Beginn der French Open:Roter, staubiger Gegner

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Raphael Nadal bei Roland Garros im Halbfinale 2013 (Foto: AFP)

Becker, Sampras, Williams, Hingis: Da kann der Name noch so groß sein, bei den French Open versagen auch Topspieler regelmäßig. Denn auf dem roten Sandplatz gelten eigene Gesetze. Nur für einen anscheinend nicht.

Von Gerald Kleffmann, Paris/München

Es ist nicht bekannt, ob Rafael Nadal jeden Tag eine Kerze in Gedenken an die Renshaw-Zwillinge anzündet, aber es wäre nachvollziehbar. William und Ernest, die englischen Tenniskönner, erfanden Ende des 19. Jahrhunderts den Sandplatz. Jahrelang dominierten sie in Wimbledon, die Winter verbrachten sie in Cannes, wo es sich wegen des Klimas als knifflig erwies, Gras als Spieloberfläche zu etablieren.

Die Renshaws experimentierten, erst verstreuten sie zerriebene Terra-Cotta-Töpfe, dann landeten sie bei Ziegelmehl, das bis heute verwendet wird - und die Profis noch immer am meisten bei den am Sonntag beginnenden French Open fordert mit der Frage: Wie bestehe ich auf dem Belag? Vor allem gegen Typen wie Nadal, der quasi geschaffen wurde für die Terre Battue, die gestampfte Erde, so der Sandplatz auf Französisch - er strebt nun, unglaublich, seinen neunten Titel an.

Ein Topname muss nicht viel bedeuten

Dass der spanische Weltranglisten-Erste auf Sand schlagbar ist, hat der Serbe Novak Djokovic in Rom gerade bewiesen, im Finale mit einem Dreisatz-Sieg. Aber das war Rom. Der Platz im Foro Italico gilt als härter. "Alle Sandplätze sind verschieden", weiß Venus Williams, Schwester von Serena, der Nummer eins, "keiner spielt sich gleich. Die von Roland Garros sind die besten." Letzteres mag je nach Spielart und Erfolgsbilanz sicher Ansichtssache sein, unbestritten ist dafür, dass besonders Paris eine Spielweise begünstigt: die der Beißer, Läufer, Dauerpeitscher.

Das lässt sich allein an den Siegerlisten ablesen. Boris Becker, Stefan Edberg, Pete Sampras, John McEnroe, Venus Williams, Lindsay Davenport, Martina Hingis - sie alle gewannen viel. Aber nie Paris. Roger Federer, 17 Grand-Slam-Siege auf der Habenseite, mühte sich Jahre, verlor drei Finals, ehe er sich einen Coupe des Mousquetaires erkämpfte. Typische Sieger waren Topspin-Akrobaten à la Gaston Gaudio, Albert Costa, Thomas Muster, Gustavo Kuerten, Sergi Bruguera. Sie bestätigten: Auf Sand herrschen eben andere, spezielle Gesetze. Vor allem beim Männertennis. Ein Topname muss nicht viel bedeuten - außer man heißt Nadal oder Björn Borg, der sechs Mal in Paris schaufelnd triumphierte.

Becker verlor auf Sand die Nerven

Die Gründe liegen nahe. Sand entschleunigt das Spiel, sehr harte Aufschläge werden hart, die Chance, durch die Verzögerung an den Ball zu kommen, vergrößert sich, zumal das Rutschen die Abwehr erleichtert, die Reichweite vergrößert sich ja. Die Stärken der Weltklassespieler, das aggressive, schnellere Spiel, ist minimal weniger stark ausgeprägt. Die Schwächen der anderen können wie auf keinem anderen Belag durch Beharrlichkeit und Beweglichkeit gelindert werden.

Umso mehr gilt es, nicht wild zu feuern, sondern Punkte clever und geduldig aufzubauen. Federer meinte kürzlich vielsagend: "Ich habe keine Angst mehr, dass ein Ballwechsel zu lange dauert." Becker, nun Trainer von Djokovic, war gar eine Paradebeispiel dafür, wie jemand die Nerven auf Sand verlor. Er, der sechsmalige Grand-Slam-Champion, gewann kein einziges Turnier auf Asche.

