Besuch in der Heimat von Dante:Aus der Sackgasse in die Seleção

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Ein Bild von einem Dante - in seinem Heimatort ist man mächtig stolz auf den berühmten Sohn. (Foto: Süddeutsche.de)

Bayern-Verteidiger Dante ist in Salvador da Bahía aufgewachsen, im einfachen Viertel Federação. Bilder von ihm sind auf Straßen und Mauern gemalt, die Familie wohnt noch dort. Es gibt viele Gründe, warum der 30-Jährige bei jeder Gelegenheit hierhin zurückkehrt. Ein Ortsbesuch.

Von Thomas Hummel, Salvador

Auf dem Weg zu Dantes Heimat fährt das Taxi in eine Sackgasse. Ein paar Schlaglöcher hat es überstanden, die Gassen wurden immer enger, das Gelände steiler. Vier Männer sitzen im Schatten und strecken ihre Bäuche in die warme Luft. Einige der geparkten Autos sehen nicht mehr ganz fahrtüchtig aus, dahinter liegt Sperrmüll. Über allem wehen blaue und grüne Papierstreifen, die die Bewohner an Seile geknüpft haben, das Viertel Federação hat sich geschmückt für die Copa, die Weltmeisterschaft im eigenen Land.

Das Taxi muss warten, es geht zu Fuß weiter, durch einen engen, steilen Weg, der Steinboden ist nach dem Regen rutschig. Es ist völlig still hier, mitten in der Drei-Millionen-Stadt Salvador da Bahía, nicht einmal die Hunde bellen, für Musik ist es noch zu früh. Ganz unten angekommen öffnet sich erst eine Haustür, dann ein mannshohes Gitter - Jonilson, ein Onkel von Dante, empfängt die Gäste.

Es geht in eine kleine bescheidene Wohnung, die der Ursprung ist im Leben des Dante Bonfim Costa Santos, genannt Dante. Genauer gesagt "Daantsch", so wird der Name in Brasilien ausgesprochen. Hier hat er die ersten 13 Jahre seines Lebens verbracht, ehe er fortging, um Fußballer zu werden. Heute ist er 30 Jahre alt, lebt in einer etwas größeren Behausung im Münchner Nobelvorort Grünwald und steht im Aufgebot der brasilianischen Seleção. Er ist einer von Tausenden Jungs, die irgendwann in diesem riesigen Fußballland Brasilien auszogen, um ihre Träume zu verwirklichen. Einer von 23, die es geschafft haben. Von der Sackgasse in die Seleção.

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Hinter der Eingangstür liegt gleich das Wohnzimmer, wo zwei kleine Dantes warten. An der Wand hängt ein Bild des Fußballers, auf dem er vielleicht drei Jahre alt ist. Er hatte damals schon die großen, dunklen Augen und den sanften Blick. Unten am Fußboden steht barfüßig ein Abbild davon und trägt die berühmte Dante-Frisur mit den in alle Richtungen abstehenden Locken: Maria Eduarda, knapp zweijährige Tochter von Jonilson.

Wenn brasilianische Buben zu berühmten, reichen Fußballern werden, dann unterstützen sie mit ihrem Geld oft einen ganzen Familienclan. Das hat zur Folge, dass zumindest die nahen Verwandten in eine besser gestellte Gegend umziehen, plötzlich in riesigen Häusern residieren. Auch Dante schickt seit jeher Geld nach Hause zur Mutter, zum Vater und zu den Großeltern, wohl auch zu Onkel Jonilson, der ihn so unterstützt hat, als Dante Jugendlicher war. Und dennoch blieb die Familie dort, wo sie immer war: in Federação. Zwischen Schlaglöchern, engen Gassen, Häusern mit abblätternden Farben. Ein Viertel, das schon nach einem kurzen Rundgang wie ein kleines soziales Paradies erscheint.

"Wir wohnen hier schon lange und gerne", sagt Jonilson, die Familie habe nie von hier wegziehen wollen. Dante habe sich ein Haus gekauft, drüben in Vila do Atlantico. Wenn er in den Fußballferien nach Salvador komme, lade er manchmal 50 bis 60 Leute dorthin ein zu Samba, Fußball und Grillen. Doch eigentlich sei er am liebsten in seiner alten Gegend. "Hier kann er sich frei bewegen, in anderen Vierteln wird er ständig angesprochen, hat keine Ruhe", erklärt Jonilson. Vor der Weltmeisterschaft sei er sogar nach Dubai geflogen, um mal richtig abzuschalten. Doch selbst dort sei er umringt worden und musste Autogramme schreiben. Dann lieber Federação.

Oma und Opa waren wie Eltern

Oma Odair kommt aus der Küche herüber. Eine kleine, etwas rundliche Dame, sie trägt eine Brille und lacht herzlich. Vila do Atlantico? "Ich geh da nicht gerne hin. Da kennt keiner keinen und manchmal lässt der Pförtner einen gar nicht in die Siedlung hinein", schimpft sie.

