Bayerns Neuzugang Oddo:Mit Scherenhänden

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Gattuso, Gilardinobis, Materazzi: Zahlreiche italienische Nationalspieler vertrauten bereits Massimo Oddo, der das Frisörhandwerk gelernt hat. Nur Luca Toni rümpfte die Nase.

B. Schönau

Der FC Bayern hat einen neuen Frisör. Massimo Oddo, 32, aus dem mittelalterlichen Städtchen Città Sant'Angelo in den Abruzzen, ist Ehrenmitglied der römischen Frisörgilde - nicht nur deshalb, weil auch Fußballer in der guten alten Zeit montags frei hatten. Oddo hat zu Hause in Süditalien das Frisörhandwerk gelernt, er arbeitet, wie sich das für einen italienischen barbiere gehört, mit der Schere anstatt mit Rasierapparat, und 2006 rückte er im Duisburger WM-Trainingslager der halben Squadra Azzurra den Kopf zurecht. Der wilde Gattuso, der ölige Gilardino, der bizarre Materazzi: sie alle begaben sich zu Massimo mit den Scherenhänden, zu Oddo "il barbiere". Nur Luca Toni rümpfte die Nase: "Der muss noch üben. Lieber nicht an mir."

Spaß muss sein: Bei der WM 2006 sorgte Oddo dafür, dass sein Teamkollege Mauro Camoranesi Haare lassen musste. (Foto: Foto: AFP)

Demnächst wird Tonis Münchner Stammbarbier jedoch unweigerlich Konkurrenz bekommen. Einen Landsmann hatte der wenig fremdsprachenkundige Bayern-Stürmer sich als Teamkollegen gewünscht, jetzt kann er mit Oddo italienisch parlieren - einem Spieler, der sich ähnlich wie Toni in langen Jahren aus der Fußballprovinz mit zähem Einsatz und gebremsten Allüren in die Großklubs Lazio Rom, AC Mailand und in die Nationalelf hoch gearbeitet hat.

Beim FC Bayern werden sie also die Haare bald noch ein bisschen schöner haben, und das zum Spartarif. Für Oddo ist ja nur das Gehalt fällig. Der hoch gewachsene, technisch versierte Rechtsverteidiger kommt als Einjahres-Leihgabe vom AC Mailand. Nach durchwachsener Saison mit langer Pause infolge einer Meniskusoperation, besonders aber nach der Verpflichtung von Gianluca Zambrotta (zuvor FC Barcelona), war Oddo in den Augen der Milan-Bosse überflüssig.

Nun also: München

"Möglich, dass er geht", raunte Vizepräsident Adriano Galliani jüngst gewohnt sybillinisch, da hatte Milan mit dem Rückkehrer Andrej Schewtschenko von Chelsea gerade den siebten Offensivspieler verpflichtet. Kurios, dass die Mailänder, die sich mit allen Kräften gegen einen Wechsel von Gennaro Gattuso zu den Bayern gesträubt hatten, jetzt ausgerechnet einen Defensivspieler ziehen lassen.

Noch am Mittwoch war Oddo als Zugang bei Olympique Lyon erspäht worden, die Sportzeitung Equipe meldete, der Italiener habe sich in Lyon bereits dem Klubarzt vorgestellt. Doch Oddo befand sich zum fraglichen Zeitpunkt im Trainingszentrum Milanello, während zwischen Mailand und München verhandelt wurde. Weil Zambrotta sich zwischenzeitlich verletzt hat, sollte Oddo am Sonntag zum Saisonauftakt gegen Bologna spielen, doch nun also: München.

Der lauffreudige und mit 27 Ligatoren durchaus treffsichere Abwehrspieler ist damit der 37. italienische Profi im Ausland. Während die Londoner Times nach der Verpflichtung von Schewtschenko und Ronaldinho durch Milan gleich in Bausch und Bogen die gesamte Serie A als "Elefantenfriedhof" verhöhnte, erlebt der Calcio einen Massenexodus vor allem junger Spieler in die englischen und spanischen Ligen.

"Wir verkaufen niemanden"

In der Bundesliga kamen in Andrea Barzagli, Cristian Zaccardo (Wolfsburg), Luca Toni und jetzt Massimo Oddo erfahrene Profis aus dem Weltmeisterteam 2006 unter Vertrag, die halbe U-21-Nationalelf spielt indes in England. Die Abwanderung der Talente, warnte La Repubblica, rücke Italien in die Nähe von Argentinien und Brasilien, "Staaten, für deren Bruttoinlandsprodukt der Verkauf von Fußballern nicht unwesentlich ist".

So weit ist es noch lange nicht, doch eine Trendwende scheint vollzogen zu sein. Früher kauften Italiens Traditionsklubs zu Dutzenden ausländische Spieler - um sie, wie Udinese Calcio, in Europa zu verleihen und schließlich meistbietend zu verkaufen. Oder sie nahmen die Herzstücke der frisch gekürten Europa- oder Weltmeisterelf unter Vertrag, wie einst Juventus Turin. Jetzt setzen die Großen, mit Ausnahme von Inter und AC Mailand, auf das eigene Jugendreservoir, und ein Klub wie Udinese verkündet: "Wir verkaufen niemanden."

Die Spieler gehen ohnehin meist von selbst: Im Ausland wird besser gezahlt, der FC Bayern etwa zahlt weitaus höhere Gehälter als die Champions-League-Konkurrenz AS Rom oder AC Florenz. "Verdiene in München soviel du kannst und komme dann zu uns zurück", hat Anfang dieser Woche der Florentiner Klubpräsident Andrea Della Valle seinem einstigen Angestellten Luca Toni angeboten. Der Wegzug der Fußballer ist ohnehin nur die Spitze des Eisbergs, dass auch eine Generation junger Akademiker aus Italien fortstrebt, wird sich als folgenreicher erweisen.

© SZ vom 29.08.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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