Oder Andy Roddick: Erfolgreich bei den US Open 2003 und in drei Grand-Slam-Finals, kam der Amerikaner in Paris trotz Aufschlägen mit Tempo 240 nicht übers Achtelfinale hinaus. Ihm fehlte das, was einer wie Nadal so gut beherrscht: traumwandlerisch wiederholbare Grundlinienschläge, bei denen er dank eines radikalen Western-Griffs die Bälle mit extremen Winkeln platzieren kann. Dazu besitzt er eine Athletik, die diese Strategie ermöglicht.

"Sie können sich ja mal 30 Kilo auf den Rücken packen und rutschen auf Sand Richtung Netz. Dann sehen Sie, wie viel Kraft das kostet, wieder zurückzukommen", erklärte Becker anschaulich dazu. Die Crux der Nichtsandplatzkoryphäen, so Becker: "Wir konnten alle nicht genug Gewinnpunkte machen im Verhältnis zu den Fehlern, die uns unterlaufen sind." Von Federer ist bekannt, dass er oft genug darüber brütete, mit wie viel Risiko er gegen Nadal spielen sollte. Die perfekte Mischung gelang ihm in Paris nie. 5:0 führt Nadal im direkten Duell. Als Federer 2009 gewann, hatte der Schwede Robin Söderling - als einziger Profi jemals in Paris - Nadal bezwungen, im Achtelfinale.

Vor diesen French Open, die seit 1891 ausgetragen werden, ist der Belag auch aus aktuellen Gründen ein Thema. Die 21 Plätze wurden erneuert, und weil den Franzosen ihre Courts im Westen der Stadt so heilig sind wie der Louvre, hat das Wort von Gerard Ticquet Gewicht. Seit 30 Jahren verantwortet der Experte den Untergrund des berühmtesten Sandplatzturniers. "Das Spiel der Akteure wird nicht leiden", versicherte er, an den Charakteristika des Belags soll sich nichts ändern, was sich schon anhand der verwendeten Zutaten belegen lassen soll. Die sind alle selbstverständlich produits de France. Jene 150 Tonnen Kalkstein etwa, die als vorletzte von mehreren Gesteins- und Schlackelagen aufgetragen wurden, stammen wie eh und je aus einem Bruch nördlich von Paris.

Djokovic könnte wieder die Nummer eins werden

Alles andere als eine Veränderung, etwa den Boden schneller zu machen, wäre auch unpassend. Die International Tennis Federation (ITF), die die Hoheit bei den Grand Slams besitzt, hat die vier wichtigsten Turniere der Welt extra so konzipiert, dass jede Veranstaltung auf einem anderen Belag stattfindet und sich durch ihre Einzigartigkeit positionieren lässt. Die Australian Open wechselten 2008 von Rebound Ace auf Plexicushion, um nicht wie die US Open zu sein, die früher sogar mal auf Sand ausgetragen wurden. Wimbledon wiederum ist stolz auf sein acht Millimeter kurzes Gras. Für alle, die privat den Sandplatz von Paris nachbauen wollen: Die oberste Schicht misst zwei Millimeter. Nur kostet so ein Platz bis zu 40 000 Euro.

Alles spricht also wieder für Nadal? Abwarten, sagen Experten. Zum einen zeigt der Linkshänder in dieser Saison Anflüge von Schwächen. Zum anderen haben sich die Verfolger auf Sand - wie Nadal auf Gras und Hartplatz - weiterentwickelt, eine jüngere fähige Generation ist zu den Etablierten aufgerückt. Der aufschlagstarke Kanadier Milos Raonic ist zu beachten, der Japaner Kei Nishikori, der Bulgare Grigor Dimitrov. Überdies heißt es, die Chancen stünden noch nie so gut für Djokovic, endlich in Paris zu gewinnen, womit er wieder die Nummer eins der Welt würde. Bei den Wettquoten liegen Nadal und er gleichauf. Das gab es lange nicht um diese Jahreszeit.

Nur: Wie oft hieß es, jetzt könne Federer den Spanier besiegen? Und es wurde doch nichts. Paris ist eben Paris, terre battue. Keiner weiß das besser als Nadal. Am Freitag sagte er lächelnd: "Ich bin froh, wieder an jenem Ort zu sein, der mir so viel gegeben hat."

© SZ vom 24.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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