Berlins Bundesligisten:Die Last des Ladebalkens

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Moment mal, haben wir den falschen Boateng geholt? Herthas Sportdirektor Arne Friedrich und Geschäftsführer Fredi Bobic. (Foto: Engler/imago)

Eine Internet-Spielerei bringt Bundesliga-Schlusslicht Hertha BSC viel Häme ein - Lokalrivale Union Berlin erfreut sich an einem überzeugend erneuerten Kader.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Dienstag, dem sog. Deadline-Day, bereicherte der Fußballbundesligist Hertha BSC die Welt des Internets um einen Balken. Und auch wenn er nur, wie das halt mit diesen Internetsachen so ist, virtueller Natur war, spricht viel dafür, dass er sich zu einem 1-A-Joch verarbeiten lässt, unter dem die Hertha ähnlich lang ächzen wird wie unter dem berühmten "Big-City-Club"-Aphorismus des Investors Lars Windhorst. Es handelte sich um einen dieser sog. Ladebalken, der erstens irgendwie lustig sein sollte, zweitens um die Angabe "22 Prozent" ergänzt wurde - und damit unter Herthas Anhängern Hoffnungen auf weitere Verstärkungen weckte, die später jäh enttäuscht wurden.

Als der Balken auftauchte, waren ein paar Spieler ja schon da: Suat Serdar (aus Schalke), Marko Richter (Augsburg) Ishak Belfodil (Hoffenheim), Stevan Jovetic (Monaco), Kevin Prince Boateng (Monza), Jurgen Ekkelenkamp (Amsterdam), zuletzt auch noch Myziane Maolida (Nizza). Der 22-Prozent-Balken wirkte auch deshalb wie eine Verheißung, weil die Hertha zugleich die Urheber von rund 50 Prozent der Tore der Vorsaison abgegeben hatte (Matheus Cunha ging nach Madrid, Jhon Córdoba nach Krasnodar, Dodi Lukébakio nach Wolfsburg). Zudem hatte sich der neue Manager Fredi Bobic, 49, vor allem bei Eintracht Frankfurt einen Ruf als Perlentaucher erworben. Und nun vergingen also die Stunden, und es kam: niemand mehr.

Im Gegenteil: Ein gewisser Daishawn Redan wurde in die niederländische Heimat nach Zwolle verliehen, und dass die Social-Media-Abteilung Herthas Redan erst fälschlicherweise als Javairo Dilrosun ausflaggte, fiel nicht so richtig ins Gewicht, weil dieser Dilrosun ja auch noch ging, zu Girondins Bordeaux. Der Balken war damit zwar voll geladen. Aber wohl eher nicht so, wie sich das der Klub und sein Anhang vorgestellt hatten. Ein Twitter-Konto, das darauf spezialisiert ist, aus Vorgängen bei der Hertha sog. "Memes" zu basteln, also lustige Bilder, die durch die sozialen Netzwerke schwirren, streckte irgendwann die Waffen: Die originellsten Verballhornungen und Satiren produziere der Klub inzwischen selbst. Wie soll man auch etwas derart Komisches noch persiflieren?

Das war natürlich zu Prozentsätzen, die über die 22er-Marke hinausgingen, erstens ironisch und zweitens gemein, aber aus Sicht der Hertha nicht einmal das Schlimmste des Abends. Denn Herthas Kader galt schon vor dem Deadline-Day als ein Gebilde, das tausendprozentig Unwuchten aufwies. Pal Dardai, ein in vielerlei Hinsicht genügsamer Trainer, sah vor allem auf den Außenbahnen Verbesserungsbedarf; nun begab es sich, dass die Auswahl an dort verorteten Spielern durch die Abgänge von Dilrosun, Lukébakio, Matthew Leckie und auch Luka - kein Wortwitz! - Netz die Auswahl rein quantitativ kleiner geworden ist. In Italien hieß es, Hertha habe noch versucht, Samu Castillejo vom AC Milan zu holen. Doch das scheiterte im letzten Moment. Nun also müssen es die anderen Neuen richten, etwa Maolida. Bloß trifft auf den in abgespeckter Form in etwa das gleiche zu wie auf Jovetic, Belfodil und Boateng: Das fußballerische Talent steht außer Frage, ob die Physis mitspielt, wirft Zweifel auf. Und als wäre das alles nicht genug, ist am anderen Ende der Stadt im 1. FC Union auch noch ein Klub unterwegs, dem alles zu gelingen scheint.

14 Zu-, 15 Abgänge: Unions erneut mit voluminösen Umbauarbeiten

Das zeigt sich im bisherigen Ligaverlauf. Während die Hertha als einziges Team der Liga mit null Punkten am Ende der Tabelle steht, hat Union - gegen Leverkusen, in Hoffenheim und gegen Mönchengladbach - nicht nur fünf Punkte aus drei Partien geholt, sondern die Qualifikation für die Gruppenphase der Conference League gemeistert. "Bei uns passt derzeit alles", sagte Manager Oliver Ruhnert in einer Medienrunde am Mittwoch.

Wie im Vorjahr nahm Ruhnert mit seinem Scouting-Team und Trainer Urs Fischer voluminöse Umbauarbeiten vor, diesmal registrierte Union 14 Zu- und 15 Abgänge. "Wir haben in der Tat eine hohe Fluktuation gehabt", sagte Ruhnert, wobei es diesmal darum gegangen sei, "eine gewisse Nachhaltigkeit" zu begründen. Die Zahl der Wechsel solle in den kommenden Jahren abnehmen.

Der Ist-Zustand überzeugt jedenfalls, am Sonntag standen in Genki Haraguchi und Paul Jäckel neue Kräfte im Kader, die Union bereichern. "Wir haben jetzt einen Kader, der definitiv in der Lage ist, die Bundesliga zu halten und den Fans Spaß zu machen", erklärte Ruhnert. In einer Hinsicht werde Union sich treu bleiben: Solange er, Ruhnert, die Verantwortung trage, werde man nur Spieler verpflichten, die auch bereit sind, Verträge für die zweite Liga zu unterschreiben. "Wir wissen, wo wir herkommen, und wissen, was passieren kann", sagte Ruhnert. Er sprach von "prominenten Beispielen" aus der Vergangenheit, wie Schalke 04, Werder Bremen oder den Hamburger SV. Das Wort Hertha fiel in seiner Medienrunde kein einziges Mal. Hundertprozentig nicht.

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