftes Formloch. Nach verbandseigener Norm hatten sich zunächst nur vier Frauen und fünf Männer qualifiziert. Mitgenommen wurden als Fünfte dennoch die 24 Jahre alte Schwarzwälderin Janina Hettich, und als sechster Mann Erik Lesser, der 2017er-Weltmeister und Olympiazweite von Sotschi 2014, dem in der Loipe während der jüngsten Weltcups ebenfalls die Kraft ausgegangen war. Eisenbichler sagt, Hettich könne wegen ihrer Laufentwicklung die Staffel ergänzen; und Lesser, der sich am ersten WM-Wochenende noch im zweitklassigen IBU-Cup in Martell misst, kann der Cheftrainer Mark Kirchner allein wegen seiner Erfahrung gebrauchen.

Was momentan fehlt, sind hochbegabte Junioren, solche, die kluge Trainer lieber noch ein bisschen reifen lassen, die sich aber längst beweisen wollen. Solche wie Neuner 2007 oder wie Dahlmeier, die 2013 Neuners Nachfolge antrat und mit frisch errungenen Juniorentiteln für die WM in Nove Mesto nachnominiert wurde, um dort einer angeschlagenen Mannschaft zu helfen. Dahlmeier vollführte damals einen spektakulären Staffeleinsatz, brachte ihr Quartett zwischenzeitlich von Platz drei auf Platz eins, ehe Andrea Henkel beim Schießen wieder zurückfiel.

Solche deutlichen Begabungen sind derzeit nicht in Sicht. Das liegt auch daran, dass die Strategen lange zu wenig getan haben. Die Nachwuchsteams leiden unter Trainermangel, sogar Chefcoach Kirchner hat dies nun beklagt: "Diejenigen, die die Kinder und Jugendlichen betreuen, sind wenige und werden immer weniger", sagte er in der ARD. Der Verband nimmt sich allerdings gerade viel vor für die nächsten Biathlon-Azubis: mehr Sichtung, mehr Austausch, mehr Detailarbeit.

Das aktuelle Top-Team muss indes auf die alten WM-Effekte hoffen - auf gemeinsamen Optimismus beim Aufwärmen, auf so etwas Grundlegendes wie einen Dominoeffekt, der den Teamgeist antreibt, oder auf Details wie eine gute Hotelküche. Und vor allem auf einen gelungenen ersten Wettkampf. Das ist auch in diesem Jahr die Mixed-Staffel; zwei Frauen über je sechs Kilometer und zwei Männer über je 7,5 Kilometer treten am Donnerstag ab 14.45 Uhr an, ein Erfolg dieser Abordnung könnte alle anspornen. Im vorigen Jahr holten die Deutschen in Östersund/Schweden gleich mal WM-Silber, "das gibt eine gewisse Ruhe und Sicherheit für das gesamte Team", sagt Frauen-Trainer Kristian Mehringer.

Die Mixed-Staffel könnte den DSV also voranbringen, wie es einst Magdalena Neuner schaffte. Gut, eine Staffel ist keine Läuferin, und doch haben die beiden etwas gemeinsam: Auch das Mixed ist damals groß rausgekommen bei seiner Premiere im WM-Programm - 2007 in Antholz.

© SZ vom 13.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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