Becky Hammon in der NBA:Meilenstein für eine neue Normalität

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Wird sie eines Tages Chefcoach? Becky Hammon in San Antonio. (Foto: imago/Icon SMI)

Noch nie war eine Frau Chefcoach eines Männerteams in der NBA. Becky Hammon könnte die Erste werden - und sie hat Chancen bei mehreren Vereinen.

Von Jonas Beckenkamp

Warum eigentlich nicht? Diese Frage stellt sich wirklich bei diesem Thema: Warum sieht man an den Seitenlinien der Spielfelder so selten Frauen das Kommando führen? Egal, welche prominente Sportart - meist sind nur Trainer bei der Arbeit zu sehen, selten Trainerinnen. Eine Frau als Chefcoach eines Fußballbundesligisten, das müsste eigentlich längst zeitgemäß sein. Andersherum geht es ja auch: Horst Hrubesch trainierte 2018 erfolgreich die DFB-Frauen, Trainer Bernd Schröder führte einst die Frauen von Turbine Potsdam zu unzähligen Titeln, auch die Frauenfußball-Serienmeisterinnen aus Wolfsburg hören auf Männer.

Es existieren keine validen Gründe, warum Frauen grundsätzlich schlechter coachen sollten als Männer, keine physiognomischen, keine kulturgeschichtlichen, auch keine didaktischen. Trotzdem erscheint es bis heute unwahrscheinlich, dass bei der nächsten Drehung des sogenannten Bundesliga-"Trainerkarussells" auch mal eine Frau als Kandidatin mit aufspringt. Inka Grings oder Imke Wübbenhorst, sie bilden die Ausnahmen: Frauen an der Spitze von Männerfußballteams, allerdings bisher nur in unterklassigen Ligen: Grings beim SV Straelen, Wübbenhorst in Cloppenburg und jetzt bei den Sportfreunden Lotte - Regionalliga.

Aber eine Frau als Taktikerin und Motivationskünstlerin für ein Team der ersten Liga? So schwer vorstellbar das im Fußball seltsamerweise immer noch ist, so modern gibt sich die US-Basketball-Profiliga NBA: Becky Hammon, 43, wird in diesem doch oft recht machohaft wirkenden Betrieb vermutlich bald einen Posten als Chefcoach kriegen. Die Frage ist nur: Wann?

Hammon wäre die erste Cheftrainerin überhaupt in einer der großen amerikanischen Sportligen. Sie startete 2014 als erste Vollzeit-Assistenztrainerin im US-Profisport - seitdem sind viele in selber Funktion dazugekommen, zuletzt Kara Lawson bei den Boston Celtics oder Lindsay Gottlieb bei den Cleveland Cavaliers. Bei den San Antonio Spurs arbeitet Hammon, die aus Rapid City in South Dakota stammt, unter Cheftrainer Gregg Popovich, 71, genannt "Pop". Der gilt in den USA als eine Art Christian Streich des Basketballs, seine Meinung hat Gewicht, weil er auch über heikle Gesellschaftsthemen offen spricht. Bereits seit 24 Jahren leitet er die Spurs, er wurde mehrfach mit dem Team Champion - und er fördert Becky Hammon.

Popovic sagt: "Wenn sie irgendwo Cheftrainerin wird, wäre das auch aus Marketingsicht clever. Aber darum geht es nicht: Es geht darum, dass sie mit ihrer Kompetenz alles mitbringt, was es braucht."

Schon früher wies Popovich darauf hin, dass "der ganze Er-sie-Vergleich" am Thema vorbeigehe: "In erster Linie ist sie Trainerin, ihr Geschlecht spielt dabei keine Rolle." Vielleicht beerbt Hammon ihn deswegen ja sogar in San Antonio: Popovichs Vertrag endet 2022. Er wäre dann 73.

Es gibt aber auch ein zügigeres Szenario: Während in der NBA soeben die Finals zwischen den LA Lakers und den Miami Heat zu Ende gingen, laufen in den anderen Klubs die Zukunftsplanungen. Hammon wird dabei regelmäßig als Kandidatin genannt, zuletzt bei den Philadelphia 76ers, wo nun Veteran Doc Rivers anheuerte, der zuvor bei den LA Clippers gehen musste. Hammon geht offen mit ihren Ambitionen um: "Ich hatte zum Beispiel Gespräche mit den Indiana Pacers, jetzt muss man sehen, ob es passt. Es liegt nicht mehr an mir", erzählte sie bei einer NBA-Trainertagung.

