Biathlon:Die selbsternannte Nicht-Chefin

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Schnell im Schnee: Hinter Denise Herrmann-Wick kommt in der Loipe kaum jemand hinterher. (Foto: Jasmin Walter/Getty Images)

Denise Herrmann-Wick will sich nicht als Teamleaderin der deutschen Biathlon-Frauen verstanden wissen. Die Wettkämpfe von Hochfilzen zwei Monate vor der Heim-WM zeigen nur: So ganz kommt sie aus der Nummer nicht raus.

Von Korbinian Eisenberger, Hochfilzen

Im Halbkreis standen sie da, die Arme über den Schultern der anderen, und hofften. Diese Hoffnung war nicht ganz unplausibel, schließlich hatten sie ihrer Schlussläuferin eine durchaus passable Vorlage geliefert. Den deutschen Biathletinnen Anna Weidel, Franziska Preuß und Vanessa Voigt war es gelungen, 28 Kugeln in Serie ohne Fehlschuss zu platzieren. Voigt leistete sich schließlich den bis dato einzigen Nachlader. 30 aus 31 lautete die Zwischenbilanz der deutschen Frauenstaffel. Drei von vier Läuferinnen waren durch. Und nun ging ihre Beste und Erfahrenste in die Spur.

Die Spur war nicht das Problem, in der Loipe lief Denise Herrmann-Wick sogar die schnellste aller Schlussrunden. Und doch dürfte die 33-Jährige diesen letzten Wettkampftag von Hochfilzen einmal mehr dort einsortieren, wo schon so viele Wettkampftage von Hochfilzen gut verschlossen abgelegt sind: in der Akte für Betriebsstörungen durch Überdruck.

Im Schnee von Hochfilzen kehrten sich die Dinge um. Bis zur letzten Schießeinheit dieser Frauenstaffel hatte es danach ausgesehen, als würde Herrmann-Wick ihren unlängst exzellenten Darbietungen im Pillerseetal (Sieg im Sprint, Rang fünf in der Verfolgung) ein Schleifchen verpassen. Stattdessen verfehlte sie die Scheibchen, die aus deutscher Sicht mit zunehmender Renndauer immer kleiner zu werden schienen. Drei zeitraubende Nachlader später war nicht nur die Siegchance an Herrmann-Wick vorübergezogen, sondern auch die Italienerin Lisa Vittozzi, die später neben den Siegerinnen aus Frankreich und den zweitplatzierten Schwedinnen aufs Stockerl stieg.

Auch an Tag vier drängten sich die Zuseher im Stadion, und für die neutralen unter ihnen hätte es - abgesehen vom wolkenverhangenen Himmel - kaum besser laufen können. Bis zu besagtem letzten Schießen durften noch vier Nationen auf den Sieg hoffen, auch Deutschland. Unzählige Male hatte Denise Herrmann solche Situationen gemeistert. Nur diesmal eben rutschten ihr die letzten Schüsse handbreitweit nach unten ab. Als hätte sich jemand auf ihrer Schulter abgestützt.

Eine vom Fußball enttäuschte Sportnation sucht Halt im Schnee

Nicht wenig lastet auf ihr, derzeit eher mehr als weniger Erwartungsdruck. Bewegt sie sich doch in einer von Fußballern traumatisierten Sportnation, die womöglich neuen Halt auf weißem Terrain sucht. Zumal auch im Biathlon bald eine Weltmeisterschaft ansteht, gar eine deutsche Heim-WM in Oberhof (8. bis 19. Februar). Grund für die Standortwahl könnte sein, dass Biathlon in Deutschland nicht selten als Fanmagnet hergehalten hat - auch daran werden Herrmann-Wick und die anderen regelmäßig erinnert. Das ZDF lässt die Biathlon-Rennen von zwei solchen einstigen Fanmagneten analysieren: Sven Fischer und Laura Dahlmeier, beide umfangreich dekoriert.

Dahlmeier analysierte auch am Sonntag, gleichwohl gnädig wie präzise: Herrmann-Wick habe sich in der Loipe gut bewegt. Tatsächlich liegt in diesem scheinbar trivialen Satz die Erklärung einer gewissen Unwucht. Gut bewegen bedeutet im Biathlon nämlich vor allem: schnell bewegen. Und in dieser Hinsicht kommt der einstigen Spezial-Langläuferin Herrmann-Wick im deutschen Frauenteam derzeit keine hinterher. Preuß, 28, Weidel, 26, Voigt und Sophia Schneidert, beide 25, sind zwar Gesichter eines stark verjüngten Teams. In den Akten unter branchenüblichen Ehrungen findet sich bei den vieren indes erst ein Weltcupsieg - von Preuß. Herrmann-Wick steht bei deren acht.

Die Schlussläuferin selbst erklärte am Sonntag nach dem Rennen auf Nachfrage, dass sie sich trotz alldem "nicht als Chefin oder Teamleaderin" bezeichnen würde. Damit umging sie die Frage, ob sie in dieser Rolle speziellen Druck empfinde. Die sonntäglichen Probleme am Schießstand führte sie einstweilen auf Atemnot zurück, kombiniert mit zittrigen Beinen. "Das Timing bei der Atmung war nicht genau, dadurch bin ich in die Bredouille geraten."

Weidel und Preuß beeindrucken mit faszinierender Lockerheit - manchmal zumindest

Verweigert Herrmann-Wick die Lieferung, stagniert die Erfolgsstatistik. So hätte man es am Donnerstag sehen können, als beim Sprintsieg der bald 34-Jährigen keine ihrer Teamkolleginnen unter den besten 20 gelandet war. Am Sonntag nun wurde diese These widerlegt. Weidel und Preuß (die zum Auftakt im finnischen Kontiolahti noch krank gefehlt hatte) versenkten die Kugeln mit einer Leichtigkeit im Schwarz, als lupften sie Tiroler Speckknödel in einen Kochtopf. Voigt zielte stehend zwar einmal daneben, pflügte aber rasant durch den Hochfilzener Neuschnee und übergab mit wenigen Sekunden Rückstand auf die führenden Französinnen. Dann kam Herrmann-Wick - und die Speckknödel landeten vor dem Topf auf dem Herd. Die Strafrunde wusste die Wahl-Ruhpoldingerin jedoch zu verhindern - so plumpsten die Knödel immerhin nicht zu Boden.

Ihre Kolleginnen indes hinterlegten am letzten Tag von Hochfilzen, dass nicht zwingend und ausschließlich nur die Dienstälteste für außerordentliche Versammlungen auf dem Siegerpodest verantwortlich sein muss. Preuß hat darin angesichts von zwölf Top-Drei-Ergebnissen im Weltcup durchaus Erfahrung. Voigt ihrerseits zeigte in der Vorsaison mit Rang zwei in Otepää und Rang vier im Olympia-Einzel bei den Winterspielen von Peking ihr Potenzial für Aktenvermerke der erfreulicheren Art.

Weiter geht es in Annecy Le Grand-Bornand, wohl ohne Knödel, weil in Frankreich, aber mit zwei Sprints zum Start. Am Donnerstag laufen die Männer, deren deutsche Vertreter als Dritte in der Staffel von Hochfilzen überzeugten, nicht aber bei der abschließenden Verfolgung (Benedikt Doll kam als Bester auf Rang 18.). Einen Tag später sind die Frauen an der Reihe. Denise Herrmann wird dann als selbsternannte Nicht-Chefin an den Start gehen. Die größten Siegchancen hat sie sehr wahrscheinlich trotzdem.

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