Omas heißen in Brasilien Vovo, sie trägt außerdem den Spitznamen Didi, ausgesprochen "Dschidschi". Nachdem der Vater die Familie verlassen hatte und aus beruflichen Gründen weit in den Norden nach Belem gezogen war, kam die Mutter mit dem dreijährigen Dante und der kleineren Schwester in diese Wohnung. In seiner Autobiografie ( "Ich, Dante" - erschienen im Riva Verlag) schreibt Dante, dass Oma Didi und Opa Joao praktisch seine Eltern gewesen seien, weil Mutter Vera von frühmorgens bis spätabends arbeitete. Die beiden haben inzwischen 20 Enkel und 7 Urenkel. "Dante war ganz brav und gut erzogen", erzählt Oma Didi mit einem Lächeln, dann schaut sie etwas streng zur kleinen Maria Eduarda: "Ganz anders als die heutigen Kinder."

Onkel Jonilson war früher auch einmal Fußballer, zur großen Karriere hat es aber nicht gereicht. Dante nennt ihn seinen Fitnesstrainer, weil Jonilson ständig mit ihm lief, ihn antrieb, sich fit zu halten. Jonilson hat das inzwischen zu seinem Beruf gemacht, er ist Jugendtrainer beim Salvador Futebol Clube und hilft brasilianischen Jungs, ihrem Ziel näher zu kommen. "Alle träumen davon, ihr Leben zu verändern, deshalb ist der Wettbewerb sehr groß", sagt er.

Brasilien erwartet nun doch in zunehmender Freude das Eröffnungsspiel der Heim-WM. Die sozialen Probleme sind das eine und es wird weiterhin Proteste geben. Doch das schließt nicht aus, sich für den Fußball und die eigene Seleção zu begeistern. Dante wird erst einmal nicht spielen, weil Thiago Silva und David Luiz die vielleicht stärkste Innenverteidigung der WM bilden werden. Dennoch ist er das Idol seines Viertels, das Idol von Federação.

Die Mauer hinter dem Haus hat ein Familienmitglied kunstvoll bemalt: zuerst eine brasilianische Flagge, dann der Heilige Drachenbesieger Georg, daneben ein lang gezogenes "Gooool" und das Konterfei von Dante im Trikot der Seleção. Oben auf der Straße ist sein Gesicht noch einmal zu sehen, professionell aufgesprüht, unverkennbar der weiche Blick. Über einer Wäscheleine hängen etwa 20 Paar rote Stutzen, über den Stühlen daneben rote Hosen und rote Trikots - Dantes Geschenke an die Freunde.

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"Der FC Bayern hat durch Dante in Salvador viele Fans", berichtet Jonilson. Ob die Baihanos auch die deutsche Nationalmannschaft bei der WM unterstützen? "Hm", Jonilson lächelt, "eher nicht. Wir sind alle für Brasilien." Oma Didi sagt: "Brasilien muss gewinnen, es gibt keine andere Möglichkeit. Es war immer sein Ziel, in der Seleção zu spielen. Jetzt müssen sie auch gewinnen."

Etwas weiter oben, knapp hinter Dantes Bild auf der Straße, wohnt nun Mutter Vera. Sie ist gerade nicht zu Hause, davor spielen zwei Jungs Fußball. Gibt es denn gar keine Neider in Federação? Schließlich verdient Dante beim FC Bayern in einem Monat wohl so viel wie alle restlichen Einwohner des Viertels im ganzen Jahr nicht zusammen. "Ich habe Dante immer gesagt: Du musst zeigen, wer du bist. Nicht, was du hast. Sonst werden die Leute kommen, die haben wollen."

20 Plastikstühle, eine Trommel, Samba bis in die Nacht

Er geht um eine Ecke herum, da stehen links 20 orange Plastikstühle, rechts ein Holzhäuschen, es ist eine Bar. Neulich, erzählt Jonilson, kam Dante hierher und spielte mit den Leuten hier Samba. Die Party begann um 15 Uhr und endete um 23 Uhr. Jonilson holt sein Smartphone heraus und zeigt ein Video. Da sitzt er, der Bayern-Verteidiger, auf einem der Plastikstühle und hat eine Trommel in der Hand. Davor spielen die Menschen, von denen einige auch jetzt hier sitzen, andere Musikinstrumente, sie tanzen und singen und lachen. "Vom Supermarkt unten sind immer mehr Leute heraufgekommen und haben mitgetanzt", sagt Jonilson. Es wirkt alles so natürlich in dem Video, als würden die Leute hier jeden Tag tanzen und lachen.

Drinnen in der kleinen Wohnung geht Oma Didi ins Nebenzimmer und holt noch ein paar Bilder heraus. Ein offizielles FC-Bayern-Porträtbild, eines mit Dante auf dem Oktoberfest. Der Junge aus Federação in Lederhosen, seine Frau Joselina im Dirndl. Er ist weit herumgekommen, dieser Dante, hat sein Fußballer-Glück gemacht in der Welt. Jonilson sagt: "Doch wenn er kann, kommt er sofort wieder hierher zurück."

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