Seit dem Termin mit den Pacers sind vier Wochen vergangen, der Klub beschäftigt sich auch mit anderen, allesamt männlichen Trainern. Hat Manager Kevin Pritchard den Mumm, wirklich "out of the box" zu denken, wie er angekündigt hatte? Und passt Hammon mit ihrer Zupacker-Mentalität nach Indiana, wo die Ansprüche hoch sind? Oder wäre sie zum Start einer Cheftrainerkarriere bei einem Klub im Neuaufbau besser aufgehoben? Etwa bei den New Orleans Pelicans, wo das Riesentalent Zion Williamson noch Schliff braucht? Vakanzen böten sich zudem bei den Clippers, den Houston Rockets und bei Dennis Schröders Oklahoma City Thunder.

Kompetenz bezieht sie auch aus ihrer aktiven Basketballzeit - mit Russland gewann Hammon eine olympische Bronzemedaille. (Foto: Mike Segar/Reuters)

"Schlägt jetzt Becky Hammons Stunde?", titelte bereits die Zeitschrift Sports Illustrated. Sie selbst ist sich ihrer Rolle bewusst: "Es gibt mittlerweile überall Frauen in Führungspositionen: im Supreme Court, in Vorständen, beim Militär. Wieso sollte eine Frau nicht im Profi-Basketball coachen?", fragte sie rhetorisch.

Die NBA ist offenbar bereit für diesen Meilenstein. Der von Afroamerikanern geprägte Wettbewerb engagiert sich nicht nur im Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt, sondern setzt sich auch für Diversität und Gleichberechtigung ein. NBA-Boss Adam Silver erzählte seit seinem Einstieg vor sechs Jahren mehrmals, dass die Branche nicht länger so männerdominiert bleiben könne. Und es tut sich was: Mittlerweile haben zahlreiche Frauen Management-Positionen in Klubs der NBA. Silver möchte aber weitergehen: "Unser Ziel ist, künftig 50 Prozent weibliche Schiedsrichter und Trainer in der Liga zu haben."

Hammon, die früher in der Frauenliga WNBA zu den Besten ihres Sports gehörte, hat Erfahrungen in der ganzen Welt gesammelt. Sie war in Spanien und Russland aktiv, sie gewann als eingebürgerte Spielerin mit Russland Bronze bei Olympia 2008. "Man kann mir nicht vorwerfen, dass ich auf dem Weg ins Traineramt irgendwas ausgelassen habe", betont sie, "ich bin seit 22 Jahren im Geschäft unterwegs und bereite mich schon lange darauf vor, Chefcoach zu sein. Wenn die Chance kommt, wird jeder sehen, dass ich es kann." Als Pionierin will sie trotzdem nicht gesehen werden. Eher als eine Vorreiterin, die Fakten schafft und Normalität vermittelt.

"Die Menschen müssen sich daran gewöhnen, dass eine Frau coacht. Das Ziel muss sein, dass es am Ende keinen mehr interessiert", sagt Hammon. Sie will jungen Athleten ihr Wissen vermitteln, sie besser machen. Im Grunde ist es simpel. Hammon strebt danach, wonach alle Trainer auch streben: nach Erfolg - und Anerkennung. Die bekommt sie nicht nur von Popovich, sondern auch von Pau Gasol, der unter der Assistentin Hammon bei den Spurs drei Jahre als Center spielte.

Er fände es verwunderlich, wenn sie nicht bald Chefcoach würde, schrieb der Spanier in einem Essay ("An Open Letter About Female Coaches") in der Zeitung Players' Tribune: "Ich sage nicht, sie kann es ganz gut oder sie kann es gut genug, um mitzuhalten. Und ich finde auch nicht, dass sie fast auf dem Niveau von Männern coachen kann. Ich sage: Becky Hammon kann ein NBA-Team führen. Punkt."

© SZ vom 14.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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